
den, welche die Beutetönung annehmen können und damit ein p l a n v o l l e s S u c h e n
auslösen. Dieses hält solange an, bis die Nahrung gefunden wird, oder die äußere Dynamik
nicht mehr genug Reizmaterial zuführt.
Im unbewegten Medium des Laboratoriums Versuches beginnt der Einsiedlerkrebs
Pagurus arrosor nach 22 Minuten nach einem in 75 cm Entfernung von ihm eingelegten
Köder zu suchen, weil sein Atemwasserstrom eine erhebliche Tiefenwirkung aufweist
[Brock (1926, S. 502)]. Diese T ätigkeit w ird durch planvolles Eingreifen der Maxillipeden-
geißeln unterstützt. Auf diese Weise wird der Atemwasserstrom zum Orientierungsstrom
im Beutefelde gemacht.
Buccinum besitzt eine derartige Einrichtung zur Beherrschung des Umfeldes nicht
und ist daher darauf angewiesen, im unbewegten Medium so lange zu „warten“, bis die Che-
mosphäre, welche eine Beutetönung erhalten kann, durch p a s s i v e Verbreitung auf etwa
V2 cm an den Sipho herangekommen ist. Dann erst tritt die erste Reizung auf. In diesem
Falle ist das Tier also auf rein physikalisch-chemische Vorgänge in seiner Umgebung angewiesen.
Trotzdem ist die Zeit vom Einlegen des Fleisches bis zum Abmarsch der Schnecke
in der 20-cm-Zone verhältnismäßig kurz. Sie beträgt unter Berücksichtigung des auf S. 16
Gesagten nur etwa 11 Minuten, während Pagurus arrosor, der als Bewohner wärmerer Meere
an sich agiler ist, nur 6 Minuten Wartezeit braucht [Brock (1926, S. 502)]. Dieser Vergleich
ist natürlich relativ, aber biologisch interessant. H enschel (1932, S. 134) schreibt, daß die
kleine Schnecke Nassa einen Köder im unbewegten Medium schon aus 20 cm Entfernung
nicht mehr findet. Leider kann man der Beschreibung keine Einzelheiten über Abmarschzeit
usw. entnehmen.
Größere Unterschiede zwischen Krebs und Schnecke zeigen sich erst, wenn man den
Köder noch weiter von letzterer entfernt in das Versuchsbecken bringt. Dann wird die
Abmarsehzeit der Schnecke so lange verzögert, daß man keine klaren Versuchsbedingungen
mehr bekommt, weil das Gefälle der Chemosphäre nicht mehr steil genug ist, um dem
Tiersubjekt in zwei aufeinanderfolgenden „Proben“ zwei verschiedene Merkmale zu bieten.
Es müßte sehr reizvoll sein, diesen Vergleich zwischen Krebs und Schnecke an einem
besser geeigneten „Objekt“ als Buccinum durchzuführen. Es gibt Mittelmeerschnecken, die
auch in der Gefangenschaft außerordentlich gefräßig sind.
Sind auch diese Bedingungen im unbewegten Medium verhältnismäßig wenig biologisch
adäquat, so sind sie für den außenstehenden Beobachter doch unentbehrlich, weil
sie ihm ein sehr wertvolles Hilfsmittel zur Beurteilung gewisser rezeptorischer und effek-
torischer Funktionen in die Hand geben, aus denen sich das Gesamtverhalten während
der Nahrungssuche zusammensetzt.
Wie wir sahen (S. 14), ist der S i p h o der Gradmesser der Erregung des funktionsbereiten
Tiersubjektes, ebenso wie es für die höheren Krebse die Antennulen sind [Brock
(1926, S. 477)]. Wird der Schneckensipho von einem c h e m i s c h e n Re i z getroffen, so
strafft er sich und macht, solange das Tier noch ruhig am Ausgangspunkte bleibt, u n r
e g e lmä ß i g e Bewegungen. Auf dem Suchgange treten dann die ausführlich beschriebenen
Pendelbewegungen auf, von denen das ganze Gehäuse erfaßt wird (S. 14). Für den
unbefangenen Beobachter ist es außerordentlich schwierig, dieses Verhalten zu deuten,
weil, wie erwähnt, auch in unmittelbarer Nähe der Beute den Siphonalbewegungen keine
Körperdrehung zu folgen braucht, trotzdem die rhythmischen Bewegungen des Oberteils
der Schnecke meist heftiger und ausladender werden, oft auch plötzlich vorübergehend
gestoppt werden können, um schließlich von neuem zu beginnen. Obgleich Copeland
(1918) mittels geistvoller Versuche und durch Einspritzen von Fleischsaft in den Sipho
von Busycon sicher nachweisen konnte, daß starke chemische Reizung während einer bestimmten
Haltung der Röhre, eine Drehung des ganzen Tieres nach der gereizten Seite
zur Folge hat, war mir das Verhalten der Tiere auf dem Suchgange völlig rätselhaft. Eine
Erklärung ist nur möglich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß der H o r i z o n t des
T i e r s u b j e k t e s unmittelbar vor der Siphonalöffnung liegt. Dadurch wird auch die
maximale Verlängerung des Siphos verständlich, die bei starker chemischer Reizung bisweilen
a u ftritt und die mangelnde Saugwirkung ersetzt. Auch die weite Öffnung des
distalen Endes der Röhre, welche auf Abb. 3 deutlich zu erkennen ist, spricht für unsere
Annahme. Bisweilen konnte ich beobachten, daß diese Öffnung bei starker chemischer
Reizung vergrößert wird, was die Saugwirkung herabsetzen müßte.
Schließlich sei noch einer interessanten Tatsache gedacht, die einstweilen völlig ungeklärt
ist. Durch Beobachtung wurde festgestellt, daß der Sipho in vier Minuten achtunddreißig
Mal von rechts nach links und umgekehrt pendelte, womit keineswegs eine
Höchstleistung angezeigt sein soll. Wenn wir bedenken, daß der durch Wimperschlag hervorgerufene
Pallialstrom ein kontinuierlicher ist, so muß die Rezeption chemischer Reize
durch das Osphradium und die Übertragung der Erregung auf die Effektoren des Tieres
zur Ausführung einer Körperdrehung nach der gereizten Seite, eine außerordentlich
rasche sein. Daher ist es nicht ausgeschlossen, daß erst mehrere aufeinanderfolgende
Reize, verknüpft mit einer bestimmten Haltung des Siphos, eine Körperdehung auslösen.
Wie dem auch sei, sowohl die Untersuchungen Copelands (1918) wie meine eigenen
auf ganz anderer Basis durchgeführten Verhaltensstudien zeigen mit Sicherheit, daß d e r
p e n d e l n d e S i p h o dem O s p h r a d i um „ P r o b e n “ zul e i t e t , w e l c h e dem T i e r
z u r O r i e n t i e r u n g im u n b ew e g t e n Med i u m di ene n. Diese „Proben“ werden
der unmittelbaren Umgebung der distalen Öffnung des Siphos entnommen. Ist das Gefälle
der Chemosphäre sehr flach, so werden dem gleitenden Fuße der Schnecke keine Impulse
erteilt, die eine Drehung des Tieres zur Folge haben, es kriecht in der ursprünglichen
Richtung weiter. Erst wenn das Gefälle der Chemosphäre einen bestimmten Grad von
Steilheit erreicht hat, heben sich aus dem chemischen Horizonte Merkmale ab, die vom
funktionsbereiten Tiersubjekt örtlich fixiert werden können und eine Drehung des Körpers
in dieser Richtung zur Folge haben, falls nicht andere, stärker getönte Merkmale vorhanden
sind.
Gerade an dieser Stelle möchte ich nicht versäumen, nochmals darauf hinzuweisen,
daß wir es-mit einem dynamischen Geschehen zu tun haben, dem der Ausdruck „Proben“
keineswegs gerecht wird. Sowohl der Wasserstrom wie die Bewegungen des Tieres sind
kontinuierliche Vorgänge.
In einem i d e a l i s t i s c h e n F u n k t i o n s p l a n s c h em a könnten wir den Sachverhalt
folgendermaßen o b j e k t i v dar stellen. Im ruhenden Medium des Beutefeldes
pflanzt sich eine Chemosphäre vom Beutestück als Zentrum ausgehend in konzentrischen
Halbkugelschalen fort. Ist das Versuchstier anfänglich t a n g e n t i a l zur Chemosphäre
eingestellt, so bewirken die chemischen Reize, welche dem Osphradium durch den nach
beiden Seiten pendelnden Sipho mit dem Pallialstrome zugeführt werden, eine Drehung
des Tieres nach dem Chemozentrum. Erst wenn die Längsachse der Schnecke in Richtung
des Chemozentrums zeigt, kriecht sie geradeaus auf dasselbe zu. Befindet sich das Versuchstier
anfänglich in r a d i a l e r Einstellung zur Chemosphäre, so enthalten die Wassermassen,
welche dem Osphradium durch den Sipho zugeführt werden, die gelösten Stoffe
Zoologica, Heit 92. -