allgemein angenommen wird,. dass die Sahara stets eine Barrière zwischen dem nördlichen
Afrika und der äthiopischen Region gebildet hat1), só ist dies nicht so zu verstehen, dass
nördlich und südlich von dieser Barrière nicht nahe verwandte Formen Vorkommen könnten.
Um uns hiervon zu überzeugen, mag a nH e rp e s te s ichneumon und c a ffe r erinnert werden,
welche einander so nahe verwandt sind, dass sie als Rassen e in e r Art aufgefasst worden
sind2), und denen wesentlich nur infolge ihrer geographischen Getrenntheit die Würde selbständiger
Arten verliehen worden ist: H. ichneumon hat nämlich eine dem E. a lg iru s ähnliche
Verbreitung, während H. c a ffe r im Süden der Sahara vorkommt. Es kann somit die
Verbreitungsart des a lg iru s nicht als Einwand gegen seine Zugehörigkeit zu den äthiopischen
Formen dieses Stammes angeführt werden.
V. Der Europaens - Stamm
umfasst nur E^ e u ro p a e u s : weite Verbreitung in der paläarktischen Region (vom westlichen
Europa (Portugal) an bis in die daurischen Hochsteppen und das Amurland, südlich über Italien
und Südosteuropa bis in die kaukasischen Länder3); ausserdem in China (E. dealbatus) und
Palästina4). In nördlicher Richtung geht er in Schweden bis zum 63°, in Russland bis zum 61°
nördlicher Breite).
Es scheint mir allerdings zweifelhaft, ob e u ro p a e u s von einer anderen Stammform als
die Mitglieder des fröntalis-Stammes abzuleiten ist. Der Anschluss an diesen Stamm, speziell
an a lgirus, ist so auffallend, dass man wohl versucht sein könnte, e u ro p a e u s als ein Differenzierungsprodukt
des a lg iru s oder doch einer beiden sehr nahestehenden, aber unbekannten
Form aufzufassen. Aber teils der Umstand, dass ich nicht mit unbekannten Faktoren rechnen
will, teils die hohe Differenzierung und die geographische Verbreitung des eu ro p a e u s lassen
es mir als das Vorsichtigste erscheinen, demselben wenigstens bis auf weiteres eine Sonderstellung
einzuräumen.
In bezug auf die allgemeine Form des Schädels (siehe oben pag. 88), den Bau der
Tympanalregion und den gut entwickelten oberen P 3 stimmt er mit dem frontalis-Stamm
überein.
Speziell in seiner ganzen äusseren Erscheinung und der Färbung ist er dem a lg iru s ,
dessen Verbreitungsgebiet an das seine grenzt, beziehungsweise in dieses (Spanien) übergreift,
auffallend ähnlich. Während früher die weisse Farbe des a lg iru s am Vorderkopfe und an
der Ventralfläche des Rumpfes als ein Unterscheidungsmerkmal angesehen wurde, hat neuerdings
De W in to n 5) nachgewiesen, dass algirus-Exemplare aus Marocco auch hinsichtlich
der Färbung mit e u ro p a eu s übereinstimmen.
Höher d iffe re n z ie rt als a lg iru s und zugleich als irg en d eine a n d e re lebende
o d e r fo ss ile E rin a c e u s -A rt ist e u ro p a e u s in folgenden Eigenschaften:
1) Bedeutendere Körpergrösse; im näheren oder ferneren Zusammenhang mit dieser
Eigenschaft stehen andere Differenzierungen wie stärkere Crista sagittalis und occipitalis und
die Form des Processus coronoideus (siehe oben pag. 52, 54).
1) L y d e k k e r (96) pag. 255.
2) T h om a s 82.
3) B ra n d t -W o ld rieh (87) pag. 18.
4) Nach Exemplaren im zootomischen Institut zu Stockholm.
5) De Winton (97) pag-955-
2) Differenzierung des Gebisses, namentlich die hohe Ausbildung, welche die oberen 13,
C, P 2, die unteren P 4 und Pd 4 innerhalb der Grenzen dieser Art erreichen. Die während der
Ontogenese sich vollziehende Lageveränderung des oberen 12 (vergl. oben pag. 17) ist gleichfalls
hierher zu rechnen.
3) Die Rippenknorpel sind unregelmässig verbreitert, während sie bei den übrigen von
mir darauf untersuchten Arten ( a lg ir u s , m ic r o p u s , c o l l a r i s , a lb u lu s , a u r itu s ) viel
schlanker sind und einen mehr kreisrunden Durchschnitt haben.
4) Grössere Anzahl der Dorsolumbalwirbel1).
In betreff des Verhaltens der Processus nasalis intermaxillae et frontis ist e u ro p a e u s
höher differenziert als die Mehrzahl der anderen Arten, aber nicht als a lg iru s.
Man d a r f wohl d ie s en h ö ch sten D iffe re n z ie ru n g sg ra d als eine U rsach e der
g rö s s e re n g e o g ra p h is c h e n V e rb re itu n g , d u rc h welche sich e u ro p a e u s vo r allen
a n d e re n A r te n au sz e ich n e t, auffassen.
In den folgenden zwei Punkten ist eu ro p a e u s w e n ig e r differenziert als a lg iru s (und
die übrigen Mitglieder des Frontalis-Stammes) :-
1) Hallux gut entwickelt.
2) Palatinum hinter der Crista transversa klein.
Als fernere Unterschiede zwischen a lg iru s und e u ro p a e u s führe ich Verschiedenheiten
im Bau des Schulterblattes, des Beckens und der Leber2) an, ohne ihre stammesgeschichtliche
Bedeutung bewerten zu können.
Wir stehen hier also vor der interessanten, teilweise schon von Dobson berücksichtigten
Erscheinung, dass der äussere Gesamthabitüs von a lg iru s und e u ro p a e u s eine zum
Verwechseln grosse Übereinstimmung darbietet, während zugleich eine ganze Reihe unterscheidender
„ in n e re r“ Merkmale vorhanden ist. Mit Rücksicht auf diese letzteren scheint mir
die Übereinstimmung in der äusseren Erscheinung nicht notwendig durch unmittelbare Verwandtschaft,
sondern eher durch Konvergenz hervorgerufen zu sein, womit natürlich die Zugehörigkeit
beider Arten zu demselben Stamme nicht in Frage gestellt zu werden braucht.
1) Von 10 untersuchten Individuen des collaris-Stammes (8 albulus, 1 auritus, 1 collaris) haben sieben 19, drei 20
Dorsolumbalwirbel; 1 micropus, I a lg iru s (nach D o b so n auch deserti) haben 20, während 4 europaeus 21 Dorsolumbalwirbel
haben (dieselbe Anzahl fand auch D o b so n ) ; vergleiche die Tabelle oben pag. 59.
2) 1. Die Fossa supraspinata scapulae hat eine andere Form und ist bei a lg iru s relativ etwas grösser im distalen
T(gle„als bei eu ro p a eu s ; auch dasForamen nutritium hat eine andere Lage. — 2. Der Ramus descendens pubis und der
Ramus ascendens ischii sind viel stärker bei europaeus als bei algirus. — 3. Die Leber von algirus schliesst sich europaeus
näher an als den übrigen von Dobson beschriebenen und abgebildeten E.-Arten. Doch überragt der Lobus centralis sinister
bei europaeus distalwärts den Lobus lateralis sinisterAet. centralis dexter; in diesem Punkte stimmt algirus besser mit
den übrigen E.-Arten überein. Auch in der Form des Lob. caudatus ergeben sich Verschiedenheiten zwischen algirus
und europaeus.