
sinien sich nirgends etwas vorfindet,_was man mit dem
Worte Grabdenkmal benennen könnte.
Wer Schuhe oder Sandalen trägt, was übrigens eine
grosse Seltenheit in Abyssinien ist, zieht dieselben beim
Eingang des Kirchhofes aus. In der vordem Abtheilung,
der eigentlichen Kirche, versammeln sich die Leute, nachdem
sie beim Eintritt die mit schreckhaften colossalen
Engelsfiguren bemalten Thüren ehrfurchtsvoll geküsst haben.
Man setzt oder knieet sich durch einander auf die
Erde hin. Durch die offenen Flügelthüren erblickten wir
den in dem hintern Zimmer befindlichen Tabot oder Bundeslade
*), um welche mehrere Priester in zerlumpten
seidenen Kitteln standen; jeder von ihnen hielt eine brennende
Wachskerze in der Hand, ausserdem hatte der eine
noch eine Schelle, ein anderer ein Rauchfass; beide bewegten
sie von Zeit zu Zeit, wahrend sie Psalmen sangen,
oder vielmehr heulten. Zuweilen las einer eine kurze
Phrase aus einem auf dem Tabot liegenden' Buche mit
lauter Stimme vor; auch wurde einmal die Thüre zwischen
beiden Zimmern geschlossen, und ein Priester trat hierauf
in das vordere Zimmer und reichte den Anwesenden ein
Crucifix zum Küssen dar, wobei sie mit dem heiligen
Rauchfass beräuchert wurden. Nachdem ich eine Stunde
lang, während welcher Zeit das anwesende Auditorium
bereits einige Mal durch Ab- und Zugehen erneuert worden
war, diesem sogenannten Gottesdienst beigewohnt
hatte, zog ich mich mit meinem Begleiter zurück. Von
einer christlichen Erbauung gewahrte ich bei keinem der
Anwesenden eine Spur; sie plapperten zwar fortwährend
mit den Lippen Gebete her, aber ihren Blicken nach zu
*) Siehe wegen derselben das im ersten Bande, pag. 333, Angegebene.
urtheilen, waren ihre Gedanken ganz anderen Gegenständen,
als der religiösen Erbauung zugewandt. Auf dem Heimwege
begegneten wir einigen Frauen, welche auf Maul-
thieren nach der Kirche ritten, und von denen jede von
einer grossen Zahl weiblicher und männlicher Diener zu
Fuss begleitet war. Das Benehmen dieser Damen, die zu
der vornehmsten Classe gehörten, kam mir ungemein frei
vor. War diess eine Folge der langen Abwesenheit ihrer
in fortwährenden Kriegszügen beschäftigten Ehemänner?
oder ist vielmehr dieser Ton hier an der Tagesordnung?
Als ich Nachmittags einen Besuch beim Schellika Ge-
tana machte, fand ich ihn vor seiner Wohnung sitzend
und mit halblauter Stimme in einem Psalmen-Buche lesend,
welches auf einem kleinen eisernen Pult vor ihm lag; ein
Knabe sass neben ihm auf der Erde, um die abgelesenen
Blätter umzuwenden, welche durch zwei überliegende, am
Pulte befestigte eiserne Kettchen gegen das Umschlagen
durch den Wind geschützt wurden. Ich musste anderthalb
Stunden warten, bis diese Andachtsübung beendigt war,
und dasselbe Loos hatten auch die, vielen ändern angekommenen
Besucher, unter welchen sich heute eine besonders
grosse Menge von Geistlichen befand. Die nachherige
Unterhaltung mit dem Schellika Getana kam bald auf religiöse
Gegenstände. Man richtete dabei unter anderm auch
die Frage an mich, ob ich nicht etwa ein Engländer, ein
Frangi oder Freimaurer, kurz ein Nicht-Katholik sey: drei
Benennungen, die man als synonym betrachtete. Unfehlbar
sind dergleichen Vorstellungen eine Folge des intoleranten
Eifers katholischer Missionaire, die sich entweder doch
noch, trotz aller gegen sie gerichteten Verfolgungs-
edicte, zuweilen in Abyssinien einschwärzen, oder bei der
Anwesenheit abyssinischer Pilger zu Cairo und Jerusalem