mufs jeder Mann, der den Säbel führen kann, besonders die
Edlen, mit dem Fürsten zu Felde ziehen, und Feigheit wird mit
der äufsersten Verachtung bestraft.
Die zwey entgegengesetzten Gewohnheitsgesetze der Gastfreundschaft
und der Blutrache werden unter der Tscherkessi-
schen Ritterschaft, und auch unter den meisten übrigen Nationen
des Caucasus, heilig beobachtet. Das Gastrecht (K u n a k )
ist auf gewisse Grundsätze gestellt und ein jeder, der sich unter
dem Schutze desselben befindet, ist gegen alle Beleidigungen vollkommen
sicher. Der Gastfreund schützt ihn im erforderlichen
Falle mit seinem und der Seinigen Blut und Leben, läfst ihn
nicht ohne Rittergeleit ziehen, überantwortet ihn seinen Bundesverwandten
, und ein an dem Gast verübter Mord oder Frevel
wird eben so strenge, als der Tod eines Blutsverwandten gerächt.
Ein Fremdling, der sich unter den Schutz eines Weibes
begiebt oder die Brust des Weibes mit dem Munde berühren
kann, wird, wenn er auch ein Feind, ja der Mörder eines Blutsfreundes
wäre, als ein eigener Blutsverwandter geschont und
beschützt.
Die Blutrache wird eben so gewissenhaft unter den Tscher-
kessen ausgeübt. Den Mord eines Blutsfreundes mufs der
nächste Verwandte oder Erbe, wenn er auch noch, zur Zeit des
Mordes ein Kind ist, mit aller Rachsucht, früh oder spät, öffentlich
oder hinterlistiger Weise, an dem Leben des Mörders
rächen, wenn er nicht, als ein Verworfener, aus der Gesellschaft
ausgestofsen seyn will. Ja diese Rache erbt auf die Nachkommen
und auf den ganzen Stamm, und ist so unveränderlich,
dafs Fürsten oder Adelige zweyer Stämme, die Blutrache auf
einander haben, wenn sie sich einander auf einem Wege oder
an einem dritten Orte begegnen, sich entweder auf Leben oder
Tod schlagen, oder einander warnen und nach verschiedenen
Gegenden aus einander reiten müssen. Bey den Tscherkessen
wird so gar die ganze Blutsverwandtschaft des Todtschlägers für
schuldig gehalten. Diese Nothwendiglteit, verwandtes Blut zu
rächen, bringt die meisten Fehden und das meiste Blutvergie-
fsen unter ihnen und allen Caucasischen Völkern hervor, und
geht, wenn sie nicht abgekauft oder durch Verheirathung oder
Vergleich zwischen zwey Familien endlich einmal aufgehoben
wird, ins Unendliche fort. Der Hafs der Gebirgvölker gegen
die Russen ist zum Theil auf eben diese Blutrache gegründet.
Der Preis, der zur Beylegung einer Blutrache-an die Familie
des Erschlagenen gezahlt wird, heist T h l i l -U a s a , d. i. Blutpreis.
Allein Fürsten und Usdens nehmen keinen Preis, sondern
fordern Blut um Blut.
Bey ihren Lustbarkeiten können die jungen Leute ganz
frey mit einander umgehen, wie denn überhaupt das weibliche
Geschlecht bey ihnen gar nicht eingeschränkt und auch nicht
scheu ist. Es wird aber bey den Freyereyen genau auf den
Rang gesehen. Kein Usden darf sich unterfangen nach einer
Fürstentochter zu streben; ‘hat eine solche Liebe jemals Statt,
oder entführt gar ein U sd e n eine Fürstentochter, so hat der
Liebhaber, ohne Gnade, bey der ersten Gelegenheit das Leben
verwirkt. Wenn ein Sohn oder eine Tochter sich verheirathet,
dürfen sie sich ein ganzes Jahr lang, oder bis ein Kind geboren
C c c 2