Aber auch von seiten der v e r g l e i c h e n d e n P h y s i o l o g i e ist man zu einer Zusammenfassung
unter Berücksichtigung des Plangesichtspunktes gekommen. Diese Untersuchungen
knüpfen vor allem an die Namen J ordan und Hirsch und deren Schüler an.
Versuchten die Ökologen ihre Gruppierung vorwiegend auf den Funktionen des Beutefeldes
zu basieren, so sind diese Forscher bemüht, in erster Linie eine Analyse des Verdauungsfeldes
vorzunehmen. Die Grundlage dafür ist der B a u p l a n de s D a rm k a n a l s
und s e i n e r A n h a n g s d r ü s e n , der sich uns als Hohlform des hindurchtretenden Nahrungsballens
darstellt. Aus seinen Leistungen entstehen die F u n k t i o n s p l a n t y p e n der
Partikelfresser, der Schlinger, der Kauer, der Kratzer, der Sauger, der Außenverdauer
und der Parenteralen [ J ordan (1913), Hirsch (1915), J ordan und Hirsch (1927a und b)].
Dabei blieb aber die Analyse nicht stehen. Auch die h i s t o l o g i s c h e n Verhältnisse
des Verdauungsfeldes konnten in gewissem Sinne funktionsplangemäß typologisiert
werden, indem man einerseits die Bereitstellung der Enzyme und andererseits die Permeation
der Nahrungsspaltstücke durch Darm- und Drüsen wände nach Art und Ort studierte.
Zur Analyse der Bildung, Bereitstellung und Ausschüttung der Enzyme schufen
Hirsch und seine Schüler in langjähriger mühevoller Arbeit die Methode der S t u f e n u
n t e r s u c h u n g e n , die uns zeigen, wie auch im Bereich des mikroskopisch Kleinen
Nahrungsstoff und Darm-, sowie Drüsenepithelien wie Schloß und Schlüssel ineinanderpassen
[Hirsch (1915), K rijgsman (1925 und 1928), H irsch und J acobs (1928), J akobs
(1928)].
Hinsichtlich der P e rm e a t i o n sind die Untersuchungen noch nicht viel über die
ersten tastenden Versuche hinausgegangen. Hirsch (1925) hat als erster das vorliegende
Material gedanklich und begrifflich zusammengefaßt, bei J ordan (1929) findet sich eine
weitere Darstellung. Aus Gründen, die erst später erläutert werden können, muß in dieser
Untersuchung leider auf eine histologische Analyse im Sinne der Stufenmethode verzichtet
werden.
Es ist natürlich unmöglich, die Gedankengänge, die zu einer F u n k t i o n s p l a n t
y p o l o g i e führen, an dieser Stelle eingehend zu erörtern. Hier sei nur der Begriff des
P l a n e s kurz umrissen. P l ä n e in u n s e r em S i n n e s i n d i d e e l l e S c hema t a , di e
a l l e F u n k t i o n e n de s B e u t e - u n d V e r d a u u n g s f e l d e s e ine s T i e r e s u m s
c h l i e ß e n . D u r c h s i e e r s t e r h ä l t di e e i n z e l n e L e i s t u n g e i n e n O r d n
u n g s p l a t z in e i nem g r ö ß e r e n Ga nz e n. D e r P l a n i s t e in B e z u g s s y s t em
s i n n g e b e n d e r Ar t , w e l c h e s wi r a l s a u ß e n s t e h e n d e B e o b a c h t e r an d e n
O r g a n i sm u s h e r a n b r i n g e n , um i h n u nd s e i n V e r h a l t e n in s e i n e r U m we
l t al s E i n h e i t zu b e g r e i f e n u n d b e s t i mmt e V o r h e r s a g e n ma c h e n zu
k ö nn e n . Di e a u f de n B a u p l ä n e n b a s i e r e n d e n F u n k t i o n s p l ä n e d e r v e r s
c h i e d e n e n T i e r e k ö n n e n wi e d e r um u n t e r g r ö ß e r e n G e s i c h t s p u n k t e n ,
de n Typ e n , z u s amm e n g e f a ß t we rden.
Unser ideelles Schema verhält sich zum Tier wie der Bauplan zu dem nach ihm
errichteten Hause. Kennen wir eine Anzahl Daten eines Planes, so können wir Vorhersagen
machen, weil schon die Anordnung und Leistung einzelner Teile den S i n n des
Ganzen einschließt. Lese ich z. B. aus dem Bauplan eines Hauses die Lage einer Türe
und die Drehrichtung um ihre Angel ab, so kann ich daraus auf die Anordnung des elektrischen
Schalters schließen, denn diese wird durch das Verhalten einer in den dunklen
Raum eintretenden Person bestimmt. Sie sucht ihn nicht neben der Türangel, sondern
neben der Klinke. Andererseits kann ich natürlich auch aus der Lage von Klinke und
Schalter auf das Verhalten der eintretenden Person schließen.
Diese Betrachtungen allgemeiner Art sind nicht nur nötig, um die Grundeinstellung
dieser Arbeit zu kennzeichnen, sondern auch, weil ich glaube, daß für die moderne vergleichende
Physiologie die Möglichkeit gegeben ist, sich in einer Sackgasse zu verrennen,
aus welcher andere Wissenszweige herauszukommen versuchen.
Beim Durchblättern älterer anatomischer Werke überkommt mich bisweilen die Empfindung,
daß aus ihren oft künstlerischen Abbildungen ein Wissen um Einzelheiten spricht,
welches heute nur noch von wenigen erreicht wird, daß aber andererseits nur ein geringer
Bruchteil des Dargestellten von einem zugrundeliegenden Gedankengebäude erfaßt wird.
Da sehen wir Darm neben Darm, Drüse neben Drüse, Nervensystem neben Nervensystem.
In vielen Fällen wurde leider k e i n O r g a n i s m u s , sondern ein P r ä p a r a t , ein sum-
ma t i v e s N e b e n e i n a n d e r von O r g a n t e i l e n gezeichnet, denn eine z u f ä l l i g e
Schnittführung diktierte das Bild von der Lagerung der Teile zueinander. Solche Tafeln
sind für den Biologen unbrauchbar, weil der B a u p l a n des Tieres, auf welchem der
F u n k t i o n s p l a n allein fußen kann, nicht daraus hervorgeht.
Ließ sich der Morphologe durch die Fülle der Formen, die er möglichst restlos nebeneinander
stellen wollte, verwirren, so wird der Verdauungsphysiologe oft durch die Unzahl
von Methoden und Apparaten dazu verleitet, den Organismus als ein summatives
Nebeneinander von Stoffen hinzunehmen, welches er analysiert, wie der Chemiker eine
Legierung von Metallen. Wahllos und oft ohne Kenntnis des tierischen Bauplanes werden
Verdauungsdrüsen zu Glyzerinextrakten verarbeitet, die nach den jeweils modernsten
Methoden der Physik und Chemie „mit größter Genauigkeit“ studiert werden. Heute geht
das Bestreben dahin, mit weitgehend gereinigten Enzymen synthetische, also in ihrer
Struktur genau bekannte Substrate zu spalten und die Ergebnisse möglichst auf bekannte
Erscheinungen aus der Physiologie des Menschen und der Säugetiere zurückzuführen
(vgl. auch S. 81 und 124).
Leider findet der Biologe auch hier keinen festen Boden, wenn er im Rahmen des
summativen Forschens bleibt, denn die Chemiker entdecken immer wieder neue Enzyme.
So gelang es mit selektiver Adsorptionstechnik s e c hs p r o t e o l y t i s c h e E n z yme aus
Bauchspeicheldrüsen-Extrakten zu isolieren [Waldschmidt-Leitz (1932)].
Auf b i o l o g i s c h e m Gebiete muß eine solche summative Forschungsweise also eine
unbegrenzbare, unbegründete Ballastanhäufung bedeuten. Dazu wird die Enzymforschung
an Wirbellosen durch die Kleinheit und Eigenart der Objekte ungemein erschwert. Die
Nerv-Sinnesphysiologie findet im Verhalten der „niederen“ Organismen sehr häufig einfache
„Modelle“ für die Leistungen des Menschen und der Säugetiere, deren Handlungen
durch die Tätigkeit des übergeordneten Großhirns ungemein verwickelt werden. In der
Verdauungsphysiologie liegen die Tatsachen, soweit man sie heute übersehen kann, fast
umgekehrt. Bei „hochentwickelten“ Tieren und beim Menschen treffen wir einen weitgehend
gegliederten Darm an, dessen Teile die Enzyme einzelner Drüsen n a c h e i n a n d e r
aufnehmen [Kestner (1930 au.b)].
Die Aufspaltung des Nahrungsballens geht also s t u f e nwe i s e in hintereinandergeschalteten
Hohlräumen vor sich. Die Wirbellosen hingegen, soweit sie extrazelluläre
Verdauung auf weisen, besitzen oft e in Reservoir (Magen oder Kropf), in welchem sich
die Enzyme a l l e r Drüsen sammeln, um den Darminhalt vom hochmolekularen Baustein
bis zum resorbierbaren Material aufzuspalten [ J ordan u. Hirsch (1927), J ordan (1929)].