
In diesem Falle war also die Tiefenwirkung des Pallialstromes nicht groß genug,
um dem Osphradium durch den pendelnden Sipho Nachricht von der unmittelbaren Nähe
der Beute zukommen zu lassen. Dieses Ergebnis stimmt durchaus mit demjenigen des auf
S. 19 geschilderten Versuches überein, wonach die Wirkung Vs cm nicht überschreitet.
Das Tier verfehlt das Ziel. Wie wir in Kapitel II, 1D sehen werden, ist dieses Verhalten
durchaus p l a n v o l l innerhalb der Mittel, die ihm zur Verfügung stehen. Sicher wäre
aber der Weg zur Beute ohne das Auftreten des Wasserstromes ein viel längerer geworden,
als in unserem Versuch. D e r S t r om k o n z e n t r i e r t di e v on d e r N a h r u n g a u s g
e h e n d e n c h em i s c h e n S t o f f e in e i n e r R i c h t u n g ; d a d u r c h w u r d e er
i n d e r Umwe l t d e r S c h n e c k e zum B e u t e s t r om . Ob aber ein Wasserstrom die
B e d e u t u n g eines B e u t e s t r ome s oder nur die eines Me d i ums t r ome s hat, kann
nur durch Chemorezeption festgestellt werden. Wenn ein hungriges Tier zwa n g smä ß i g
positiv rheotaktisch reagieren müßte, so könnte es durch einen Mediumstrom, in welchen
es oberhalb der Beute hineingerät, weit von seinem Ziele entfernt werden. Daher ist n u r
d e r B e u t e s t r om für das Tier unmittelbar b i o l o g i s c h b e d e u t s a m , denn er erweitert
den c h e m i s c h e n B e r e i c h des B e u t e f e l d e s ganz außerordentlich, indem
er die löslichen Stoffe der Nahrung in eine enge Straße zwängt und damit konzentriert
und richtet. Der Me d i ums t r om wird also durch eine positiv rheotaktische Reaktion
des Siphos allein beantwortet, in dem Augenblicke aber, wo der Mediumstrom chemische
Merkmale der Nahrung aufweist, wird er zum B e u t e s t r om für das nahrungsuchende
Tier. Solange nun keine anderen noch bedeutsameren Merkmale, z. B. Beutespuren auf
dem Boden, die, wie wir sahen, durch die Tentakeln rezipiert werden können, auftreten,
zeigt das Tier eine „positiv ehemo-rheotaktischert Haltung und kriecht stromaufwärts. So
erklären sich auch Copelands Beobachtungen an Alectrion ganz ungezwungen. In diese
Richtung weist auch die wenig exakte Untersuchung Dimons (1905) an Nassa öbsoleta.
Eingehender sollen aber diese interessanten Tatsachen erst im Kapitel II, 1D hespro-
chen werden.
Schließlich sei in diesem Zusammenhang noch ein Versuch erwähnt, in welchem ein
besonders auffallendes Verhalten des Siphos im Beutestrom beobachtet werden konnte
Das Versuchstier wurde aus einer Spritzflasehe mit Seewasser angespritzt, dem außer
Fischfleisehsaft noch Neutralrot heigemengt war. Dieser Farbstoff kennzeichnet den Strom
und wird im Gegensatz zu Methylenblau in die Pallialhöhle eingesogen, ohne daß es dabei
zu einer heftigen Expiration käme wie in dem auf S. 19 geschilderten Versuche. Auf
diese Weise konnte das Tier 30 cm weit geradlinig vorwärtsgeloökt werden. Plötzlich
wurde die dauernd vom Strahle getroffene Ventralseite des Siphonairohres, welches nur
geringe Bewegungen machte, aufgerollt, so daß der Beutestrom auf die breite Innenfläche
dieses Mantelzipfels auftreffen mußte. Dadurch wird natürlich einerseits die rezipierende
Fläche vergrößert, ganz gleich, ob die Rheorezeptoren nur am Rande, oder auf der ganzen
Breite des Siphos sitzen. Andererseits w ird der Weg des Pallialwasserstromes zu den Chemo-
rezeptoren des Osphradiums wesentlich verkürzt.
Wir sehen also, daß dem Tiere auch im bewegten Medium des Beutefeldes eine ganze
Reihe von Verhaltensweisen zur Verfügung stehen, welche der Dynamik der äußeren
Situation plastisch angegliehen werden können. Bisher wurde jedoch das Verhalten nach
Möglichkeit nur rein beschreibend dargestellt, erst in Kapitel II, 1 D soll es weitgehend in
einen funktionellen Planzusammenhang gebracht werden.
C. Die Bedeutung der Rezeptoren für den Aufbau des Beutefeldes.
Die bisherigen Ausführungen haben bereits gezeigt, daß sich das Beutefeld der
Schnecke Buccinum undatum hauptsächlich aus chemischen und Strömungsreizen aufbaut.
Jetzt ist es an der Zeit, etwas näher auf die Beschaffenheit der Rezeptoren einzugehen,
welche das Reizmaterial aufnehmen, um es den Zentren zuzuleiten.
Meist handelt es sich hierbei um Rezeptoren, die in Form einzelner Zellen in die
Körperhaut eingelagert und daher bis heute noch wenig erforscht worden sind.
Die zu einzelnen Or g a n e n einheitlich zusammengefaßten Sinneszellen hat Darin
(1912) in seiner schon mehrfach erwähnten Monographie beschrieben und teilweise abgebildet.
Es handelt sich um die Auge n, die O t o c y s t e n und um das O s p h r a d i u m .
Die Otocysten sollen uns in dieser Abhandlung nicht beschäftigen, denn sie könnten
für das Beute- und Verdauungsfeld höchstens eine indirekte Bedeutung haben.
Eine kurze Erwähnung verdienen die Au g e n , obgleich eine Steuerung des nahrungsuchenden
Tieres durch optische Merkmale n i c h t nachgewiesen werden konnte. Buccinum
hat hochdifferenzierte Linsenaugen, die ziemlich versteckt auf einer kleinen Vorwölbung
an der Basis der Tentakeln liegen und als runde tief sch warze Punkte trotz des in die
Haut eingelagerten Pigments meist deutlich zu erkennen sind (vgl. Abb. 11). Darin (1912,
S. 77) meint, nachdem er diese Organe eingehend beschrieben hat, daß sich die Schnecke
wahrscheinlich wenig auf ihre Sehorgane verlassen könne und man eigentlich nicht verstünde,
warum sie überhaupt so hoch differenzierte Photorezeptoren besäße.
Wenn man die Zusammenfassung über den Gesichtssinn bei Pulmonaten liest, die
Hoffmann (1927, S.1193 —1209) gegeben hat, so wird sofort deutlich, wie schwierig es
heute noch ist, sich ein zusammenhängendes Bild von der biologischen Bedeutung der
verschiedenen photorezeptorischen Leistungen dieser Organe innerhalb der Gruppe zu
machen, trotzdem eine Reihe guter Arbeiten darüber vorliegt.
Die Sehleistungen der Prosobranchier sind viel weniger erforscht, so daß nur eine
eingehende Analyse unter voller Berücksichtigung des biologischen Verhaltens z. B. im
Feindeskreise, wirklichen Wert besitzen könnte.
Hier sollen nur die wenigen Bemerkungen, die ich in der Literatur über Buccinum
finden konnte, aufgeführt werden, um zu zeigen, daß eine Analyse des Beutefeldes dadurch
kaum bereichert wird.
Simroth (1896—1907, S. 983) äußert sich: „Buccinum undatum macht den Eindruck,
als wenn die Augen vollkommen überflüssig wären. Beschattung bewirkt nur eine schwache
Retraktion des Sipho.“ P late (1924, S. 402) gibt an, daß die Wellhornschnecke positiv
phototaktisch reagiere. Leider konnte ich weder die eine noch die andere Reaktion feststellen,
was natürlich nicht besagen soll, daß unter bestimmten Umständen das Verhalten
nicht doch in der geschilderten Weise ablaufen kann. Hess (1913, S. 687) prüfte den Sipho
auf Lichtempfindlichkeit, offenbar weil er glaubte, einen dermoptischen Apparat vorzufinden,
wie man ihn hei Muscheln antrifft; er konnte aber „keinerlei Lichtwirkung“ feststellen.
Wenn also Simroths Beobachtung richtig ist, so muß die Auslösung der siphonalen
Retraktionsbewegung über das Auge gehen.
Selbstverständlich bin ich nicht der Meinung, daß die wohl ausgebildeten Photorezeptoren
von Buccinum g a r k e i n e Bedeutung haben. Mit Hinsicht auf die kümmerlichen
Lichtverhältnisse, die wir in den Tiefen vorfinden werden, in denen sich die
Schnecke vorzugsweise aufzuhalten pflegt, kann das Auge auf keinen Fall eine bedeutende