C. Äußere Morphologie.
Wie die historische Übersieht gezeigt hat, wurde über die äußere Morphologie des Nervensystems
der Rhynehoten schon mehrfach berichtet. Wenn wir von den Untersuchungen
von B u g n io n (1908), T i t c h a c k (1928) und H a m i l t o n (1931) absehen, sind diese Angaben
sehr allgemein gehalten und nur durch schematische Abbildungen illustriert. Bei vielen dieser
Arbeiten sind zudem manche Teile des Nervensystems nicht erkannt oder sogar falsch
gedeutet worden. Es sollen daher zunächst die wichtigsten Typen auf Grund eigener U ntersuchungen
kurz charakterisiert und durch Umrißzeiehnungen, welche mit dem Zeichenapparat
entworfen wurden, erläutert werden. Wir folgen dabei der systematischen Anordnung.
Als H auptmerkmal des Nervensystems sämtlicher Rhynehoten kann dessen starke Konzentration
bezeichnet werden. Ohne Zweifel ist dieses Merkmal ein Zeichen besonderer Differenzierungshöhe.
Dafür spricht, daß die Rhynehoten auch bezüglich ihrer übrigen morphologischen
Merkmale zu den höchstdifferenzierten, oder besser höchstspezialisierten In sekten
gehören. Bei den übrigen Insektenordnungen stellt ein ähnlicher Grad der Ganglienkonzentration
jeweils nur das Endglied einer Differenzierungsreihe dar, bei den Rhynehoten
aber kommt allen Vertretern ohne Ausnahme ein sehr hoher Grad von Ganglienverschmelzung
zu. Stets sind sämtliche Abdominalganglien zu einer Einheit verschmolzen,
welche wiederum mit dem III. Thorakalganglion in engste Verbindung tritt. Die übrigen
Ganglien zeigen bei den verschiedenen Familien alle Kombinationsmöglichkeiten der Verschmelzung,
wie aus folgender Übersicht hervorgehen wird.
I. Heteroptera.
1. Geocorisae.
Abbildung 1 veranschaulicht die Lagebeziehung des Nervensystems von Syromastes
marginatus zum Gesamtkörper. Das Hinterende der verschmolzenen Abdominalganglien
liegt bei dieser Form etwa in der Mitte des II. Thorakalsegments. Eine entsprechend starke
Verlagerung ist bei den meisten Rhynehoten festzustellen. Normale Lagerung zeigen nur
die drei ersten Nervenzentren: das Oberschlundganglion (Osgl.), das Unterschlundganglion
(Usgl.) und das I. Thorakalganglion (I. Thgl.). Das II. Thorakalganglion (II.Thgl.) liegt
zwar in dem von ihm innervierten Segment, ist aber durch die starke Verlagerung der folgenden
Ganglien ganz an die vordere Grenze dieses Segments gerückt. Die Segmentzugehörigkeit
des III. Thorakalganglions (III. Thgl.) ist nur nur durch die von ihm abgehenden
Nerven, vor allem die starken Nerven, welche das dritte B einpaar versorgen (N. III. Extr.),
festzustellen. Von den vereinigten Abdominalganglien gehen nur drei Nervenpaare aus,
von denen dag eaudale P a a r oft so dicht zusammengerückt ist, daß es wie ein einziges Nervenbündel
erscheint (Abb. 1, Gsch, N.). Man darf daraus nicht schließen, daß die Zahl der
Abdominalganglien auf drei reduziert ist, es handelt sich vielmehr bei den abgehenden drei
Nervenpaaren um Sammelnérven. Die histologische Untersuchung ergab, daß die Zahl der
Abdominalganglien mindestens sechs ist, und daß während der Embryonalentwicklung
neun deutlich gegliederte Ganglienmassen im Abdomen vorhanden sind; das 10. Abdominalganglion
ist mit dem 9. Ganglion von Anfang an verschmolzen.
Eine ähnliche Lagebeziehung des Nervensystems zum Gesamtkörper konnte ich bei
allen untersuchten Vertretern der Landwanzen feststellen. Im folgenden soll daher nur
jeweils das Nervensystem selbst dargestellt werden.
Als typischen Vertreter der Pentatomidae wählen wir Pentatoma rufipes (Abb. 2).
In der in Abbildung 2 dargestellten Dorsalansicht ist vom Gehirn (Osgl.) nur das Protocere-
brum zu erkennen. Es überdeckt das Deuterocerebrum und das Tritocerebrum vollkommen.
An die halbkugligen Protocerebralloben (Osgl.) schließt sich jederseits ein Lobus opticus
(L. opt.) an, welcher bei allen Pentatomiden durch zwei lange Nervenstränge (Rf) mit dem
Fazettenauge (FA) in Verbindung steht. Der obere Strang zieht zur dorsalen Hälfte, der
untere Strang zur ventralen Hälfte des Fazettenauges. Als „Nervus opticus“ dürfen diese
Stränge nicht bezeichnet werden, denn erstens sind diese Nervenbündel etwas ganz anderes
als der Nervus opticus der Vertebraten und zweitens sind dieselben auch nicht dem „nerf
optique , welchen Bugnion (1 908) bei Fulgora beschreibt, zu homologisieren. Der Nervus
opticus von Fulgora ist vielmehr die Summe der, Verbindungsbahnen zwischen den optischen
Ganglien und den zentralen Gehirn teilen. Ich bezeichne1 daher die beiden Nervenbündel
der Pentatomiden einfach als Retinafaserstränge (Rf). Sie entsprechen der „sub-
retinalen Schicht“ anderer Autoren. Auf die theoretische Bedeutung, welche diesen beiden
Fasersträngen zukommt, soll erst später eingegangen werden.
Von der Dörsalseite des Protocerebrums nehmen die beiden; OCellennerven ihren Ursprung.
Sie erreichen bei Pentatoma eine beträchtliche Länge (Abb. 2, N. oc.).
Als einziges Nervenpaar des Deuterocerebrums sind die Antennennerven (N. ant.) zu
erwähnen. Äußerlich sind diese Nerven einheitlich, bestehen aber, wie die histologische
Untersuchung zeigen wird, aus mehreren Bündeln, welche im Gehirn getrennten Ursprung
haben und sich nach Ein tritt in die Antennenbasis voneinander trennen.
Das Tritocerebrum tritt äußerlich kaum in Erscheinung. Seine Lage erkennt man an
den von ihm entspringenden Frontolabralnerven (N. fr. labr.). In der Höhe des Ganglion
frontale (Gl. fr.) teilen sich diese Nerven je in einen Labral- und in einen Frontalnerven.
Vom Ganglion frontale zieht als unpaarerNerv der Nervus recurrens (Nr.) dem Vorderdarm
entlang in eaudaler Richtung, ein feineres, gleichfalls unpaares Nervenbündel zieht nach
vorn.
Das Unterschlundganglion (Usgl.) steht mit dem Cerebralganglion durch eine dicke,
aber sehr kurze Sehlundkommissur in Verbindung. Eine scharfe Grenze ist zwischen Tritocerebrum
und dem Mandibularganglion nicht anzugebeü. Äußerlich erscheint das Unterschlundganglion
durchaus einheitlich. Nur die abgehenden Nervenpaare deuten auf die
Verschmelzung von drei ursprünglich getrennten Ganglien (Mandibular-, Maxillar- und
Labialganglion).
Die Kommissur, welche das Unterschlundganglion mit dem I. Thorakalganglion
(I. Thgl.) verbindet, ist sehr kurz, doch ist letzteres stets als deutlieh isoliertes Ganglion zu