
sein von der Stäbchengestalt abweichen, ein Fadenstück nicht gefunden werden konnte. Die
Stäbchengestalt der Trichocysten konnte aber nur beibehalten werden unter Verzicht auf
die bimförmige Auftreibung der typischen Nesselkapsel, die das vielfach um das Anfangsstück
des Fadens aufgerollte Fadenende auf nimmt. Durch diesen Verzicht findet natürlich
wiederum die begrenzte Länge des Trichocystenfadens ihre Erklärung.
Ich glaube nicht, daß die Berechtigung vorliegt, an dieser Stelle den Einwand zu
äußern, daß die Stäbchengestalt der Trichocysten durch den Raummangel im Ciliatenkör-
per bedingt ist, denn wir kennen in den Polkapseln der Mikrosporidien typisch ausgebildete
Nesselkapseln, deren Dimensionen denen der Trichocysten entsprechen.
Lassen wir zunächst die Frage nach den Faktoren offen, die die Aufrollung des Trichocystenfadens
in den Ruhestadien ausschließen, so sehen wir, daß auf dem durchgeführten
Wege die Länge des Fadens bei gegebener Trichocystengröße ein gewisses Maß nicht überschreiten
kann. Betrachten wir zum Vergleich den Faden einer hochentwickelten Nesselkapsel,
so stellen wir fest, daß dieser den vielfachen Wert der Länge der Kapsel erreicht.
Wir dürfen daraus wohl schließen, daß fü r seine W irksamkeit als Angriffs- oder Verteidigungsmittel
die Länge des Fadens von ausschlaggebender Bedeutung ist. Diese Vermutung
wird dadurch bestätigt, daß wir bei den am stärksten wirksamen Nesselkapseln auch die
längsten Fäden finden. Da bei den Trichocysten die Länge der Kapseln bestimmend ist
für die Länge des Fadens, so kann eine Verlängerung des letzteren nur erzielt werden durch
eine Verlängerung der ruhenden Trichocyste, die, wie wir sahen, in Gestalt und Länge der
Kapsel entsprechen. Werden Trichocysten mit besonders langen Fäden benötigt, so müssen
die Ruhestadien entsprechend lang sein.
Hierdurch wird es erklärlich, daß die Anpassung der Trichocysten an die verschiedenen
Aufgaben innerhalb eines Individuums ihren Ausdruck findet in der Verschiedenheit
der Länge. Bei Ciliaten mit Trichocysten verschiedener Länge finden wir die langen Trichocysten,
die durch ihre größere Wirksamkeit für den Nahrungserwerb benutzt werden, vorzugsweise
in der Nähe des Mundes angeordnet. Die kürzeren Trichocysten dagegen, die
wahrscheinlich als Verteidigungsmittel dienen, liegen im übrigen Körper verteilt. Um
die Wirksamkeit der zum Beutefang bestimmten Trichocysten zu steigern, war offensichtlich
die Ausbildung sehr langer Trichocysten vorteilhaft. Nur von diesem Gesichtspunkte
aus sind wohl die erstaunlich langen Trichocysten von Pseudoprorodon und anderen räuberischen
Formen zu erklären. Die wachsende Länge der Trichocysten mußte aber naturgemäß
die Beweglichkeit der Tiere behindern und so wird es verständlich, daß sich bei besonders
langen Trichocysten verschiedentlich eine weitgehende Biegsamkeit beobachten läßt. Hierdurch
vermögen die langen Ruhestadien sich den Bewegungen der Tiere anzupassen.
Außer der Verlängerung der stäbchenförmigen Ruhestadien besteht noch eine zweite
Möglichkeit zur Verlängerung des ausgeschleuderten Trichocystenfadens. Und zwar ist
diese dadurch gegeben, daß aus dem Trichocysten faden ein Fadenendstück heraustritt und es
um seine Länge vergrößert. Von dieser Möglichkeit fand ich allerdings nur selten Gebrauch
gemacht, und zwar in den beiden Gattungen Prorodon und Dileptus.
Wir sind hiermit noch einmal auf die zweite Besonderheit der Nesselkapsel-Tricho-
cysten zu sprechen gekommen, nämlich das Fadenstück in seinen verschiedenen Ausbildungen.
Nach dem Dunkelfeldbild der Prorodow-Trichocysten konnte man vielleicht geneigt
sein, es als eine Giftsubstanz am Ende des Fadens zu bezeichnen. Gegen diese Auffassung
spricht aber in sehr eindringlicher Weise, daß in der übergroßen Mehrzahl der Fälle das
Fadenstück den Faden nicht verläßt, sondern innerhalb desselben, und dazu noch in dessen
Anfangsteil, liegen bleibt. Wir können auch nicht sagen, daß den mit diesen Trichocysten
ausgerüsteten Formen das Vermögen, ihre Beuteobjekte zu paralysieren, fehlt; finden wir
diesen Trichocysten-Typ doch gerade bei Formen, die wie Didinium- und Spathidium-Arten
ihre Beute mit Hilfe der Trichocysten töten.
Die Beobachtung, daß das Fadenstück bei den meisten Trichocysten innerhalb des
Fadens verbleibt, macht es denkbar, daß ihm eine Stützfunktion für den dünnen
Trichocystenfaden zukommt. F ü r den Fall, daß das Fadenstück in seiner Länge dem Tricho-
cystenfaden gleicht, wäre diese Funktion noch am verständlichsten. Dagegen bereitet dieser
Auffassung die Tatsache Schwierigkeiten, daß bei der Mehrzahl der Trichocysten die
Länge des Fadens wesentlich größer ist als die des Fadenstücks und dieses fast stets im
Anfangsteil des Fadens liegen bleibt und damit der vordere beim Eindringen in ein Objekt
besonders beanspruchte Teil ohne Stütze bleibt. Man könnte aber natürlich noch mit der
Möglichkeit rechnen, daß in den Anfangsstadien der Explosion, in denen der Trichocystenfaden
nur teilweise ausgetreten ist, das Fadenstück schon in denselben eingetreten ist und
seine stützende Wirkung einen normalen Ablauf der Explosion garantiert. Allerdings sprechen
die m ir zu Gesicht gekommenen Explosionsstadien nicht für eine solche Ansicht, wenngleich
ihr pathologischer Charakter die Möglichkeit offen läßt, daß es sich nicht um normale
Stufen der Explosion handelt.
Im Ganzen genommen kann man nur sagen, daß die Funktion der verschiedenen Ausbildungsformen
des Fadenstückes im Augenblick nicht eindeutig zu klären ist. Es ist denkbar,
daß wir es überhaupt nicht mit einer funktionell einheitlichen Struktur zu tun haben,
daß vielmehr die verschiedenen Fadenstücke auch verschiedenen Aufgaben dienen.
Fassen wir noch einmal kurz das Ergebnis unserer bisherigen Betrachtungen zusammen,
so haben wir es bei den Trichocysten der Prostomata und Pleurostomata mit Gebilden
zu tun, die, wie ich ausführlich durch meine Untersuchungen an den Prorodon-Trichocysten
darlegte, im Prinzip als Nesselkapseln angesehen werden müssen. Durch das Vorhandensein
des Fadenstückes, das ich fast ausnahmslos nachweisen konnte, unterscheiden sie sich
allerdings wesentlich von den eigentlichen Nesselkapseln. Die Anwesenheit dieses Bauelementes
engte die Ausbildungsmöglichkeiten der Trichocysten ein und läßt sie dadurch in
vielen Punkten als primitiv organisierte Nesselkapseln erscheinen. Diese Auffassung verdient
den Vorzug vor der Annahme, daß die Trichocysten phylogenetische Entwicklungsstufen
der höher differenzierten Nesselkapseln darstellen.
In bezug auf die Deutung der Funktion der Nesselkapseltrichocysten besitzen wir
mehr Hinweise als bei den übrigen Trichocysten, deren Zweck im großen und ganzen als
ungeklärt bezeichnet werden muß. Ohne Zweifel haben wir es bei den Nesselkapseltrichocysten
mit Organellen zu tun, die in vielen Fällen im Dienste des Beuteerwerbes stehen.
Die Ansicht, daß ein Teil der Trichocysten dem Nahrungserwerb dient, ist schon sehr alt
und führte Maupas zur Unterscheidung der „Angriffs- und Verteidigungstrichocysten“.
Sehen wir uns die Formen an, bei denen er das Vorkommen von Angriffstrichocysten vermutet,
so erkennen wir, daß es sich um Formen handelt, bei denen Nesselkapsel-Trichocysten
von mir nachgewiesen wurden oder bei denen sie nach ihrer systematischen Zugehörigkeit
zu erwarten sind. Am einwandfreisten wurde in neuerer Zeit bei Dileptus gigas durch
Vissher die paralysierende Wirkung der Trichocysten gezeigt. Ich habe zwar nicht bei
dieser Art selbst, aber doch bei dem nahe verwandten Dileptus anser typische Nesselkapsel-
Zoplogica, Heft 91. * 9