
IV. Beute- und Verdauungsfeld als Ganzes.
Um die Struktur des Beutefeldes festzulegen, genügte es, wie wir sahen, nicht, bestimmte
Verhaltensweisen zu beschreiben. Es mußten vielmehr gewisse De u t u n g e n
gegeben werden, durch welche die einzelne Funktion ihren Ordnungsplatz und S i n n im
Rahmen des Ganzen erhält. Ein Tier wird nicht durch von außen herantretende Kräfte
und Stoffe eines physikalisch-chemischen Umfeldes zw a n g smä ß i g ausgerichtet wie der
Eisenfeilspahn im Magnetfelde. Der Organismus nimmt vielmehr gewisse Vorgänge im
Umfelde als Merkmale auf und stempelt sie zu B e d e u t u n g s t r ä g e r n . Dabei versieht das
f u n k t i o n s b er ei te Ti er sub j ek t das physikalisch-chemische Umfeld mit einer bestimmten
T ön u n g . Die Funktionsbereitschaft wiederum ändert sich in den meisten
Fällen p e r i o d i s c h , sodaß das Umfeld bald zum Beutefeld, bald zum Felde fü r geschlechtliche
Betätigung usf. wird, je nachdem das Tiersubjekt in den F u n k t i o n s k
r e i s der Beute oder des Geschlechts e in g e k l i n k t ist. F ü r die Dauer der Einklinkung
erhalten alle Merkmale die gleiche Tönung, alle Verhaltensakte die gleiche Ausrichtung auf
einen bestimmten Bedeutungsträger, „Beute“ oder „Geschlechtspartner“.
Das Beutefeld umfaßt daher die Gesamtheit der im subjektiven Raume und in der subjektiven
Zeit eines Tieres geordneten Merkmale, denen die Beutetönung verliehen wird, ferner
aber auch die Gesamtheit der Verhaltensakte, welche auf den Bedeutungsträger „Beute“
gerichtet sind, um ihn als „Nahrung“ zu bewältigen und damit zu vernichten, entweder
s u b j e k t i v durch den E in tritt der Sättigung oder o b j e k t i v nach restlosem Verzehren.
Ist die Spannung zwischen Tiersubjekt und Umfeld gelöst, ist die 1 a b i 1 e S i t u a t i o n s t a -
b i 1 i s i e r t worden, so ist damit d i eA u s k l i n k u n g aus dem Funktionskreise erfolgt. Die
Reizschwellen für Vorgänge im Umfelde, welche mit der Beutetönung versehen werden
könnten, sind soweit heraufgesetzt, daß die Reize nicht mehr ansprechen.
Die Struktur des Beutefeldes von Buccinum undatum L. ist deswegen besonders
wenig differenziert, weil keine optischen Merkmale als Bedeutungsträger auftreten können.
Seiner r ä uml i c h e n Gliederung nach ist das Beutefeld der Wellhornschnecke ein
T a s t r a um (Tangospatium), der von S u b s t r a t (Unterlage, auf welcher der Fuß sich
bewegt) und Med i u m erfüllt ist. Aus Substrat und Medium heben sich die Marken
fü r Tango-, Rheo- und Chemorezeptionen heraus. Der H o r i z o n t dieses Tangospatiums
wird auf dem Substrat durch den Wirkungsbereich des vorderen Fußabschnittes,
der Tentakeln und des ausgestülpten Rüssels, im Medium etwa durch den Wirkungsbereich
des gedehnten Siphos gezogen. Welche Rolle die S t a t o c y s t e n beim Aufbau
dieses Raumes spielen, entzieht sich einstweilen unserer Kenntnis. Das Medium wird von
Wa s s e r s t r öme n durchzogen, auf welche der Sipho des hungrigen Tieres in jedem
Falle anspricht. Zum B e d e u t u n g s t r ä g e r „Beute“ wird ein Wasserstrom aber erst
dann, wenn er gewisse Stoffe mit sich führt, auf welche die Chemorezeptoren des Tier-
Subjektes eingeklinkt sind. Durch diese Art der Einklinkung in das Medium ist es der
Schnecke möglich, auch ohne Zuhilfenahme optischer Merkmale ein meterweit entferntes
Stück Beute sicher aufzufinden. Das ist umso wichtiger, als im ruhenden Medium nur
Vorgänge, die sich nicht weiter als einen halben Zentimeter vor dem ausgestreckten Sipho
abspielen, chemisch überwacht werden können, da Buccinum über keine Mittel verfügt,
um größere Wassermengen in bestimmter Richtung zu bewegen. Nimmt man dem Tiere
die Siphonalrezeptoren und das Osphradium, so kann es sich nur noch auf dem Substrat
orientieren. Eine Einstellung auf Beutestücke außerhalb der Reichweite des Körpers ist
dann nicht mehr möglich, immerhin kann aber der Horizont des Tangospatiums durch
Ausstülpen des Rüssels auf dem Substrat etwa um Tierlänge im Halbkreise nach vorn
verlagert werden. Am Auffinden einer Beutespur, die sich chemisch auf dem Substrat abzeichnet,
sind hauptsächlich die Tentakeln und der Vorderrand des Fußes beteiligt.
Trotz des verhältnismäßig einfachen Bauplanes von Buccinum können also bei der
Entstehung der Bewegungsabfolge, welche wir „Suchgang“ nennen, doch eine ganze Reihe
von Marken im Medium und auf dem Substrat steuernd eingreifen. Sie alle werden
einem gewissen Gegenstände zugeordnet. E r zeichnet sich in dieser Lebensphase vor allen
anderen Marken der Umgebung aus, weil er allein die Bedeutung „Beute“ durch das
Tiersubjekt empfängt. E r ist im Augenblicke allein biologisch bedeutsam für die hungrige
Schnecke.
Die Rüsselspitze ist befähigt, eine letzte Prüfung dieses Bedeutungsträgers vorzunehmen.
Dann wird er durch die Radula dem Darmkanal als „Nahrung“ einverleibt. Alle
Funktionen, die von jetzt ab auf die Verarbeitung der „Nahrung“ zielen, gehen nicht
mehr durch den Beutekreis des Tiersubjektes. Nach hinreichender Nahrungsaufnahme
ist es gegen alle von der „Beute“ ausgehenden Reize ausgeklinkt. Substrat und Medium
haben die Tönung eines Beutefeldes verloren.
Alle Funktionen, welche der Z e r s p l i t t e r u n g und A n g l e i c h u n g des Nahrungsballens
an die Körpersubstanz dienen, liegen a u f e i n e r a n d e r e n E b e n e als diejenigen,
welche zum Aufbau des Beutefeldes führten. Aber auch sie greifen planvoll ineinander
und daher können wir sie in ihrer Gesamtabfolge in Raum und Zeit als einheitliches
V e r d a u u n g s f e l d betrachten. Das planvolle Wechselspiel zwischen Tiersubjekt
und Bedeutungsträger weicht jetzt einem solchen zwischen Darmkanal und Nahrungsballen,
wobei wir nicht vergessen dürfen, daß auch in diesem Falle l e b e n d e Zellen im
Spiele sind, also S u b j e k t e , die in einem bestimmten Zustande auf chemische Reize hin
durch Ausschüttung von Sekreten oder durch einen bestimmt gerichteten Wimperschlag
antworten.
So offenbart sich uns erst rückblickend die Planmäßigkeit in ihrer vollen Geschlossenheit.
Ohne „Wissen“ um die Vorgänge in seinem Leibe erhebt das Tiersubjekt im gegebenen
Augenblick die richtigen Marken des Umfeldes in die Sphäre der Beutebedeutung.
Erst unter diesem Gesichtswinkel empfinden wir die tiefe Weisheit des Satzes: „Wo ein
Magen ist, da ist auch die Nahrung.“
Der in den D armkanal eintretende Nahrungsbrocken wird, wie wir sahen, nur äußerlich
vom Sekret der Vorderdarmdrüsen überzogen. Seine Größe richtet sich nach der
Konsistenz der Nahrung. Schon nach 5—10 Minuten ist er im Magen angelangt, wo sich
das Sekret der Vorderdarmdrüsen mit dem aus anderen Drüsen gelieferten bald vermischt.
Es kann also keine innige Durchtränkung des Bissens stattfinden, wie wir sie von
der Humanphysiologie her kennen. Beim Menschen ist der Speichel mit seiner Diastase