
F. Die Konzentration der Bauchganglien während
der Entwicklung.
Das Nervensystem der Rhynchoten zeigt durchweg einen recht hohen Grad der Konzentration
der Bauchganglien. Wir stellten im morphologischen Teil dieser Arbeit fest, daß
bei sämtlichen Vertretern die Abdominalganglien zu einer E inheit verschmolzen sind und
daß dieser Nervenknoten in enge Verbindung mit den Thorakalganglien tritt. Die Abdominalganglien
entfernen sich daher sehr weit von den von ihnen innervierten Segmenten.
Wir stellten nun bereits in der Einleitung die Frage, wie diese starke Ganglien Verlagerung
geschieht. Zwei Möglichkeiten sind denkbar: Entweder erfolgt eine Verschiebung der Ganglien
nach vorn oder aber verharren dieselben in der während der Embryonalentwicklung
gegebenen Lagebeziehung zueinander, und nur die übrigen Teile des Abdomens wachsen
in caudaler Richtung aus.
W e b e r (1934) nimmt die erste Denkmöglichkeit an: „Die Konzentration wird eingeleitet von einem Vorrücken der
Ganglien, die dabei ihre Segmente verlassen, sich einander nähern und schließlich miteinander verschmelzen.“ Wodurch
dieses „Vorrücken der Ganglien“ bedingt ist, gibt We b e r nicht an.
P l at e (1922) denkt sich die Konzentration der Ganglien dadurch bedingt, daß das Gehirn dem Bauchmark übergeordnet
ist. Je näher die Bauchganglien dem Gehirn sind, desto besser können sie von demselben beherrscht werden.
Diese Ansicht P la t e s ist zweifellos nicht teleologisch aufzufassen, eher ist an eine mechanistisch-selektionistische Deutung zu
denken. Als gestaltende Kraft könnte eine Art Neurobiotaxis angenommen werden. Die Ganglienzellen würden danach in
der Richtung des stärkeren Reizes, in diesem Fall auf das Gehirn zu, wandern.
Ohne auf diese theoretischen Erwägungen weiter einzugehen, wollen wir uns hier damit
begnügen festzustellen, in welcher Weise die Konzentration der Ganglien während der
Ontogenese der Blattläuse vor sich geht. Obwohl bereits mehrere Untersuchungen über die
Embryonalentwicklung der Blattläuse vorliegen, wurde diese Frage noch nie berührt. Nur
das „Daß“, nicht aber das „Wie“ der Ganglienkonzentration wurde bisher beachtet.
Zur K lärung dieser Frage wurden Messungen an einer großen Zahl von sagittalen Längsschnitten
durch Pemphigus bursarius und dessen Embryonen ausgeführt. Insgesamt wurden
über 400 Tiere vermessen, und zwar jeweils mehrere Individuen desselben Entwicklungsstadiums.
Die jüngsten zur Vermessung gelangenden Embryonen mußten eine deutliche
Abgrenzung der drei Hauptganglienkomplexe des Bauchmarks (Unterschlundganglion,
I.—III. Thorakalganglion, Abdominalganglion) aufweisen. Vor der Auswertung der Vermessungsergebnisse
soll kurz auf einige Stadien eingegangen werden, welche jünger sind
als das jüngste der Vermessungstiere.
Wir beginnen mit einem Stadium (Abb. 154), bei welchem die Invasion der Symbionten
gerade beginnt. Bezüglich der Beschaffenheit des Blastoderms stimmen die verschiedenen
Autoren darin überein, daß dasselbe am oberen und unteren Eipol verschieden gestaltet ist.
Die Blastodermzellen sind am oberen Eipol hochzylindrisch, am untern Pol dagegen stark
abgeplattet. Die oft diskutierte Frage, ob das Blastoderm am untern Eipol geschlossen ist,
soll uns hier nicht beschäftigen (vgl. Töth, 1933). Bei dem in Abbildung 154 dargestellten
Stadium ist jedenfalls das Blastoderm wie auch der Eifollikel (Fol) von einem schlauchartigen
Fortsatz der Mycetomzelle (Myc) durchbrochen, welcher mit dem Mycetom des
Muttertiers in Verbindung tritt. Der erste Symbiont ist gerade im Begriff, durch diesen
Schlauch in den Embryo einzutreten. Genauer läßt sich der Beginn der Symbionteninvasion
wohl nicht feststellen als bei dem hier dargestellten Stadium.
Da für die weitere Gestaltung des Embryos auch die übrigen Bestandteile von Bedeutung
sind, soll auch hierauf kurz eingegangen werden. Die Mycetomzelle (Myc) ist bei
Pemphigus im Unterschied zu allen anderen untersuchten Blattlausarten zunächst nur in
Einzahl vorhanden. Ihre Determination erfolgt ähnlich wie bei den von Töth untersuchten
Arten. Sie hebt sich schon auf sehr frühem Stadium (7.—9. Furchungsteilung) durch ihre
besondere Größe und durch den Bau ihrer chromatinreichen Kerne von den übrigen Zellen
ab. Wiederholt konnte ich wie Töth Chromatinemission feststellen. Das Plasma ist feinkörnig,
nur der das Blastoderm durchbrechende schlauchartige Fortsatz hat feinfaserige
Beschaffenheit und zeigt längliche Vakuolen, in welche die Symbionten eintreten.
Im Unterschied zu den von Töth untersuchten Arten treten auch die Dotterzellen (Dz)
stets nur in geringer Zahl (1—-2) auf. Sie liegen stets dem oberen Pol des Blastoderms von
innen her an. Nach der Mycetomzelle sind sie die größten Zellen dieses Stadiums.
Sehr früh heben sich auch die Keimzellen (Gz) von den übrigen Zellen ab. Durch ihre
Lage ist die Orientierung des Embryos eindeutig bestimmt. Sie ist in Abbildung 154 durch
die Buchstaben o=oben, u = unten, v = v o rn , h = hinten, angegeben unter Berücksichtigung
der Achsenverhältnisse des späteren Embryos.
Bei dem in Abbildung 155 dargestellten Stadium hält die Invasion von Symbionten noch
ununterbrochen an. Die Mycetomzelle wächst dadurch mächtig heran. Eigenartige Veränderungen
zeigt der Zellkern. E r hat tief becherförm ige Gestalt angenommen und die
Ränder dieses Bechers sind zudem zipfelförmig ausgezogen. In einen dieser Zipfel ragt der
mächtige Nucleolus mit seinem spitzen Ende hinein. An dieser Stelle kann man bei Eisen-
hämatoxylinfärbung feststellen, daß feinste Granula in das Plasma austreten. Möglicherweise
handelt es sich um Stoffe, welche zur Anlockung der Symbionten dienen. Die Dotterzelle
(Dz) wird durch das rasche Wachstum der Mycetomzelle mehr und mehr an die Wand
ged rückt. Die Beschaffenheit des Blastoderms hat sich gegenüber dem in Abbildung 154
dargestellten Stadium insofern geändert, als am oberen Eipol sich eine leichte Faltenbildung
bemerkbar macht. Die Zellen reichen an dieser Stelle mit ihrem Basalteil nicht mehr bis
an die Dotterzelle heran. Bei einer weiteren Größenzunahme der Mycetomzelle wird die
eben erwähnte Blastodermfalte wieder ausgeglättet (Abb. 156) und nun erst tritt die stark
verkürzte Gestalt der Blastodermzellen im Bereich der Falte recht klar in Erscheinung. Der
Zwischenraum zwischen diesen verkürzten und kleinkernigen Blastodermzellen und der
Mycetomzelle wird durch die Dotterzelle ausgefüllt. Ih r Plasma hat stark an Masse zugenommen
und zeigt nun feinkörnige Beschaffenheit. Ich vermute, daß diese Dotterzelle
es ist, welche die beschriebenen Veränderungen am oberen Pol des Blastoderms
bewirkt. Platzmangel, bedingt durch das starke Anwachsen der Mycetomzelle, ist es zweifellos
nicht, der die starke Abplattung der Zellen bewirkt, im Gegenteil geht ja diesem
Vorgang eine Faltenbildung voraus (Abb. 155). Um die Bedeutung dieser Dotterzelle verstehen
zu können, muß man bedenken, daß sie den Dotterzellen anderer Insekten zu homo-
logisieren ist. Diesen aber kommt zweifellos bei der Verarbeitung des Dottermaterials