
Die Polygamie ist in ganz Abyssinien unter den Christen
tolerirt, aber nur die Reichen pflegen am nämlichen Orte
mehrere Frauen zu haben, von denen übrigens immer jede
einzelne in einem besonderen Hause wohnt. Diejenigen
Abyssinier, welche sich ihrer Geschäfte halber von Zeit
zu Zeit an verschiedenen Orten aufhalten, haben gewöhnlich
an jedem derselben eine Frau, mit welcher übrigens
der nämliche Mann selten lange Zeit verbunden bleibt.
Dieses gewissermassen conventionelle Wechseln der Frauen
hat bei dem sechzig Jahre hindurch dauernden Bürgerkriege
sehr zur Verbreitung der Syphilis beigetragen,
welche durch Vernachlässigung ausgeartet, sich mitunter
in den schrecklichsten Formen zeigt *). Ausserdem ist die
Krätze eine wahre Nationalkrankheit, von welchem Uebel
gewiss kein einziger Abyssinier, vom Kaiser an bis zum
ärmsten Bettler herab, verschont bleibt. Man wendet gegen
dasselbe weder irgend ein Heilmittel noch Vorkehrungen
an, mit alleiniger Ausnahme des zuweilen äusserlich gebrauchten
ätzenden Saftes einer Euphorbienart. Auch von
den Verheerungen der Blattern wird die Bevölkerung
periodisch heimgesucht. Gegen alle diese Krankheiten
gebraucht man in der Regel nichts als geschriebene Zauberformeln
, von welchen beinahe jedermann eine grosse
Menge in kleinen ledernen Säckchen an dem Halse oder
Arme hängen hat. Aber von den Eingeweidewürmern (sowohl
Taenia als Strongilus), von w'elchen alle Abyssinier,
*) Diess ist in directem Widerspruche mit dem, was Salt (Valen-
tia’s Reise, Vol. 3. pag. 77), über das Nichtvorkommen der Syphilis
in Abyssinien sagt. Ich bemerke gelegentlich, dass die Krankheit, von
welcher Pearce in Abyssinien so heftig befallen wurde, und deren Verwüstungen
in seinem Gesichte er, Vol. 1. pag. 121, selbst beschreibt,
nichts als die Folge einer vernachlässigten Syphilis war.
vielleicht in Folge des allgemein verbreiteten Genusses
des rohen Fleisches, sehr geplagt werden, pflegen sie sich
regelmässig durch ein sehr wirksames Abführungsmittel zu
befreien, welches in dem Decoct der Blüthe des Cusso-
Baumes (Brayera anthelminthica) besteht, einer in allen
Theilen Abyssiniens häufig vorkommenden Pflanze. Anderthalb
Unzen dieser Blüthen in Wasser abgekocht und
getrunken , reinigen den Körper auf eine merkwürdig
schnelle und sichere Weise von diesen gefrässigen Ento-
zoen; indess ist die dadurch bewirkte Befreiung von ihnen
nur eine vorübergehende, und keine Heilung des Uebels;
doch dürfte jene Medicin selbst eine pharmaceutische Beachtung
in Europa verdienen.
Stirbt ein Abyssinier, so wird er wo möglich noch an
demselben Tage beerdigt, und zwar, Wenn er ein Christ
war, immer innerhalb der eine Kirche umgebenden Einzäunung.
Der todte Körper wird gewaschen; die Arme
werden über die Brust gekreuzt und die grossen Zehen
der Füsse zusammen gebunden; man wickelt die Leiche
dann in ein reines baumwollenes Tuch, schnürt sie häufig
auch durch schmale Lederstreifen netzförmig ein, und umhüllt
sie hierauf mit der grossen Lederhaut, welche den
Abyssiniern zum nächtlichen Lager dient. Während diess
Alles geschieht, lesen die Priester Gebete vor. Der Verstorbene
wird hierauf, unter Mitwirkung und Begleitung
seiner Verwandten und Freunde, in die Kirche getragen,
und während in derselben die Einsegnung erfolgt, wird
ausserhalb die kleine Gruft gegraben. Ist die Entfernung
vom Sterbhause zur Kirche gross, so macht der Leichenzug
mehrmals Halt, während dessen immer Gebete hergesagt
werden. Bei Männern von Ansehen wird ein Pferd (als
Schlachtross) vor der Leiche hergeführt, und ein Freund