Historische Entwicklung
des Zahnsystems bei den Erinaceiden.
Im ganzen Gebiss sind gs eigentlich nur die beiden vorderen Molaren, welche auch
einer oberflächlichen Untersuchung die nähere Verwandtschaft zwischen G ym n u r in i und
E r i n a c e i n i verrateng besonders ist eine zentrale Zwischenspitze (Fig. 13 ä, lg,: jjj) an diesen
Zähnen allen Erinaceidae eigen, während sie den anderen Insektivoren fehlt. Die übrigen Regionen
des Gebisses sind dagegen innerhalb der beiden Gruppen so verschieden, dass erst die
methodische Verfolgung der Umwandlungen der einzelnen Komponenten den genetischen Zu-
sammenhangf&fdeckt.
Schon das Ende der Molarenreihe ist recht verschieden: M3 ist bei den Gymnurini nicht
oder nur schwach, bei den E rin a c e in i dagegen sehr stark rückgebildet. Bedeutungsvoller aber
ist der Reduktionsprozess; verbunden mit Differenzierung, welcher sich in der Ante - Molarenreihe
vollzieht. Da dieser Vorgang uns den Zusammenhang zwischen dem Gebiifjder Gymnurini
und dem der E rin a ce in i erschliesst, fassen wir hier, gestützt auf die im vorigen Abschnitte
niedergelegten Thatsachen, zunächst den Entwicklungsgang des Erinaceiden-Gebisses
als Ganzen ins Auge, um die Umwandlung des Gebisses der einen Form aus dem der anderen
kennen zu lernen. Hierauf prüfen wir die Ausbildungsart der einzelnen Zähne, insofern sie
Belegstücke für oder gegen die vorher dargelegte Entwicklungsgeschichte des Zahnsystems
unserer Tiergruppe als Ganzen abgeben.
Ausbildung Wie ich schon früher (95, 96) nachgewiesen habe, ist das Zahnsystem innerhalb verd
e s v o r d e r e n s c ] ] ¡ e ( j e n e ¡ r Qruppen von Säugetieren (z.B. P la g ia u la c id a e , P h a la n g is tid a e , TiUodontia,
zähne und In s e c tív o ra ) einer Differenzierung unterworfen, welche in ihrer Allgemeinheit dahin charakte-
R ü c k b i i d u n g risiert werden kann, dass die v o rd e re n Sch n e id e zäh n e eine h ö h e re A u sb ild u n g e rd
e t m i t t l e r e n ^ w ährend in demselben Maasse die m ittle ren Ante-Molaren p h y sio lo g isch A n t e -M o l a r e n . ° r J ö
e n tla s te t und m o rp h o lo g isch r e d u z ie rt werden. Es liegt hier somit ein Fall von jener
Reduktionsart vor, bei der durch die höhere und intensivere Arbeitsleistung, welche einzelnen
Teilen eines Organsystems auferlegt ist, diese differenziert, höher spezialisiert werden, während
andere Teile eben dadurch gänzlich entlastet und so rückgebildet werden, dass sie schliesslich
gar nicht mehr zur Ausbildung gelangen1). Als bezeichnend für diesen Vorgang kann
i) Vergleiche L e c h e (93) pag. 539.
ferner angeführt werden, dass im Unterkiefer 12, nicht II, eine dem oberen I I 1) entsprechende
Ausbildung erlangt, während der untere I 1 in demselben Maasse reduziert wird, wie 12 sich
entfaltet. Ferner (ist für diese Differenzierungsart charakteristisch,. dass bei höherer Ausbildung
dieselbe im Snterkiefer stets weiter fortgeschritten ist als im Oberkiefer. Übrigens kann
dieser Vorgang bei verschiedenen Tiergruppen in etwas verschiedener Art zum Ausdruck
kommen, w io p j|o ii ein Blick auf die Gebisse derjenigen Insektivoren lehrt, welche durch ihn
beeinflusst worden sind: U ro p s ilu § ||B o tric h u s , E rin a c e u s und Sö ric id a e.
Aus meinen Untersuchungen über ||p»|t)ntogenes& dfs Zahnsystems hat sich nun aber
ergeben, dass bei R ed u k tio n des G e b illp J das M i l c h g e b iß in höherem Masse von
d e rs e lb e n b e tro ffe n wird als d as Hrsatzgebi.s.s,£som:t frühelrials d ie s e s schwindet.
In völliger Übereinstimmung hiermit steht dann, daäsl in einem Zahnsystem, in dem die oben
genannte Differenzierungsart HsKjgellend macht, der Zalmweehsel bei den von der Reduktion
betroffenen Zähnen, d. h. hei: .einigen Ante-Molaren, gänzlich unterdrückt ist (d. h. dass, keine
verkalkten Milchzähne auftreten).
Die hier geschilderte Reduktion des Milchgebisses ist jedenfalls nicht ohne Beziehung
W einer allgemeinen Erscheinung: wenn durch, besondere Anpassung das Ersatzgebiss einen
höheren Grad von Differenzierung erreicht, so ‘ist /(¿¿verständlich, dass das Milchgebiss einer
mehr oder weniger ausg.g§prb.chenen Rückbildung zunächst’'in der G r S s e ¿¿¿er'einzelnen
Componenten anheimfällt; dies ist, wie ich früher (97) nachgewiesen h a ilK ä er Fall bei Tar-
ffiiul^ In d risinM und Chiromys unter den Halbaffen, ebne daHhier die ursprüngliche An-
i zahl wesentlich vermindert wird. Für die gänzliche Unterdrückung; dfä Milchgebisses infolge
hoher Differenzierung des Ersatzgebisses können die Sp ric id a e als Beispiel « n e n .
Auf diese Weise habe ich denn auch früher den Schwund der Miichzähne der mittleren
Ante-Molaren bei Brir.a eeu s erklärt. Jedoch reicht jedenfalls die physiologische Entwertung
hier nicht aus. um alle Einzelheiten dieser Erscheinung zu erklären. So ist es von diesem Gesichtspunkte
aus nicht verständlich, weshalb I d 3 5), welcher dem stark ausgebildeten 13 ¡entspricht;
bis auf ein winziges Rudiment verschwunden ist, während 'dem viel kleineren 12 ein
gut au.sgehildelcr I d 2 vorausgeht. Ganz derselbe Einwand erhebt sich betreffs P 3 in: Vergleiche
mit P 2. Die Erklärung dieser Befimde bei E rinaceus' erhalten wir erst, wenn wir
auch das Verhalten bei den Gymnurini heranziehen. Dann zeig t es: Sich nämlich, d ass der
Verlu st, resp. die R ü ck b ild u n g des I d 3 und P d 2 bei E rin a c e u s ein v o n ^ n e n ere
rb te r, n ich t e tw a e r s t von E rin a c e u s e rw o rb en e r Z u s tan d ist, da g e r a d e diese
Milchzähne bei den Gymnurini schon ä f a s e r s t verk ümm ert sind. Die Rückbildung
d e r frag lich e n M Ä h z ä h n e bei den Gym n u rin i h a t ab er in d e r S c hw ä c ||f der entsp
re ch e n d e n p e rs is tie re n d e n Zähne ih re v o llg ü ltig ä pU rs a c h e “).
Bezüglich der unteren Zähne bei E rin a c e u s reicht dagegen die physiologische Entwertung
allein aus, um sowohl den gänzlichen Verlust gewisser mittlerer Ante-Molaren des
s t a u
e h e r A
1) Nach Wortmans Untersuchungen (97);soll bei den T i llo d o n t ia auch obenI 2, nicht1 1 differenziert werden.
2) Im Folgenden werden der Kürze halber die oberen Zähne als 1 1, I d 1, P 2 etc., die unteren als 1 1, I d 1,
P 1 bezeichnet.
3) Hierüber wie über G d siehe auch das Folgende.
Übrigens sind auch bei einigen anderen Insektivören die Ursachen der Rückbildung des Milchgebisses wohl
nicht a u s s c h l ie s s l i c h in dem vorher geschilderten Differenzierungsmodus zu suchen, wie denn überhaupt die frag