Die Verwandtschaftsverhältnisse der Erinaceidae.
Wir geben in diesem Kapitel eine Übersicht der verschiedenen Formen (Gattungen und
Arten) der E r in a c e i d a e , ihrer geographischen Verbreitung, ihres geologischen Vorkommens
und ihrer charakteristischen Merkmale, um aus diesen Thatsachen sowie aus den
durch die vorhergehende Untersuchung ermittelten Befunden die genealogischen Beziehungen
der E rin a c e id en festzustellen.
Der älteste Repräsentant ist, wie erwähnt, N e c ro g ym n u ru s, welcher in dem Obereocän
des Quercy, von Hordwell (England), Headon Hill (Insel Wight) und Egerkingen (Schweiz) gefunden
ist. Das bisher vorliegende Material besteht aus Schädel und Unterkiefer mit der Mehrzahl
der Zähne1).
Der Schädel von N e c ro g ym n u ru s verbindet fgnach dem etwas mangelhaften Material
zu urteilen — reine Gym n u r inen- Charaktere mit solchen, welche die E r i n a c e i n i auszeichnen
:
1) der Bau des Tympanicum und
2) das Fehlen einer Grube im Basisphenoideum stimmt mit den Gymnurini überein;
3) das Verhältnis des Gesichts- zum Hirnschädel (etwa wie bei Hylomys) nähert sich
dem Verhalten dei E rin a c e in i;
4) Necrogymn. weicht von den Gymnurini ab und stimmt mit den E rin a c e in i in dem
Vorkommen der für letztere so charakteristischen Öffnungen im Gaumen überein.
Die A n a ly se des S ch äd e ls b e s tä tig t som it vollkommen d as R e su lta t, zu
welchem die v e rg le ic h e n d e U n te rsu ch u n g des Z ah n sy s tem s g e fü h rt h a t: N e c r o gym
n u ru s b ild e t die A u sg an g s fo rm für dfe ü b rig en Gym n u rin i und E rin a c e in i2).
1) Bezüglich der unterschiedenen Arten ist zunächst zu bemerken, dass die von L y d e k k e r (87) aufgestellte
Art N. m a jo r von Hordwell unhaltbar und mit N. c a y lu x i F ilh o l (84) zu vereinigen ist. Die mir vorliegenden
Unterkiefer aus dem Quercy bilden nämlich eine ununterbrochene Reihe von den kleinsten, welche mit dem als N.
c a y lu x i von F i lh o l (84) beschriebenen Stücke übereinstimmen, bis zu solchen, welche sich unmittelbar an N. m a jo r
anschhessen. Hierbei ist zu bemerken, dass die Länge der Molarenreihe nicht oder sehr wenig schwankt. Da nun
L y d e k k e r keine anderen Differenzen zwischen N. c a y lu x i und m a jo r nachgewiesen hat, als solche, welche in
der verschiedenen Grösse bestehen, so verliert offenbar m aj o r seine Artberechtigung. Dagegen dürfte es sich empfehlen,
N. minor F ilh o l (84) bis auf weiteres als besondere Art, Varietät oder Rasse von N. c a y lu x i getrennt
zu halten.
Ferner habe ich durch Untersuchung zweier mir vorliegenden Schädelstücke von C a y lu x o th e r ium e leg an s
F ilh o l (84) feststellen können, dass diese Form, wie schon S ch lo s s e r und L y d e k k e r vermuteten, nichts anderes
als der zu dem Unterkiefer des N. c a y lu x i gehörige Schädel ist.
2) Kein ernsthafter Einwand kann dieser Auffassung aus dem Umstande erwachsen, dass einer der angenommenen.
G a lerix ex ilis Pomel1) ist im Mittelmiöcän von Grive-St.-Alban, Sansan, Orléanais, Gaierix.
Steinheim, Dinotheriensand in Bayern, Hahnenberg bei Nördlingen, Vermes (Berner Jura),
Göriach (Steiermark) und wahrscheinlich im Wiener Becken angetroffen. Von ihm sind Schädel,
Unterkiefer, Schulterblatt, Becken, Oberarm, Unterarm, Oberschenkel und Unterschenkel (das
meiste von Steinheim) beschrieben worden.
G a le rix ist bisher allgemein als der fossile Vertreter der lebenden Menotyphla (Tu-
p a iid a e , Macroscelididae) oder doch als mit diesen am nächsten verwandt angesehen worden2).
Schon 1883 wies ich auf die gänzlich abweichende Form des Beckens bei G a lerix und
den M en otyphla hin und betonte die Ähnlichkeit des G alerix-Beckens mit dem des Hylomys.
Durch eingehende Untersuchung auch der übrigen Reste von Galerix kann ich jetzt feststellen,
dass d iese G a ttu n g n i c h t ^ u den Menotyphla g eh ö rt, so n d e rn ein ty p is c h e r
Gymnurine ist.
Was zunächst die Zähne des Ga lerix betrifft, so war schon mehreren früheren Untersuchern
ihre Verschiedenheit von denen der Menotyphla aufgefallen. Nicht nur in der Anzahl,
sondern auch in den Einzelheiten des Baues der Zähne schliessen sich diese zunächst
denen bei Necrogymnurus an; ich erinnere hier nur an die für alle E rin a c e id a e so charak-
R e c h te r Oberkieferknochen. Textfig. L I I M a c r o s c e l i d e s r o z e t i , L I I I G a l e r i x e x i l i s (Steinheim), L IV Gym n u r a r a f f l e sii.
L I I und L I I I 8/j nat. Gr., L IV i ’ /g nat. Gr.
teristische zentrale Zwischenspitze der oberen Molaren, welche bei den Menotyphla ebenso wie
bei allen ändern Insektivoren fehlt. Auch der Schädel weicht kaum von dem der Gymnurini
ab. Besonders auffallend ist die Übereinstimmung des Oberkieferknochens bei G a lerix und
Gym n u ra , während die Unterschiede zwischen dem ersteren und dem mehrfach zum Vergleich
herbeigezogenen Mac ro s celi des ro z e ti recht bedeutend sind (Textfig. LII—LIV); dies fallt besonders
bei einer Vergleichung der Lage des Foramen infraorbitale und der charakteristischen
Abkömmlinge, P a la e o e r in a c eu s , gleichzeitig mit den Vorfahren im Obereocän vorkommt. Denn ebenso wie Palaeo -
e r in a c eu s vom Obereocän bis zum Mittelmiocän reicht, darf man wohl annehmen, dass N e c ro g ym n u ru s viel früher
als in der Obereocänperiode gelebt hat; bekanntlich sind zur Zeit alteocäne Säugetierreste in Europa recht spärlich.
1) = P a ra so re x - so c ia liS von M e y e r , F r a a s (70);-, über G a le r ix vergleiche ferner S ch lo s s e r (87),
. F ilh o l (9 1J, D ep e re t (87) und G a illa rd (99).
2) F ra a s (70) findet die grösste Übereinstimmung zwischen G a le r ix und T u p a ia . Nach S c h lo s s e r (87)
bestehen Beziehungen sowohl z u T u p a ia als zu M a c ro sc e lid e s , ohne dass jedoch ein direkter genetischer Zusammenhang
zwischen den genannten Gattungen und G a le r ix nachzuweisen ist. Z i t t e l (91) ebenso wie F low e r und L y d
e k k e r (91) stellen G a le r ix zu den T u p aiid a e , und soll er Merkmale dieser mit solchen der M a c ro s c e lid id a e vereinigen.