
kälter ist, doch schien auch dieser Winter hier eine Ausnahme zu machen,
und nachzuholen, was er vorher versäumt hatte. Ueberhaupt ist aber in Jeru-
salem, weil es hoch und dem Luftzug sehr ausgesetzt ist, die Hitze fast nie
unerträglich, und nur wenige Tage in den Monaten Jun i und Ju li soll sie
zuweilen, wenn der Scirocco, der Samum der Orientalen weht, drückend sein.
Am grünen Donnerstage ging ich zum heiligen Abendmahl; es war
ergreifend für mich, wieder einmal in eine ordentliche evangelische Kirche
zu kommen, eine Orgel, deutsche Predigt, deutsche Gesänge zu hören, und
an diesem Tage, an dieser heiligen Stätte das Liebesmahl des Herrn in
Gemeinschaft mit lieben Landsleuten und Glaubensgenossen zu feiern.
Am Charfreitag, den 25ten März, war eine grosse Proeession der Fran-
ciscaner in der Grabeskirche. Es wurde die Kreuzigung Jesu, die Kreuzesabnahme
und die Grablegung bildlich dargestellt, ein Jesusbild an das Kreuz
genagelt, aufgestellt, wieder abgenommen, auf dem Steine des Nicodemus
gesalbt, und dann nach der Grabeskapelle getragen, wobei von einzelnen
Mönchen Predigten in englischer, spanischer, französischer, deutscher und
arabischer Sprache gehalten wurden. Da diese Feierlichkeit in dem vordem,
engen Kaum der Kirche stattfand, und bei dem Zusammenfluss von Fremden
ein grosses Gedränge vorauszusehen war, so musste, um Unruhen und Störungen
zu vermeiden, türkisches Militär ein Spalier bilden, welches wahrscheinlich
bei dem Anblick der Ceremonien in seiner Ansicht, dass die
Christen Götzendiener seien, nur noch mehr bestärkt wurde.
Die Unfreundlichkeit der Witterung in den ersten Tagen meines Aufenthalts
verhinderte mich nicht, mehrere Besuche zu machen, und Bekanntschaft
mit Männern anzuknüpfen, von denen ich zum Theil schon so viel
Kühmliches gehört hatte. So lernte ich nächst unserm wackern deutschen
Prediger Valentin er zuvörderst sämmtliche Glieder der englischen Mission
kennen, an ihrer Spitze den würdigen Vertreter der evangelischen Kirche,
den Bischof Gobat, ferner den eifrigen Prediger und ältesten Missionar in
Jerusalem, Mr. Nicolayson, den biedern Prediger Mr. Crawfurd, damals
Kaplan des Bischofs, jetzt in Nicolayson’s Stelle getreten, den rastlos thä-
thigen Dr. Sandretzky, welcher sich jetzt, durch seine Missionsreise nach
Kurdistan bekannt gemacht hat, den liebenswürdigen Mr. Daniels, und das
jüngste Glied der Mission Mr. Hodges, so wie den tüchtigen Arzt der Mission
Dr. Maeown und dessen chirurgischen Assistenten Mr. Simon kennen. Allen
diesen habe ich viele genuss- und lehrreiche Stunden zu danken, und
namentlich haben sich Dr. Sandretzky, Valentiner und Daniels meiner auf
das Freundlichste angenommen. Bei dem Letztem, der ganz in meiner Nähe
wohnte, brachte ich viele Abende zu, und lernte auch Mr. Brühl aus Bagdad
kennen, der mich sogleich zu sich einlud, wodurch der Gedanke, dahin zu
gehen, den ich bisher für unausführbar gehalten h a tte , in mir zur Reife
kam. Leider war Mr. Daniels wegen seiner eignen und seiner freundlichen
Gattin Kränklichkeit genöthigt, Jerusalem zu verlassen, und ist, wie ich
höre, nach Australien gegangen. Dr. Rosen, welcher kurz nach mir in
Jerusalem eintraf, machte mich sodann mit seinen Collegen, dem französischen
Consul Botta, dem Ersten, welcher als Consul in MosubAusgrabungen
in Ninive veranstaltet hatte, dem östreichischen Conte Pizzamano, und dem
englischen Mr. Finn bekannt, welche mich mit gleicher Freundlichkeit auf-
na.liTnp.Ti Der Letzte derselben ist der Gründer einer evangelisch -littera-
riseben Gesellschaft, welche jeden Freitag Abend bei ihm sich versammelt,
und zu der er mich sogleich ein für alle Mal freundlichst einlud. Dieser
Verein wurde von ihm unter dem Namen „Jerusalem literary society“ den
20ten November 1849 gegründet, und er selbst zum lebenslänglichen Prä sidenten
desselben ernannt. Der Zweck ist die allseitige Erforschung des
heiligen Landes im weitesten Umfange, von dem Mittelmeer bis zu dem
Euphrat, und von dem Nil bis zu dem Orontes. Es werden in den Versammlungen
Besprechungen und Vorträge aller Art, in deutscher oder englischer
Sprache, geographischen, historischen, philologischen, naturhistorischen
und antiquarischen Inhalts gehalten, welche dann Eigenthum der Gesellschaft
bleiben, und ein genaues Protocoll wird darüber geführt; nur rein theologische
Discussionen sind ausgeschlossen. Als ordentliche Mitglieder werden
nur evangelische Christen aufgenommen, und zwar Frauen sowohl als Männer,
welche in dem heiligen Lande selbst wohnen. Diese verpflichten sich zugleich,
nach Kräften für die Erhaltung der Denkmäler des Alterthums Sorge zu
tragen, und aller Vernichtung oder Verstümmelung derselben vorzubeugen.
Zu der Bibliothek und dem Museum, welche damit verbunden sind, steht
der Eintritt einem Jeden, auch den Fremden jederzeit offen. Interessant
war mir besonders ein Vortrag des Pred. Valentiner, welcher die Topographie
von Jerusalem selbst behandelte. E r ging dabei von der einzig ausführlichen
und sichern Quelle, dem Josephus aus, welcher eine ziemlich genaue
Beschreibung von Jerusalem gegeben hat. Das Resultat seiner Untersuchungen
war abweichend von allen bisherigen Ansichten, indem er zeigte,