Als rein s umma t i v e Theorie faßt die Taxienlehre V e r h a l t e n s a k t e von g ä n z l
i c h v e r s c h i e d e n em U r s p r u n g r e i n ä u ß e r l i c h z us a mmen . Nur so ist es
erklärlich, daß ein „Tropismus verlorengehen“ kann, oder daß ein Tier „umgestimmt“ werden
kann. So schreibt Loeb (1913, S. 481): „Wenn die Tiere (Raupen von Porthesia) die
Knospen an der Spitze der Sträucher abgefressen haben, so müssen sie ihren starken positiven
Heliotropismus los werden, denn sonst würde derselbe, der sie anfangs zur Spitze der
Zweige führt, sie nunmehr verhindern, abwärts zu kriechen, um neues Futter zu finden.
Ich habe nun in der Tat gefunden, daß die Raupen, sobald sie gefüttert sind, ihren ausgesprochenen
Heliotropismus verlieren, und zwar dauernd.“ Nach unserer Auffassung
werden die Tiere in dem Moment, in welchem sie sich sattgefressen haben, aus dem Funktionskreis
der Beute ausgeklinkt, wodurch der Lichtreiz seine Tönung verliert und aufhört,
ein Merkmal im Beutefelde zu sein.
Eigentlich lehrt schon dieses Beispiel ganz deutlich, daß es verfehlt ist, die Tiersubjekte
zu T a x i e n b ü n d e l n zu degradieren, und sie in Tabellen zusammenzustellen,
aus denen man ihre Taxien entnehmen kann wie die Logarithmen aus den Tafeln. Den
neuesten Versuch, der mit erschreckender Deutlichkeit zeigt, wohin eine solche summative
Auffassung des tierischen Verhaltens führt, hat K rumbiegel (1932) unternommen. Nach
ihm wäre eine in das Versteck zurückgezogene Klapperschlange hinsichtlich ihrer Thigmo-
taxis: positiv kryptothigmotaktisch, negativ dromothigmotaktisch, an den Seitenteilen des
Körpers positiv idiothigmotaktisch und an der Klapper negativ idiothigmotaktisch.
Alverdes und seine Schüler fühlen die drückende Enge der Taxienauffassung und
versuchen, durch die Einführung von Begriffen wie: intrazentrale Ausschaltung, zentrales
Schwanken usw. diesen engen Rahmen zu sprengen. Dieses Ziel ist durchaus begrlißens-'
wert, allein der Weg scheint mir verfehlt. Auch Alverdes (1930) geht von den Taxien
aus und muß damit im Rahmen des Summativen stecken bleiben. Trotz der Hinweise auf
die intrazentralen Vorgänge, die in reinen Verhaltensstudien niemals sichtbar gemacht,
sondern immer nur erschlossen werden können, bleibt auch für Alverdes das Tier ein
Obj ekt . V o r h a n d e n s e i n u n d B e d e u t u n g e i n e r i n t r a z e n t r a l e n S c h w a n k
u n g k ö n n e n n u r i n n e r h a l b des G e s am t v e r h a l t e n s i n e i n em b i o l o g i s
c h e n F e l d e l o g i s c h e i n d e u t i g d a r g e s t e l l t we r den, sonst bleiben wir in leerer
Begriffsschematik stecken. Nur das Tiersubjekt als Schöpfer seiner Umwelt, als selbständiges
dynamisches Gestaltungszentrum, kann in einem bestimmten Moment einem bestimmten
Reiz eine bestimmte Tönung gehen, wie der Einsiedlerkrebs, der im chemischen Felde
durch zwei optische Reize „abgelenkt, sich erst kurz nach dem einen, dann nach dem anderen
wendet, um schließlich zwischen beiden hindurch, den von der Beute ausgehenden chemischen
Merkmalen folgend, seine ursprüngliche Richtung beizubehalten“ [Brock (1926,
Abb. 27 und S. 540)]. Die Beweisführung von Alverdes an Hand seiner Untersuchungen
über decapode Krebse ist deswegen besonders schwierig, weil diese Tiere sehr hoch differenziert
sind. Sie zeigen daher einerseits nur in seltenen Fällen eine ausgesprochene Taxis,
so daß die „Lichtstimmung bei Eupagurus entweder eine photopositive oder eine photonegative
war“ (1930, S. 471); andererseits aber ist eine Analyse der einzelnen biologischen Felder
recht schwierig, weil dauernd neue leitende Merkmale in Form von Strömungen, die
vom Tier selbst erzeugt werden, und chemischen Reizen auftreten können.
Die G e s t a l t l e h r e in der Form, wie sie durch Hertz (1933) an das Verhalten des
Einsiedlerkrebses Clibanarius herangebracht wurde, lehnt jede summative Deutung ab.
Das Tier-Welt-Verhältnis ist ein monadologisches Ganzes, aus dessen geschlossenem Hintergrunde
sich figurenhaft gewisse Teilgestalten abheben. Dabei ist weder das Umfeld
noch das Tier eine statische Einheit. Beide sind dynamischen Änderungen unterworfen,
die sich plastisch ergänzen. Dieser Ansatz ist sicher richtig. Auch nach unserer Auffassung
schafft das Tiersubjekt seine Umwelt in dynamischem Flusse und antwortet innerhalb gewisser
Grenzen plastisch auf äußere Geschehnisse. Mir möchte aber scheinen, als ob die
Heraushebung der Teilgestalten zu sehr unter allgemeinen, zu wenig unter b i o l o g i s c h e n
Gesichtspunkten geschähe. Ehe nicht die G r u n d g e s t a l t e n d e r von de n F u n k t i o n s k
r e i s e n um s c h l o s s e n e n F e l d e r mi t i h r e r e i n h e i t l i c h e n T ö n u n g der M e r km
a l s t r ä g e r in R a um u n d Z e i t des T i e r s u b j e k t e s e i ngebet t et aus den „Wänden
des Umwelttunnels“ markant herausspringen, können wir in. E. über „Erfahrungsbildung“
und „Entwicklung der inneren Situation“ nichts ausmachen. Begriffe wie: Erwartung,
Enttäuschung, Spannung mit Bezug auf Objekte im Umfelde eines Tieres können nur
innerhalb einer eindeutigen Planstruktur zwischen funktionsbereitem Tiersubjekt und der
von ihm erschaffenen Umwelt bündig sein. Wir stehen h iervor denselben Schwierigkeiten,
die auch die Auffassung von Alverdes kennzeichneten.
Es ist deswegen so schwierig, eine Funktionsplananalyse auch nur für ein einziges
biologisches Feld, wie etwa für das Beutefeld von Buccinum, zu geben, weil selbst diese
große Grundgestalt nicht völlig aus dem Gesamtverbande herausgelöst werden kann. I m
P l a n e s t e h t a l l e s f ü r j ed e s u n d j e d e s f ü r al les. Diese Tatsache hat VON Uex-
küll (1928) im Schema des Funktionskreises symbolisch ausgedrückt. Dem außenstehenden
Beobachter bleibt, da ihm der unmittelbare Einblick in die Umwelten der Tiersubjekte
fü r ewige Zeiten entzogen ist, nichts anderes übrig, als das raumzeitliche Geschehen genau
zu verfolgen und die Marken aufzuzeichnen, an welche bestimmte Bewegungen des Tieres
geknüpft sind. Sie sind v i t a l b e d e u t sam, weil das Tier ohne sie nicht bestehen könnte.
Lassen sie sich so zusammenfassen, daß aus ihrer raum-zeitlichen Gruppierung und den
einzelnen Verhaltensakten des Tieres ein Planzusammenhang konstruiert werden kann,
dann dürfen wir annehmen, daß auch die unsichtbare Dynamik in den Nervennetzen und
Zentren des Tiersubjektes adäquaten Plangesetzen folgt. Je differenzierter ein Tier gebaut
ist, um so mehr ist die Impulsfolge seiner Verhaltensakte in diese innere Dynamik ve rlagert,
um so schwieriger wird es für den außenstehenden Beobachter, das raum-zeitliche
Geschehen zu deuten.
Unter diesen Voraussetzungen wollen wir als außenstehende Beobachter die Marken
im Beutefelde von Buccinum auf zeichnen, die für die Schnecke biologisch bedeutsam
werden können, wollen dabei aber immer eingedenk bleiben, daß wir ein T i e r s u b j e k t
vor uns haben.
D ie D y n am i k de s p h y s i k a l i s c h - c h em i s c h e n U m f e l d e s ist, gegenüber
den Verhältnissen in der freien Natur, im Laboratoriumsversuch weitgehend geändert.
So dürfte die Nahrungssuche eines „jagenden“ Tieres in der Chemosphäre eines völlig
ruhenden Mediums zu den Seltenheiten gehören; denn einerseits spielen Strömungen in
den Tiefen, in welchen sich unser Versuchstier vorzugsweise aufhält, eine bedeutende
Rolle, andererseits werden sich die Mitglieder einer Bodengemeinschaft gegenseitig mehr
oder weniger in Bewegung halten. Schließlich kommt hinzu, daß Tiersubjekte, die unter
solchen Bedingungen in einen periodischen Funktionskreis eingeklinkt sind, bereits einen
gewissen A k t i v i t ä t s z u s t a n d aufweisen, ehe sie in das adäquate Feld hineingeraten,
was beispielsweise Wagner (1930) für gekäfigte Zugvögel eindrucksvoll nachgewiesen
hat. Alle diese Momente ermöglichen es dem Tier, z u f ä l l i g von Reizen getroffen zu wer