
Nähe des Köders kamen. Aber selbst wenn sie nur 1—2 cm davon entfernt waren, folgte
keine Drehung des Fußes nach der gereizten Seite, obgleich die Siphonalöffnung direkt
auf das Fleisch gerichtet war, welches nach dem Versuche gierig angenommen wurde.
Diese Tatsache spricht besonders stark dafür, daß der Pallialstrom selbst in Zeiten
höchster Erregung verhältnismäßig gleichmäßig fließt und keine energischere Tiefenwirkung
entfaltet als heim ruhenden Tier. Eine solche verstärkte Tätigkeit läge durchaus
im Bereich des Möglichen, wenn man an die Weinbergschnecke Helix pomatia denkt, die
energische Ventilationsbewegungen zur Atmung ausführt, indem sie die hintere Mantelwand
rhythmisch bewegt. [Vgl. hierzu Meisenheimer (1912, S. 73) und neuerdings Ysseling
(1930, S. 7—lg ].
Ohne den vorliegenden Fragekomplex damit als völlig geklärt zu betrachten, möchte
ich aus meinen Beobachtungen schließen, daß Buccinum undatum nicht wie die meisten
höheren Krebse a k t i v Wa s s e r s t r öme v on g r o ß e r T i e f e n w i r k u n g hervorbringen
kann, an denen sie sich wie an einem unsichtbaren chemischen Faden durch die
sonst unbewegte Chemosphäre des Beutefeides zieht. Der Pallialstrom dient zwar, wie wir
noch sehen werden, neben der Erneuerung des Atemwassers auch der Orientierung im
Beutefelde, aber seine Tiefenwirkung ist so gering, daß das Beutefeld der Schnecke im
ruhenden Medium fast unmittelbar hinter dem distalen Ende des Siphos seinen „Horizont“!
findet.G
anz anders gestaltet sich die Sachlage, wenn das Beutefeld von p a s s i v e n S t r ö mu
n g e n durchzogen wird. Schon bei der Untersuchung der decapoden Crustaeeen war
es mir aufgefallen, daß diese Tiere sehr empfindlich für Wasserströme sind, die auf ihre
1. Antennen, d. h. ihre Chemorezeptoren, treffem [Brock (1930)]. Auf der Drehscheibe
könnte ich besonders deutlich bei gewissen B r a c h y u r e n zwei Phasen der Bewegungen
dieser Organe feststellen. In der 1. Phase werden, solange die trägen Wassermassen noch
hinter der Geschwindigkeit des Behälters Zurückbleiben, die 1. Antennen in die Dreh-
riehtung geschlagen (s. Abh. 6 a Drehstrom). Bremst man jetzt die Bewegung der Scheibe
plötzlich ab, so schießen die Wassermassen infolge ihrer Trägheit weiter und die 1. Antennen
werden augenblicklich in die entgegengesetzte Richtung gebracht. Sie schlagen
also der ursprünglichen Drehrichtung entgegen (s. Abb. 6 h Bremsstrom).
Drehstrom Bremsstrom Drehstrom Bremsström
,0 0 , 0
a b c d
Abb. 6 : Das Verhalten der 1. Antennen von Carcinus und dasjenige des Siphos von Buccinum auf der Drehscheibe,
a u .b : Antennulenreaktion des Krebses Carcinus. e u . d : Siphonalreaktion der Schnecke Buccinum. Antennulen und Sipho
werden in der 1. Phase (Drehstrom) in die Drehrichtung gebracht. Beim Abbremsen der Drehung in der 2. Phase (Bremsstrom)
wenden sie sich nach der entgegengesetzten Seite, so daß sie immer dem ankommenden Wasserstrom entgegengehalten
werden.
tä-
Es leuchtet ein, daß auf diese Weise jeder ankomm ende Wasserstrom in seiner Richtung
festgelegt und chemisch analysiert werden kann. Da sich die decapoden Crustaeeen
ebenso wie die Wellhornschnecken auf der Beutesuche weitgehend nach dem gleichen Plane
orientieren, so lag es nahe, anzunehmen, daß auch die Schnecke eine der A n t e n n u l e n r
e a k t i o n analoge Bewegung mit dem Sipho ausführt, um die Richtung von Wasserströmen
festzulegen. Die Vermutung bestätigte sich vollkommen. Abb. 6 c u. d zeigt deutlich,
daß der Sipho im Drehstrom in Drehrichtung, im Bremsstrom entgegengesetzt derselben gehalten
wird. Dabei verh arrt er während der einzelnen Phasen in Ruhe.
Sowohl die A n t e n n u l e n - wi e di e S i p h o n a l r e a k t i o n treten völlig gesetzmäßig
auf, wenn man darauf achtet, daß sich keine Wirbel zwischen der Glaswand und
dem Körper des Tieres bilden, daher eignen sie sich gut als Praktikumsversuch.
Ich glaube sicher, daß auch andere Prosobranchier diese Reaktion zeigen. An Nassa
reticulata konnte ich dieselbe beobachten, allerdings kann der relativ lange und schwache
Sipho den ankommenden stärkeren Strömen nicht standhalten und wird passiv mitgerissen.
Vielleicht liegt hier eine besondere Einpassung dieses meist in den Sand ein-
gegrabenen Tieres vor.
Schneidet man einer Wellhornsehnecke durch einen raschen Scherenschnitt ein Stück
von der Siphospitze ab, so wird die S i p h o n a l r e a k t i o n dadurch nicht beeinflußt.
Dieser Versuch lehrt, daß die R e z e p t o r e n f ü r S t r öm u n g e n n i c h t n u r a u f den
d i s t a l e n R a n d des S i p h o s b e s c h r ä n k t sind. Nach dieser Operation wird das
Rohr allerdings nicht mehr maximal ausgestreckt. Entfernt man es an seiner Basis vom
Mantel und befestigt es auf einer durch Blei beschwerten Korkplatte, so kontrahiert es
sich zwar bei der leisesten Erschütterung, aber die Siphonalreaktion tritt nicht mehr auf.
Sie ist also kein lokaler Reflex, sondern irgendwie zentral verankert.
Man kann die Einstellung des Siphos auf der Drehscheibe „ p o s i t i v r h e o t a k -
t i s c h ‘f nennen, denn die S i p h o n a l r e a k t i o n w i r d u n a b h ä n g i g v on c h emi s
c h e n E i n f l ü s s e n zwa n g smä ß i g d u r c h Wa s s e r s t r öme a u s g e l ö s t . Andererseits
kann man sich leicht davon überzeugen, daß nicht jede Wellhornsehnecke zu jeder
Zeit stromaufwärts kriecht. Wir können also die These aufstellen, daß n i c h t d a s Tier ,
sondern n u r d e r S i p h o p o s i t i v r h e o t a k t i s c h e s V e r h a l t e n zeigt .
C o p e l a n d (1918, S. 184), der Alectrion auf das Verhalten in Wasserströmen geprüft
hat, stellt — ohne die Siphonalreaktion zu beachten — fest, daß diese Schnecke ebenso
mit dem Strome als auch gegen ihn kriecht. Das Bestreben jedoch, sich stromaufwärts
zu bewegen, nimmt zu, sobald die Strömung Nahrungsstoffe in gelöster Form an die Chemorezeptoren
des Tieres heranbringt. Es liegt hier wahrscheinlich derselbe Sachverhalt vor
wie bei Buccinum.
Wie außerordentlich weitgehend die chemi sche Be he r r s c hung des Beut efeldes
durch die Rezeption von Wasserströmen, die über die Nahrung gegangen sind, gemeistert
wird, beweist folgender Versuch. Ein sehr erregtes Tier, welchem soeben ein Fleischstück
entrissen worden war, kriecht im strömungsfreien Beutefelde mit ausgestrecktem Rüssel
3—5 cm an einem Beutestück vorbei. Als die Entfernung zwischen Tier und Fleisch etwa
15 cm beträgt, spritze ich einen Strahl reinen Seewassers über den Köder hinweg, so daß
er die Spitze des Siphos trifft. Augenblicklich richtet die Schnecke ihre Röhre hoch auf,
damit sie über der Schale der Strömung maximal ausgesetzt ist, macht eine scharfe Wendung
um 180 Grad und kriecht geradlinig mit völlig ausgestrecktem aber unbeweglichem
Sipho auf das Beutestück zu, berührt es mit den Tentakeln und beginnt schließlich zu
fressen.