o b j e k t i v e n Zei t . Von diesem Umfelde können Wirkungen bestimmter Art ausgehen,
die ein r e a k t i o n s b e r e i t e s T i e r zur Ortsveränderung veranlassen. In unserem Falle
sind solche Bewegungsauslöser vorzugsweise chemischer Natur. Man darf daher von einer
C h emo s p h ä r e sprechen, die sich im ruhenden Medium wie eine immer größer werdende
Halbkugel über einem chemischen Zentrum (dem Beutefleische) ausbreitet und an der
P e r i p h e r i e an ein „chemisch reines“ Medium (das umgebende Wasser) grenzt. Durch
Mediumbewegungen (Wasserströme) werden die regelmäßige Halbkugelform und das Gefälle
in bestimmter Weise geändert. Das auf b e s t i mmt e V e r ä n d e r u n g e n z w a n gs m äß i g
r e a g i e r e n d e T i e r verhält sich ähnlich wie der im Gravitationsfelde fallende Stein
nach den Anschauungen der klassischen Physik (vgl. auch S. 29).
Die d y n ami s c h - b i o l o g i s c h e B e t r a c h t u n g sw e i s e hingegen geht nicht „v o n
einem T i e r s c h l e c h t h i n “, sondern von einem f u n k t i o n s b e r e i t e n T i e r s u b j e k t e
aus, welches als a k t i v e s We l t z e n t r um angesprochen wird. Di e s e s T i e r s u b j e k t
s e l b s t b a u t in s c h ö p f e r i s c h e r D y n ami k i n d e n O r d n u n g s f o rme n s e i n e s
R a um e s u n d s e i n e r Ze i t a u s s e i n e n M e r kma l e n s e i n B e u t e f e l d auf . Aus
der physikalisch-chemischen Peripherie des Umf e l d e s wird plötzlich der immerfort wechselnde
s u b j e k t i v e H o r i z o n t des suchenden Tiersubjektes. Aus der Statik eines Laboratoriumsversuches
sind wir in die Dynamik einer dauernd neu erstehenden Umwelt eingedrungen.
Bei aller biologischen Forschung sollten wir eingedenk sein, daß wir n i c h t m i t T i e ren,
s o n d e r n m i t T i e r s u b j e k t e n arbeiten, um welche sich unsichtbar eine Umw e l t
wölbt, in w e l c h e r da s T i e r s u b j e k t W e l t z e n t r um ist . Die Bewertung der einzelnen
Verhaltensakte wird unter dieser Perspektive eine ganz andere sein als ohne diese.
Das soll zunächst an einem einfachen, vielleicht sogar oberflächlichen Beispiel vor Augen
geführt werden.
Wie bereits oben erwähnt wurde, kann eine nahrungsuchende Wellhornschnecke in
2—3 cm Entfernung an der Beute vorbeikriechen, obgleich sie ihren Sipho unmittelbar
darauf richtete. Man sollte meinen, in diesem Augenblicke seien dem Osphradium die Reizstoffe
durch den Sipho plötzlich in derart konzentrierter Form zugeführt worden,
daß eine Drehung nach der gereizten Seite hätte stattfinden müssen. Ein Versuch belehrte
uns aber darüber, daß die Tiefenwirkung des Siphos nur V2 cm beträgt. Der Horizont
des Tiersubjektes m üßte also um das 3—5fache hinausverlegt werden, wenn das Beutestück
in seinen unmittelbaren Wirkungsbereich hätte fallen sollen. Wir werden sogleich sehen,
daß das Tier während seines Suchganges „Proben“ durch seinen Sipho auf nimmt, die es dem
Osphradium zuleitet. Nur wenn das chemische Gefälle zweier nacheinander aufgenommener
Proben steil genug ist, erfolgt eine Drehung des Tieres nach der gereizten Seite. Diese Steilheit
des Gefälles, die w ir zunächst nicht messen können, braucht aber nicht dann besonders
groß zu sein, wenn der außenstehende Beobachter sein Versuchstier „ganz nahe“ an der
Beute vorbeikriechen sieht. Dem Tiersubjekt ist sie lediglich durch zwei aufeinanderfolgende
Merkmale innerhalb seines chemischen Horizontes gegeben.
Ich gebe zu, daß wir in Zukunft Methoden finden werden, welche gestatten, das geschilderte
Verhalten der Schnecke auch zahlenmäßig zu begründen, weil die Steilheit des
Gefälles ein physikalisch-chemischer Faktor ist.
Viel schwieriger aber wird die Angelegenheit, wenn wir das Tiersubjekt unmittelbar
in den Kreis unserer Betrachtungen ziehen. Gewöhnlich nimmt man an, daß zum Studium
der Nahrungssuche „hungrige“ Tiere am „geeignetsten“ sind. Wie wir bereits auf S. 16
auseinandersetzten und wie ferner auch aus Tabelle I, Spalte 5 (Erstes Auftreten einer E rregung)
zahlenmäßig hervorgeht, ist die F u n k t i o n s b e r e i t s c h a f t des Versuchstieres,
welche die erste Voraussetzung für jedes Experiment ist, ein sehr schwer zu fassender
Faktor.
P h y s i o l o g i s c h hat man ihn durch R e i z s c hw e l l e n b e s t immu n g e n festzulegen
versucht. Dabei ergab sich, wie auf S. 16 erwähnt, daß diese Reizschwellen durch
„ D r e s s u r “ zu beeinflussen sind. Das besagt in unserer Terminologie: nicht das Tier, das
Tiersubjekt mit seiner „ h i s t o r i s c h e n R e a k t i o n s b a s i s “ [Driesch (1921, S. 336ff.)]
muß zum Gegenstände der Betrachtung gemacht werden! Wir wollen den Sachverhalt in
folgenden Worten ausdrücken: D ie F u n k t i o n s b e r e i t s c h a f t f ü h r t z u r E i n k
l i n k u n g de s T i e r s u b j e k t e s i n e i n e n b e s t immt e n F u n k t i o n s k r e i s . In
unserem Falle wird die funktionsbereite Schnecke in den Beutekreis eingeklinkt [vgl.
auch Brock (1927)]. Werden in diesem Zustande bestimmte funktionsbereite Rezeptoren
durch adäquate Reize getroffen, so folgt der Ablauf einer Reihe von Verhaltensakten, die
nur auf „Freßobjekte“ gerichtet sind. Dieses Verhalten kann, wie aus den Abb. 1, 2 und 4
zu sehen ist, objektiv dargestellt werden. Nach der Nahrungsaufnahme zeigt das Tiersubjekt
keinerlei Funktionsbereitschaft für Freßbares mehr, denn jetzt ist es aus dem Funktionskreise
der Nahrung ausklinkt.
Wir sehen also klar, daß nur das funktionsbereite Tiersubjekt befähigt ist, ein Beutefeld
aufzubauen, wobei rezeptorische und effektorische Funktionen planvoll ineinandergreifen
müssen, wenn der Erfolg gesichert sein soll. Für die Dauer der Funktionsbereitschaft
wird das Tier durch eine Anzahl nacheinander auf tretender Merkmale wie durch
Wegweiser gesteuert.
Die Merkmale aber müssen im Tiersubjekt planvoll verknüpft werden, sonst würde es
dauernd aus seiner Bahn geworfen und sich ins Uferlose verirren. Daher sehen wir d e n
e i g e n t l i c h e n S i n n d e r F u n k t i o n s b e r e i t s c h a f t in d e r F ä h i g k e i t des
T i e r s u b j e k t e s , b e s t i mmt e n R ei z e n e i ne T ö n u n g g e b e n zu k ö n n e n .
Di e G e s amt h e i t d e r e i n h e i t l i c h g e t ö n t e n Reize, von d e r E i n k l i n k u n g
bi s z u r A u s k l i n k u n g a u s e i n e m F u n k t i o n s k r e i s , s i nd di e M e r k ma l e , a us
d e n e n da s T i e r S u b j e k t im R a hme n s e i n e s R a ume s u n d s e i n e r Ze i t ein
s u b j e k t b e z o g e n e s b i o l o g i s c h e s Umf e l d a u f b a u t . Konkret für unseren Fall
dürfen wir sagen: die vom Köder ausgehenden Reize in ihrer Gesamtheit werden vom funktionsbereiten
Schneckensubjekt mit der Beutetönung versehen. Erst dadurch werden sie
b i o l o g i s c h oder v i t a l b e d e u t s am [vgl. hierzu die neuerdings erschienenen Arbeiten
von UexkÜll und Brock (1935) und VON UexkÜll (1935)]. Es ist durchaus möglich, ja sogar
wahrscheinlich, daß nicht jeder Reiz eine Tönung erhält. Ich möchte annehmen, daß die
R e f l e x e durch neutrale Reize und nicht durch Merkmalbildung ausgelöst werden. Wir
wollen die Bereitschaft des Tieres zur Aufnahme von Reizen überhaupt R e a k t i o n s b
e r e i t s c h a f t nennen, um damit anzudeuten, daß es neben der F u n k t i o n s b e r e i t s
c h a f t eine zweite Form der Einklinkung in das Umfeld gibt.
Andererseits hat Beniuc (1933, S. 438) darauf hingewiesen, daß das Tiersubjekt möglicherweise
in bestimmte Funktionskreise p e rm a n e n t (z.B. in den Feindeskreis), in
andere p e r i o d i s c h (z.B. in den Beute- und Geschlechtskreis) eingeklinkt sein kann. Nur
sehr eingehende Untersuchungen werden diese Frage entscheiden. F ü r uns ist sie deswegen
von Interesse, weil wir in der S i p h o n a l r e a k t i o n einen Verhaltensakt kennenlernten,
der als Antwort auf j e d e n Strömungsreiz auf tritt. Wir können also von einer