
auf 1 cm schätzt. Nach meinen Beobachtungen tritt aber beim Fressen jeweils nur V3 der
Gesamtlänge in Tätigkeit.
Simroth (1896—1907, S. 502) konnte feststellen, daß man Schnecken leicht zum
Wiederausbrechen der Nahrung bringen kann. An Buccinum habe ich diesen Vorgang niemals
beobachtet. Dagegen machte ich eine Feststellung, die ich noch nirgends beschrieben
fand. Es war bisweilen recht schwierig, meinen Versuchtstieren Stoffe anzubieten, von
denen ich wissen wollte, ob sie verdaut würden. So mußte z. B. die Alge Cladophora in
Fischfleisch eingehüllt werden, um sie in den Darmkanal gelangen zu lassen. War aber
das Fleisch einmal durch die Tätigkeit der Radula beiseitegeschoben worden, sodaß die
Alge mit dem Innenrande des Pharyngostoms in Berührung kam, so schob die Schnecke
die unerwünschte Nahrung wieder nach außen. Auch der Sc h l e i m der Schleimdrüse
wurde durch energische „Abwehrbewegungen“ seitens des Zungenapparates verweigert.
Anfangs konnte ich mir das Zustandekommen dieser Bewegungen nicht erklären. Ich beobachtete
nur ein Stoßen des Zungenapparates gegen die dorsale Innenseite des Pharyngostoms.
Das genügt aber nicht, um bereits teilweise aufgenommene Nahrungsstücke wieder
zu entfernen. E rst das genaue Studium der Radula selbst brachte die Lösung. Auf Abb. 9
sehen wir am mediaden Ende der seitlichen Zahnkämme deutlich ausgeprägte Abw e h r -
höcke r . Bei Annäherung der Ränder des kehleisenförmigen Zungenknorpels w ährend des
Zurückgleitens der Radula auf die Ventralseite, werden diese Höcker emporgehoben, drük-
ken den unbrauchbaren Bissen gegen das Dach des Pharyngostoms und schieben ihn nach
außen. Ich glaube, daß das planvolle Ineinandergreifen von Bau und Funktion kaum besser
als durch dieses Beispiel nachgewiesen werden kann.
Nach allem aber, was wir bisher über die T ä t i g k e i t d e r R a d u l a hörten, ist sie
n i c h t g e e i g n e t , L ö c h e r in Mus c h e l s c h a l e n zu b o h r e n (vgl. S. 9). Die Zähn-
chen der mittleren Reihe sind sicher viel zu schwach, um ein Loch in eine Austernschale
zu schaben. Später werden wir noch Gelegenheit haben, uns davon zu überzeugen, daß der
Schnecke auch keine chemischen Mittel zur Verfügung stehen, um die Auflösung einer
Muschelschale zu bewerkstelligen.
Bisweilen gelingt es, die arbeitende Radula an der Wasseroberfläche zu beobachten.
Dann kann man sich davon überzeugen, daß die Schnecke k e i n e s a u g e n d e n B e w
e g u n g e n ausführt. Niemals wurden in der Nähe schwimmende Fettröpfchen eingesogen.
Sie können aber von den Zähnen erfaßt werden und auf diese Weise in den Darmkanal
gelangen. Auch Seewasser wird bei der Nahrungsaufnahme verschluckt, wovon man sich
überzeugen kann, wenn man ihm etwas Neutralrot zusetzt. Wir werden später sehen, daß
diese Tatsache von Bedeutung ist, weil durch das Seewasser der Magensaft verdünnt und
seine Wasserstoffionenkonzentration geändert wird.
Beim Hineinarbeiten des Pharyngostoms in das Beutestück werden dessen Ränder
natürlich fest auf die Nahrung gepreßt, wodurch dem Seewasser der Zutritt versperrt
wird. Um den Bissen glitschig zu machen, ist daher in anderer Weise vorgesorgt. Das
distale Ende des Rüssels ist dicht mit Schleimdrüsen besetzt, in der Hauptsache besorgt
aber das Sekret der V o r d e r d a rm d r ü s e n das Schlüpfrigmachen des Bissens. Die
Gänge dieser Drüsen, welche wir im nächsten Kapitel näher kennenlernen werden, münden
unterhalb der Radula in das Pharyngostom (Abb. 8 b). Ih r Sekret wird, wovon man
sich unter dem Binokular überzeugen kann, von den Zähnen unmittelbar in däs Gasterostom
geschöpft, wenn kein Bissen vorhanden ist, andernfalls wird derselbe damit umhüllt.
Die Tätigkeit des Radulaapparates wird wahrscheinlich durch Berührung der Innenfläche
des Pharyngostoms ausgelöst. Bisweilen schien es mir, als ob eine mechanische
Reizung allein genügt, um eine Radulabewegung hervorzurufen. Dieser Punkt bedarf
allerdings noch einer genauen Untersuchung.
Wir sahen oben (S. 38), daß Buccinum ein Beutestück nicht unmittelbar bis an den
Körper heranzubringen braucht, sondern es auch mit dem ausgestreckten Rüssel allein
bearbeiten kann. Wenn es aber die Umstände erlauben, dann kriecht die Schnecke bis an
den Nahrungsbrocken heran, um ihren F u ß a l s Wi d e r l a g e r w ä h r e n d d e r N a h r
u n g s a u f n a hm e zu benutzen. Wie Taf. I, Abb. 10 sehr schön zeigt, werden dabei die
seitlichen Ränder des vorderen Fußteiles um das Beutestück geschlungen. Bisweilen wird
auch der hintere Teil desselben nach vorn geklappt, um auf diese Weise den Nahrungsbrocken
völlig einzuhüllen. Von vorn her senkt sich der Kopf auf das Beutestück herab,
während die Tentakeln tastende Bewegungen darauf ausführen und der Sipho das Tier
gegen plötzliche Veränderungen im Umfelde sichert (vgl. Kap. II, 1). In dieser Stellung
kann die Schnecke stundenlang fressend verharren.
Besonders wenn die Nahrung sehr fest ist, macht es dem Tier große Mühe, einzelne
Teile herauszureißen, wovon ich mich bei Verfiitterung von Muskelfleisch immer wieder
überzeugen konnte. Es wäre jedoch vollkommen irrig, anzunehmen, daß Buccinum nur
befähigt sei, kleine Beutestücke zu verschlucken. Ich konnte in einem Versuche beobachten,
daß ein Tier ein etwa haselnußgroßes Stück Makrelenmuskelfleisch auf einmal verschlang,
indem es den Zungenapparat so weit als möglich vorstreckte, um erst dann die Radula-
zähne in die Beute einzuschlagen und dieselbe unzerteilt in das sehr erweiterungsfähige
Gasterostom zu schieben. In einem anderen Falle fand ich ein etwa kirschkerngroßes Herz
eines Artgenossen im Magen einer Wellhornschnecke vor. Auch weiche Nahrungsstücke
wie Seeigelovarien werden meist ganz verschlungen.
Über die N a h r u n g s me n g e e ine r Mahl z e i t ist es mir nicht möglich, genaue
Angaben zu machen, weil ich nicht sagen kann, ob meine sehr empfindlichen Versuchstiere
in der Gefangenschaft ebensoviel fraßen wie in Freiheit. Mit Sicherheit wurde festgestellt,
daß ein Tier 6 8 g Muskelfleisch zu sich nahm. Wieweit man diese Nahrungsmenge als
„normale“ Mahlzeit bezeichnen kann, entzieht sich meiner Kenntnis. Im Magen eben gefütterter
Tiere wurde nicht selten ein walnußgroßer Nahrungsballen gefunden.
Wä h r e n d e i n e r Ma h l z e i t w i r d F l e i s c h n a h r u n g v e r s c h i e d e n s t e r
H e r k u n f t a u f g e n o mme n . So verfütterte ich beispielsweise einem Tier unmittelbar
nacheinander zwei Tage altes, schon stark riechendes Schellfischmuskelfleisch (vgl. S. 8)
und ganz frische Seeigelovarien. Dazwischen wurden der Schnecke 10 cm lange Stücke von
Catgut (Sahli-Saite s. Kap. III, 3) angeboten, die sie, wenn ich sie mit einem Ende in das
Pharyngostom schob, unzerkleinert hinunterschluckte. Andere Tiere verweigerten sie
allerdings häufig.
Interessant ist die von mir mehrmals beobachtete Tatsache, daß fressende Tiere den
zähen gelben S c h 1 e i m d e r P a l l i a l h ö h l e n s c h l e imd r i i s e n i c h t a n n a h men,
sondern „Abwehrbewegungen“ mit der Radula ausführten und den Rüssel schließlich abwandten.
Aus dieser Tatsache geht mit Deutlichkeit hervor, daß Buccinum m i t d em
P h a r y n g o s t o m a l l e i n e i ne N a h r u n g s w a h l t r e f f e n k a n n , denn die Tiere
wurden meist in einer Stellung an der Wasseroberfläche beobachtet, in welcher n u r das
distale Ende des Rüssels mit der Nahrung in Berührung kam. Selbstverständlich soll da