
noch im Magen wirksam, weil der Speisebrei nicht so rasch vom Magensafte, welcher
die Diastase vernichtet, durchtränkt werden kann. Daher ist es nicht verwunderlich,
daß wir in d em S e k r e t d e r V o r d e r d a rm d r ü s e n k e i n e e x t r a z e l l u l ä r e n
E n z yme f e s t s t e l l e n konnten. Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß diese Sekrete
die Verdauung doch in bestimmter Weise fördern. Auf S. 102 machten wir die Feststellung,
daß im Magensafte ein Faktor vorhanden sein muß, welcher Bindegewebe
(Catgut) stärker zum Quellen und damit zum Zerfall bringt als im Mitteldarmdrüsenmaterial.
Möglicherweise aktiviert das Sekret der Vorderdarmdrüsen auch die Fettspaltung
im Magensaft. Diese Vermutungen bedürfen aber einer genauen Prüfung.
Auf keinen Fall läßt sich hier eine Parallele zu der sonst recht ähnlich gebauten
Schnecke Sycotypus finden, denn nach Mendel und Bradley (1905) werden die proteolytischen
Enzyme dieser Tiere a l l e i n durch die Vorderdarmdrüsen geliefert, während das
Mitteldarmdrüsenmaterial sonderbarerweise nicht in der Lage ist, Eiweißkörper aufzuspalten.
Es liegt die Vermutung nahe, daß die Vorderdarmdrüsen neben ihrer Tätigkeit, die
Nahrung einzuspeicheln und dem Magensaft durch ihr Sekret die richtige Zusammensetzung
zu verleihen, eine weitere Funktion als Säure- oder Giftdrüsen haben. Auf Grund
meiner vielen Beobachtungen kann ich k e i n e Tatsache anführen, die als Fingerzeig in
dieser Richtung gelten könnte. Niemals stellte ich ein Aufbrausen fest, wenn die verfütterten
Fischflossenstrahlen mit dem Sekret der Vorderdarmdrüsen in Berührung
kamen. Auch die auf S. 98 beschriebene Reaktion auf Lackmuspapier spricht in keiner
Weise für das Vorhandensein einer freien Säure, wie sie beispielsweise von den Säuredrüsen
von Dolium sezerniert wird. Ferner fehlen alle spezifischen Anpassungen zum Einspritzen
einer freien Säure in den Partner, wie sie Weber (1927) für Dolium beschreibt.
Schließlich ist zu beachten, daß Buccinum kein Räuber, sondern ein Aasfresser ist, wobei
allerdings nicht von der Hand gewiesen werden kann, daß die Schnecke unter Umständen
lebende Austern angreift. Aber auch in diesem Falle ist die Technik der Überwältigung
bekannt. Sie beruht, wie wir im Kapitel 1,3 sahen, auf rein mechanischen Mitteln, indem
die Schnecke ihren Gehäuserand zwischen die Schalen der Auster schiebt. Ein Anbohren
der Schalen von Beutetieren kommt also weder auf chemische noch auf mechanische
Weise in Frage, denn die Sekrete der Vorderdarmdrüsen sind für diesen Zweck ebenso
ungeeignet wie die Zähne der Radula. Nach den neueren Untersuchungen von Alpers
(1933) liegen die Verhältnisse bei Buccinum undatum L. ganz ähnlich wie für Murex
brandaris und trunculus.
F ü r die Funktion der Le i b lein-Drüse g ilt das Gleiche. Wie schon Darin (1912)
richtig bemerkt, liegt sie viel zu weit hinten, um ein möglicherweise vorhandenes Gift
unmittelbar nach außen zu entleeren. Dabei kannte Darin die Wirkungsweise des L e i b l
ei n - Knotens, welcher den Mitteldarm gegen den Vorderdarm abschließt (Abb. 12 und
S. 57), noch nicht.
Trotzdem die Giftwirkung der L e i b l ein-Drüsensekrete ziemlich unwahrscheinlich
ist, stellte ich folgenden Versuch an: Die Drüsen von 25 Tieren wurden in einem Mörser
zerrieben. Dieser Anreibung setzte ich 10 ccm filtriertes Seewasser zu und filtrierte sie
zweimal. Da die Flüssigkeit außerordentlich langsam durchläuft, mußte sie in eine Eispackung
gestellt werden. Ein ccm des Filtrates wurde zwei Mießmuscheln durch die Öffnungen
des Mantelrandes hindurch in den großen Schließ muskel gespritzt. Die Tiere
schlossen ihre Schalen natürlich sofort, öffneten sie aber schon nach kurzer Zeit wieder
ganz normal. Ferner spritzte ich in zwei Fällen einen ccm der Anreibung in den größeren
Schließmuskel von Mytilus, denen das Gehäuse zerschlagen worden war, sodaß sich
nur noch Schalenreste an beiden Enden der Muskeln fanden. Nach der Injektion — nicht
nach dem Einstich — kontrahierten sich die Muskeln. Nach zwei Tagen waren die beiden
Muscheln noch am Leben und die beiden isolierten Muskeln waren noch immer stramm
kontrahiert. Auch dieser Versuch spricht also nicht dafür, daß die Le i b lein-Drüsen
ein lähmendes Gift sezernieren, welches beim Öffnen der Muscheln von Nutzen sein könnte.
Auffallend ist es, daß die Speicheldrüsen an der Luft rascher zu verderben pflegen
als die Le i b le in -D rü s e n , sodaß die auf S. 111 wiedergegebene Äußerung Darins nicht
ganz unbegründet zu sein scheint. Es ist nicht unmöglich, daß die Sekrete der L e i b l e i n -
Drüse auf die in Zersetzung übergegangene Beute unserer Aasfresser eine desinfizierende
Wirkung im Magen ausüben, so wie es die Salzsäure im Säugermagen tut. Eine chemische
Steuerung des Mitteldarmverschlusses (L e i b 1 e i n - Knoten) durch das Sekret der Le i b-
lein-Drüse ließ sich jedoch nicht nachweisen.
D ie H a u p t f u n k t i o n d e r L e i b l e i n -D r ü s e s e h e n w i r d a h e r in de r
c h emi s c h e n A u f s p a l t u n g v on E i w e i ß s t o f f e n , die sich für Muskeleiweiß und
Glycylglyzin unzweifelhaft nachweisen ließ. Damit ist auch der Anschluß an gewisse
histologische und biologische Beobachtungen gegeben. Nach Darin (1912) enthalten die
Zellen der Leib l ein-Drüse Granula, die in das Darmlumen entleert werden (S. 50). Ich
konnte immer wieder feststellen, daß die Drüsen besonders nach der Nahrungsaufnahme
prall gefüllt sind, während sie bei Hungertieren in der Regel ziemlich zusammengefallen
aussehen (S. 58).
D ie S e k r e t e a l l e r Dr ü s e n s amme l n s i ch im Magen. Daher ist es biologisch
durchaus verständlich, daß der sogenannte Magensaft a l l e Substrate spaltet, auf
die wir ihn prüften. Diese Angabe stimmt mit den Beobachtungen einiger Autoren überein,
die an anderen Gastropoden arbeiteten. Allerdings ist sie noch niemals wirklich exakt
fundiert worden. So schreibt A l b r e c h t (1923, S. 793) in der Zusammenfassung seiner
schwer kontrollierbaren Ergebnisse: „The enzymes in the molluscan liver are practically
the same as those present in the alimentary canal. This supports the Suggestion th at the
enzymes are produced in the liver and secreted into the intestines.“ G r a e t z (1929 a, S. 306)
stellte folgendes fest: „Die Wirkung des Verdauungssaftes von Helix pom. unterschied
sich qualitativ nicht von dem Safte, der durch Zerreiben der Mitteldarmdrüse gewonnen
worden war.“ Nur quantitative Unterschiede konnten gemacht werden. Dieses Ergebnis
wurde allerdings von R o s e n (1932, S. 89) wieder in Frage gestellt (S. 66).
Vergleichen wir die auf Abb. 29 zusammengestellten Substratabbaukurven für Magensaft
und Mitteldarmdrüsenmaterial, so geht ohne weiteres die plangesetzliche Übereinstimmung
daraus hervor. Q u a l i t a t i v l e i s t e n Ma g e n s a f t u n d M i t t e l d a rm d
r ü s e n da s Gl e i che , n u r d i e um g e s e t z t e n Men g e n s i n d v e r s c h i e d e n .
Die Enzyme sind durchgehend in einem Milieu von pH 4—9 wirksam, wobei die Grenze auf
der sauren Seite eindeutiger festgelegt ist, als die auf der alkalischen. Das Ergebnis der
physiologisch-chemischen Untersuchungen verstößt aber in keiner Weise gegen die Vorstellungen,
die wir uns von den biologischen Vorgängen machen. Der pH-Wert des reinen
Magensaftes liegt bei pH = 5,8, derjenige des Mitteldarmdrüsenmaterials bei pH = 5,72.
Die Übersicht auf Abb. 28 zeigt, daß das Optimum der Stärkespaltung mit diesem Werte
zusammenfällt, während alle anderen Optima höher liegen. Auf S. 77 machten wir bereits
Zoologien, Heft 92. 16