
dauernden Reaktionsbereitschaft auf Mediumströme reden, es wäre durchaus denkbar,
daß sowohl die Siphonal- wie die Antennulenreaktion der höheren Krebse der Ausdruck
einer permanenten Funktionsbereitschaft des Feindeskreises darstellen.
Im B e u t e k r e i s e können wir mit Sicherheit einen Me d i um s t r om von einem
B e u t e s t r om unterscheiden, denn nur letzterer wird vom funktionsbereiten Tiersubjekt
verfolgt, solange nicht andere Merkmale wie z. B. Bodenspuren s t ä r k e r g e t ö n t auf-
treten.
Diese Übertragung der Tönung auf Objekte, die unter Umständen gar nicht mehr
innerhalb des chemischen Beutehorizontes liegen, erwähnten wir oben in einem anderen
Zusammenhänge für Einsiedlerkrebse. In hoher Erregung können diese Tiere die chemische
Spur plötzlich verlassen, um einen Stein anzuzielen, der in ihrer Nähe liegt, und
davon oft nur schwer wieder loskommen. Die B e u t e t ö n u n g wird also auf den prägnanteren,
schneller anzusteuernden optischen Merkmalträger ü b e r t r a g e n [Brock (1926,
Kap. IV, 3, bes. Abb. 29)].
Es wäre nicht nötig, die schwierigen theoretischen Fragen hier aufzurollen, wenn
nicht augenblicklich das tierische Verhalten in der Biologie von ganz verschiedenen, sich
einander mehr oder weniger ausschließenden Gesichtspunkten aus betrachtet würde.
Während man auf der einen Seite die T a x i e n l e h r e immer gründlicher auszubauen
sucht [vgl. z.B. K ühn (1919 und 1929); F raenkel (1931)], bemüht man sich auf der anderen
Seite, deren Widersinn nachzuweisen [vgl. z. B. VON Buddenbrock (1915), Alver-
des (1930 und 1931)]. Uns interessiert dieser Streit hier nur, soweit er den Funktionsplan
des Beutefeldes betrifft.
0 . K oehler (1927) hatte bei der Besprechung meiner Arbeit über die Nahrungssuche
der Einsiedlerkrebse [Brock (1926)] deren Ergebnisse in das Begriffsschema der
Taxienlehre übertragen, was F raenkel (1931, S. 70) neuerdings übrigens auch getan hat.
In meiner Untersuchung über die Antennulenreaktion [Brock (1930, S. 788)] machte ich
darauf aufmerksam, daß ich diese Eingliederung a b s i c h t l i c h vermieden habe. Alver-
DES (1930, S. 406) weist in seiner großen Arbeit über die decapoden Krebse auf meine
Bemerkung hin und versucht seinerseits, das Verhalten seiner Tiere durch „intrazentrale
Ausschaltung“ und „intrazentrales Schwanken“ zu erklären. Hertz (1933) hat erneut
über das Verhalten von Einsiedlerkrebsen gearbeitet, und zwar über das Gebiet, welches
ich 1927 eingehend analysierte. Leider erwähnt sie meine Untersuchungen, die auf analogen
theoretischen Grundlagen aufgebaut waren, wie sie oben durchgeführt wurden, mit
keinem Wort. Das ist um so bedauerlicher, als sie vom Boden der G e s t a l t t h e o r i e
ausgehend wiederum neue Perspektiven eröffnet, gegen die ich in gewissem Sinne Einspruch
erheben mußte [Brock (1933)].
Da ich nun neuerdings vor die Aufgabe gestellt bin, die Analyse eines Beutefeldes
durchzuführen, welches in gewissen Punkten große Ähnlichkeit mit demjenigen der deka-
poden Crustaceen hat, worauf schon mehrfach hingewiesen wurde, hielt ich es an der
Zeit, zu untersuchen, worauf letzten Endes das Gegensätzliche der drei Theorien -
T a x i e n l e h r e , Ge s t a l t l e h r e und Um w e l t l e h r e — beruht. Nach den oben entwickelten
Vorstellungen scheint es mir jetzt möglich zu sein, ganz kurz die wichtigsten
Punkte herauszuheben. Ich hoffe, dadurch in Zukunft Mißverständnissen aus dem Wege
zu gehen und lediglich einer befruchtenden Kritik ausgesetzt zu sein.
Soweit ich sehe, gehen sowohl die T a x i e n l e h r e als auch ihre Widersacher von
einer mehr oder weniger u n b i o l o g i s c h e n B e t r a c h t u n g sw e i s e aus. Dabei bleibt
die Taxienlehre von vornherein bei einer s umma t i v e n Betrachtungsweise stehen, während
die Gestaltsauffassung die g a n z h e i t l i c h e Verbundenheit von Tier und Welt
in ihrer Dynamik zugrundelegt.
Nach der Taxienlehre in ihrer reinsten Form, so wie sie von Loeb (1913) vertreten
wurde, ist das Tier r e a k t i o n s b e r e i t e s Obj ekt , welches zw a n g smä ß i g durch
Energiemengen gesteuert wird, wie das Eisenteilchen unter der Einwirkung des Magneten
[vgl. Brock (1931)]. Die Dynamik des äußeren Feldes, welcher sich das Tiersubjekt plastisch
einfügt, wird hier völlig übersehen. Man hat später versucht, die physiologischen Vorgänge
im Tier vom Rezeptor über das Nervensystem bis zum Effektor genauer zu analysieren
[vgl. F raenkel (1931)]. Der summative Charakter der Theorie ist dadurch natürlich
nicht beseitigt worden, denn er ist ihre Grundlage. Das Umfeld besteht von vornherein
aus einem Lichtstrahl bestimmter Wellenlänge oder aus einem seiner Struktur nach
möglichst bekanntem chemischen Stoff, die auf einen r e a k t i o n s b e r e i t e n Rezeptor
wirken und vom „geeigneten“ Tier e i n d e u t i g beantwortet werden. Es gibt natürlich
eine Menge „ungeeigneter Objekte“, die man vor der Untersuchung* zu eliminieren hat.
In dem Antagonismus geeignet-ungeeignet liegt das Hauptproblem verborgen. Welche
„Objekte“ können von der Taxientheorie erfaßt werden? Zunächst alle r e a k t i o n s b
e r e i t e n Tiere, denn wir ordneten oben der Reaktionsbereitschaft alle Verhaltensakte
eines Tieres oder eines Organs zu, die eine einfache, eindeutige Antwort auf einen einfachen
Reiz darstellen. Das sind die Re f l e xe .
Wenn die Taxienlehre n u r reine Reflexe in ihr Begriffsschema einbeziehen würde, so
.könnten wir uns vollkommen mit ihr einverstanden erklären, weil sie dann gleichsam auf
einer einheitlichen Ebene bliebe. Das ist aber leider nicht der Fall. Wie wir oben auseinandersetzten,
kann ein Tiersubjekt in einen bestimmten Funktionskreis eingeklinkt
sein, d. h. es kann eine Anzahl Verhaltensakte zeigen, die als Gesamtheit betrachtet p l a n v
o l l erscheinen, weil sie in Verbindung mit einem Merkmal träger gebracht werden
können, gegen den das Tiersubjekt nach einiger Zeit wieder ausgeklinkt erscheint. Das
Tiersubjekt war für eine Zeit f u n k t i o n s b e r e i t . Dabei muß ausdrücklich darauf hingewiesen
werden, daß diese Bereitschaft schon v o r dem E in tritt irgendwelcher äußerlich
sichtbaren Ortsveränderung des Tieres besteht. Schon v o r der Witterung des ersten
Nahrungsreizes müssen die Reizschwellen bestimmter Rezeptoren herabgesetzt sein, schon
v o r der ersten Nachricht vom anderen Geschlecht ist der Partner durch bestimmte Hormone
aktiviert worden.
In den meisten Fällen genügt ein einfacher Reiz, der, sobald er das funktionsbereite
Tiersubjekt trifft, mit einer bestimmten Tönung versehen, das erste Merkmal für die sich
anschließende effektorische Funktion abgibt. Daher kann man auch aus dem Gesamtverhalten
eines Tiersubjektes einzelne Verhaltenspunkte herauslösen, die äußerlich nicht
von Reflexen zu unterscheiden sind.
Einsiedlerkrebse steuern dunkle Flächen, die sich in bestimmterWeise gegen den optischen
Horizont abheben, an, wenn sie kein Gehäuse, aber auch wenn sie keine Seerosen,
mit denen sie Zusammenleben, auf ihrem Gehäuse haben [Brock (1927)]. Nach unserer A uffassung
sind sie im ersten Falle in den Gehäuse-, im zweiten Falle in den Symbiontenkreis
eingeklinkt, innerhalb deren sie ein durchaus verschiedenes Gesamtverhalten an den Tag
legen. Nach der Taxienlehre wären sie in b e i d e n Fällen positiv skototaktisch, d. h. sie
laufen dunkle Flächen an [AlVERDES (1930)].