
uns ging es so, und lebhaft vergegenwärtigten wir uns all die Kämpfe der
Helden aus der Ilias. Jede Insel, ja jeder Ort, wenn er in seinem Namen
noch einen Anklang an das Älterthum hatte, oder Ruinen ihn auszeichneten,
rief liebliche Jugenderinnerungen in uns zurück. — Wir kamen dann nach
Lesbos, wo Sappho geboren. Vor Mitylene, der Hauptstadt, nach welcher
je tz t die ganze Insel benannt wird, hielten wir nur eine kurze Zeit an, so
dass uns nicht verstattet war, an das Land zu gehen. Die Stadt liegt in
einer Bucht, an deren Eingang die Festung, Castro, sich malerisch ausnimmt.
Die ganze Insel macht, von der Feme gesehen, denselben Eindruck, wie
Imbros, ist ebenfalls in der Mitte von einer Bergkette durchzogen, und erscheint
auch kahl; in der Nähe aber bemerkt man auf ihr viel Olivenwälder
und Getraidefelder, auch an der Südostseite viele Ortschaften, welche an-
muthig unter Olivenwäldem liefen.
Am späten Abend, gegen 1 0 * ä Ubr, erreichten wir Smyrna, wo wir fast
24iStunden liegen blieben, und ein anderes Schiff besteigen mussten, da
unser bisheriges Dampfboot, welches uns von Konstantinopel bis dahin gebracht
hatte, über Syra und Athen nach Triest ging. Dieses häufige Wechseln
der Fahrzeuge ist bei den theuem Preisen der Fahrt, welche dadurch noch
erhöht werden, dass man mit Ausnahme des österreichischen Conventionsgeldes
alle anderen Münzsorten nur zu den allerniedrigsten Cursen annimmt,
ein grösser Uebelstand bei den Fahrten auf Dampfschiffen der Lloyd-
Gesellschaft. Wir trennten uns hier von den Passagieren, welche nach Griechenland
und Triest gingen. Unter diesen war auch ein Deutscher, Namens
Wilke , welcher in Halle studirt hatte, früher Professor in Athen gewesen,
und jetzt in gleicher Eigenschaft auf dem Lyceum der Insel Chalkis in dem
Marmormeer angestellt war.
W ir standen den folgenden Morgen sehr früh auf, brachten unsere
Sachen nach dem anderen Dampfschiff, Arciduca Giovanni, von nur 120
Pferdekraft, nahmen uns Plätze in der Kajüte und fuhren nach der Stadt,
welche amphitheatralisch den Hafen entlang gelegen, und an einen Berg
gelehnt ist, auf dessen Spitze die ausgebreiteten Ruinen der alten Burg
majestätisch ruhen. An das Land gestiegen begegneten wir hier zum ersten
Male einem Zuge von Kameelen, eines an das andere gebunden, und hinter
einander gehend, so wie schwer belasteten Maulthieren, Eseln und Pferden,
und wurden sogleich bei unserm Eintritt daran erinnert, dass wir in einer der
grössesten Handelsstädte des Orients angelangt waren. Die Strassen fanden
wir reinlicher und besser gepflastert als in Konstantinopel, und die Häuser,
wenn auch meist hölzern, doch nicht ohne freundlichen Anstrich. Da es
noch sehr früh war, so gingen wir zuerst in das Hotel des Herrn Deutsch, eines
Würtembergers, bei welchem der Consul früher logirt hatte, und tranken bei
dem freundlichen Wirth eine Tasse Kaffee; sodann suchten wir Herrn Spier
gelthal, damaligen Consul, späteren Generalconsul, auf, welcher schon von
unserer bevorstehenden Ankunft durch Sr. Exc. den Herrn von Wildenbruch
benachrichtigt worden war, und wurden von ihm zum Diner eingeladen.
Wir benutzten die Zwischenzeit zu einem Ausflug nach der Ruine, ritten zu
Esel durch die Stadt und den Berg hinan, mussten aber den letzten Theil
des Weges, welcher sehr steil war, zu Fuss zurücklegen. Von oben hatten
wir die prächtigste Aussicht über die Stadt, den Hafen und die ganze Umgegend.
Jenseit des Hafens nacb der Westseite hin wird die Aussicht gehemmt
durch die lang hingestreckte, von Süden nach Norden laufende Landzunge,
welche aus einer ununterbrochenen Kette von kahlen Felsen besteht,
unter denen sich der Stadt gerade gegenüber zwei gleich hohe nebeneinander
stehende, und desshalb . J o ! „die zwei Brüder“Lr^ - genannte Bergspitzen
auszeichnen, deren Schluchten das ganze J ah r hindurch die Stadt
mit Eis versorgen. Dicht am Hafen liegt das Franken- oder europäische
Stadtviertel, das reinlichste und beste; an dieses schliesst sich, von oben gesehen,
links das griechische und armenische, rechts das türkische, und dahinter
das jüdische an. In der Mitte der Stadt sind 4 Chane, grosse Gebäude
im Quadrat von Stein erbaut, welche einen geräumigen Hof ein-
schliessen, und worin die fremden Kaufleute ihre Wohnungen und Niederlagen
haben. Nach der Landseite zu, und zwar nördlich und östlich schliessen
die Stadt üppige Fruchtgärten ein, und nördlich von Smyrna, da, wo die
alte Stadt gestanden haben soll, liegt Bumabad, ein Vergnügungsort für die
Stadtbewohner, wohin täglich drei Mal ein Dampfboot geht. Weiterhin nach
Norden, Osten und Süden erblickt man nichts als kahle Gebirge. Die Burgruine,
welche nach der Versicherung unsers Führers 660 Schritt lang sein
soll, zeigt noch, wiewohl verwittert und zerrissen, theilweise die Ringmauern
und die Mauern der innem Gebäude, aber alle Sculpturen, welche bis vor
Kurzem noch vorhanden gewesen sein sollen, waren abgerissen. Auf demselben
Berge, nur etwas tiefer, erblickten wir die Ruinen einer der 7 ältesten
christlichen Kirchen, weiterhin eine alte, aber restaurirte griechische Kirche