
seine ärmliche Rolle zu Ende spielen. In den letzten sechs-
zig Jahren hatten sich nach und nach alle Befehlshaber der
verschiedenen Provinzen so sehr von den regierenden Kaisern
unabhängig gemacht, dass sie ihnen nicht nur keinen Tribut
mehr, sondern sogar nicht einmal irgend ein Geschenk
entrichteten. Die mächtigen Statthalter erpressten Auflagen
von den geringeren, und vergeudeten sie in gegenseitigen
Bekriegungen. Dem Kaiser war für seinen Lebensunterhalt
nichts weiter übrig geblieben, als jährlich dreihundert Spe-
cies-Thaler, welche die in der Vorstadt Islam-Bed wohnenden
Mahommetaner von alten Zeiten her, als eine Art Kopfsteuer,
zu entrichten hatten. Mit dieser unbedeutenden
Summe und dem Betrage einiger wenigen zufällig eingehenden
Strafgelder, musste die ganze Hofhaltung unterhalten
werden! Dieses grosse finanzielleBedrängniss, bei welchem,
der Titular-Beherrscher des Reichs kaum die nöthigsten Ausgaben
für seine Nahrung zu bestreiten vermochte, war es
wohl, welche den Kaiser Saglu Denghel auf den Gedanken
brachte, dass, da in Abyssinien der Herrscher zugleich als das
höchste Haupt' der Landeskirche angesehen wird, er auch das
Recht haben müsse, diejenigen Schenkungen, welche seine
Vorfahren in glücklicheren Zeiten verschiedenen Kirchen
gemacht hatten, jetzt, da der Thron dieselben zu seinem
eigenen Bestehen nöthig habe, wenigstens theilweise zurückzuverlangen.
Er erklärte diess den angesehensten der in
Gondar anwesenden Geistlichen, brachte aber dadurch den
ganzen Clerua gegen sich auf. Dass Soldaten durch die
Macht der Stärkeren sich der Einkünfte vieler Kirchen be-
meisterten, hatte man freilich geschehen lassen müssen,
weil es nicht verhindert werden konnte; aber in die Schmälerung
der kirchlichen Revenuen als etwas Gesetzliches von
freien Stücken einzuwilligen, wollte und wird die abyssinische
Geistlichkeit jemals eben so wenig zugeben, als. die
irgend eines Landes von Europa. Sämmtliche Geistlichen
von Gondar verfugten sich also zum Kaiser und protes-
tirten gegen diese Neuerung; ja, sie fingen sogar an die
Kirchen zu schliessen, und jegliche geistliche Function einzustellen,
worüber besonders die älteren Frauen der Stadt
in die grösste Bestürzung geriethen. Am 19. Januar aber
begab sich die ganze Geistlichkeit der Stadt in einem
feierlichen Aufzuge zum Ras Ali nach Fangia, und bat
denselben dringend, dem Saglu Denghel die Kaiserwürde
zu nehmen, weil er sich derselben durch die Einführung
ketzerischer Neuerungen in dem zwischen Staat und Kirche
bestehenden Verhältnisse unwürdig gemacht habe. Solche
Versuche, fügten sie hinzu, würden ohne allen Zweifel den
Ruin des Reiches nach sich ziehen, und von jeher sey ja
auch ein Angriff auf die geistlichen Rechte von allen Synoden
als verdammungswerth anerkannt worden. Der Clerus
erreichte seinen Zweck ganz und gar; denn Ras Ali schickte
sogleich einen seiner Officiere mit dem Befehle nach Gondar,
dass der Kaiser augenblicklich das Schloss verlasse,
und die Krone niederlege, für welche er bei seiner Rückkehr
von dem Kriegszug nach Gudjam einen Würdigeren
ernennen werde; und diesem Befehl ward ohne die mindeste
Widersetzlichkeit Folge geleistet. So endete die nominelle
Herrschaft Saglu Denghel’s nach einer Dauer von
nur vier und einem halben Monat. Ras Ali wies dem abgesetzten
Kaiser ein kleines Dorf in der Nähe des Zana-
Sees als seinen künftigen Wohnsitz, und die geringen Einkünfte
von demselben zu seinem ferneren Unterhalte an.
Während der übrigen Zeit meines Aufenthalts in Abyssinien
ward kein neuer Kaiser gewählt. Auch später habe
ich den Namen des Nachfolgers nicht erfahren; dieser ist