
Herr Dr. H ertling macht mich liebenswürdigerweise auf eine Angabe, die sich bei
H agmeier und H ändler (1927, S. 43) findet, aufmerksam. Die Untersucher schreiben:
„Ob die Wellhornschnecke und der Einsiedlerkrebs ebenfalls als Austernverzehrer auf-
treten können, ist uns nicht bekannt.“
Es ist kein Zweifel, daß die Lösung dieser Frage sowohl vom theoretischen wie vom
praktischen Standpunkte aus ganz außerordentlich interessant wäre.
A n m e r k u n g : Beim Durchlesen der Korrekturen fallen mir zwei Arbeiten in die Hände, die hier kurz Erwähnung
finden mögen, da mir ihre Ergebnisse sehr wichtig zu sein scheinen. — Ky l e , H. M. (1929) schreibt im „Handbuch
der Seefischerei Nordeuropas“ (Bd. VI, Kap. IX ,2 [Schaltiere] S. 156—169; S c h w e i z e r b a r t ’sche Verlagsbuchhandlung,
Stuttgart): „Die Wellhornschnecken sammeln sich auf Austern- und Muschelbänken und werden für diese als schädlich
angesehen. Dies ist jedoch sehr zweifelhaft, wenigstens soweit eine direkte Zerstörung in Betracht kommt. Man weiß
nicht, daß sie gesunde Tiere angreifen, und sie haben kein Mittel, um Austern oder Muschelschalen zu öffnen. Sie können
im Gegenteil Nutzen bringen, indem sie die kranken Tiere entfernen und Krieg führen gegen Krabben und andere Feinde.
Sie werden aber als Schädlinge angesehen und bei Whitstable werden jährlich über 12 000 cwts von den Austernbänken
entfernt.“ — Nach den Ergebnissen meiner Arbeit leuchtet es durchaus ein, daß die Wellhornschnecken kranke oder besser
gesagt tote Tiere von den Austernbänken entfernen, wie aber eine Kriegführung „gegen Krabben und andere Feinde“,
solange dieselben noch leben, möglich ist, wage ich nicht zu entscheiden. Durch die auf S. 9 beschriebene Einführung des
Gehäuserandes der Schnecke zwischen die Austernschalen wird eine Zerstörung lebender Austern durchaus in den Bereich
des Möglichen gerückt. Aus diesen Angaben sieht man jedenfalls deutlich, daß eine eingehende Analyse der planvollen Verknüpfungen
zwischen Feind und Beute, so wie w ir sie im Kap. II, 1 geben, auch für die Praxis von weitreichender Bedeutung
werden kann.
Auch aus der zweiten Abhandlung geht die Wichtigkeit der Wellhornschnecke für die Fischereiwirtschaft hervor.
Vor genau 50 Jahren wurde am 18. Mai 1 8 8 6 das Ködergesetz (Bait Bill) vom neufundländischen Parlament angenommen.
Durch diesen Akt wurde es möglich, Einfluß auf den Handel mit Ködern für die neufundländische Fischerei zu gewinnen.
Praktisch ging die Verfügung darauf hinaus, den französischen Fischern die Konkurrenz unmöglich zu machen, indem man
ihnen den Ankauf von Köderfischen erschwerte. Die Franzosen parierten den Schlag, indem sie die Wellhornschnecke
(bulot) als Köder in die Angelfischerei einführten. B r o n k h o r s t , M. (1 9 2 7 ) beschreibt in seiner Arbeit: „La pêche de la
Morue.“ (Off. Sei. et Techn. des Pêches maritimes. Notes et Rapports. Paris, Nr. 53 S. 1—168, Kap. Le Bulot [S. 77—80]) die
Erfahrungen, welche man bei dieser Fischerei gemacht hat. ü b er das Vorkommen der Wellhornschnecke äußert er sich in
folgenden Worten : „II se rencontre, principalement, par fonds dur, roches ou cailloux, gros graviers et coquillages appelés
,dents de cheval*. Sur le banquereau, de bulot est assez répandu sur les fonds de sable et de vase, mais on a remarqué
que le buccin des fonds de sable est petit, rouge, et de mauvaise qualité“. (S. 7 8 ) .
Diese Angaben stimmen durchaus mit unseren im Kap. 1,1 und auf S. 55 gemachten Feststellungen und Zahlenangaben
überein. Auf den Neufundlandbänken wandern die Wellhornschnecken mit den Fischern, weil sie dem Dufte der
über Bord geworfenen Fischabfälle folgen. Dabei können sie weite Strecken zurücklegen. An solchen Sammelplätzen konnten
in einem Zeiträume von 99 Tagen 50 000 Tiere täglich gefangen werden. — Auch in diesem Falle stimmen unsere Versuchsergebnisse
mit den Erfahrungen der Fischer sehr schön überein (vgl. Kap. II, 1 und IV). — Während der schlechten
Jahreszeit graben sich die Wellhornschnecken in den Sand ein, um nicht von den Strömungen weggerissen zu werden. _
Sehr ausführlich schildert Bronk h o rst das Zertrümmern der Schneckenschalen durch die Fischer und weist die Mängel
der Methoden auf, ohne eine Verbesserung angeben zu können. Ob die von mir auf S. 47 geschilderte Bearbeitung der
Schalen im Schraubstock geeigneter wäre, wage ich nicht zu entscheiden.
II. Analyse des Beutefeldes.
1. Nahrungssuche.
A. Das Verhalten der Schnecke im unbewegten Medium.
Wir lernten Buccinum undatum soeben als einen r e i n e n Fleischfresser und im besonderen
als Vertilger nicht zu stark in Verwesung übergegangenen Fleisches, also als
Aasfresser kennen. Diese Tatsache gibt bereits äußerst wichtige Hinweise auf die S t r u k t
u r des B e u t e f e l d e s , dessen Analyse wir in diesem Kapitel vornehmen wollen. A a s f
r e s s e r s i n d w ä h r e n d d e r O r i e n t i e r u n g i m B e u t e f e l d v o r w i e g
e n d a u f c h e m i s c h e R e i z e a n gewi e s e n . Daher findet man bei ihnen immer gut
ausgebildete Chemorezeptoren, deren Sitz und Struktur bei Wirbellosen allerdings noch
weitgehend unbekannt sind. Auch die Frage, ob es sich bei den vorhandenen Chemorezeptoren
um Stibo- oder Gustorezeptoren (Geruchs- oder Geschmacksorgane) handelt, ist
oft aufgeworfen worden. Bisher konnte sie jedoch noch nicht einheitlich gelöst werden.
Wir werden auf dieses Problem noch einmal zurückkommen, ohne ihm allerdings in dieser
Untersuchung eine zentrale Bedeutung zuzusprechen. Einstweilen entgehen wir allen
Schwierigkeiten, wenn wir die auf chemische Reize ansprechenden Organe als C h emo r
e z e p t o r e n bezeichnen.
Um ein möglichst unvoreingenommenes Bild des V e r h a l t e n s d e r T i e r e im
B e u t e f e l d e m i t u n b ewe g t em Me d i um zu geben, seien den theoretischen Erörterungen
Versuche und Beobachtungen, die sowohl an einem einzelnen Tiersubjekt, wie in
Massenexperimenten durchgeführt wurden, vorangestellt.
Die Met h o d e der Untersuchung schließt sich eng an die an, welche ich in meiner
Arbeit über den Einsiedlerkrebs Pagurus arrosor (1926, S. 450) als „Spurkurven-Methode“
schilderte. Da aber Buccinum im Gegensatz zu Pagurus sehr wenig leistungsfähige Augen
besitzt, die beim Aufsuchen der Nahrung sicher keine Rolle spielen, war es nicht nötig,
die Beute unter Steinen zu verstecken, um sie so dem Einflüsse der Photorezeptoren zu
entziehen. Niemals konnte ich eine o p t i s c h e A b l e n k u n g der Schnecke durch Gegenstände
beobachten, wie ich sie bei Einsiedlerkrebsen mit Sicherheit nach weisen konnte
[Brock (1926, Kap.IV, 3)].
Zur Aufnahme von S p u r k u r v e n der sich im strömungsfreien Beutefelde bewegenden
Schnecke eignete sich ein Zementbecken von 68,5X51X15 cm Größe, welches außer dem Beutestück
keinerlei Sonderheiten aufwies. In den Boden des Beckens waren weiße Kacheln mit
15 cm Seitenlänge eingelassen, deren Ränder die Quadratur für die Diagramme des Protokolls
abgaben. Man sieht auf den Abb. 1, 2 und 4, daß die Kacheleinlage nicht ganz bis an die
Beckenränder reichte, sondern an den Seiten je einen Streifen von 3 cm und neben der
a-Reihe einen solchen von 2 cm, neben der d-Reihe einen solchen von 6,5 cm freiließ. Der