
chischen Zustande. Ich vertrauete be'i diesen bedenklichen
Verhältnissen mit Zuversicht auf die Gewandtheit des Ge-
tana Mariam, welcher unsertwegen ausser Furcht war, und
nur von einem einzigen Häuptlinge (es war dieses Oeled
Jasus, ein Bruder des verstorbenen Ras Hailu Mariam und
damals Statthalter der Provinz Adarga, die er im Namen
seines Neffens Ubi verwaltete) besorgte, dass er durch Zollforderungen
uns aufhalten und stark brandschatzen würde.
Die frühe Morgenstunde des folgenden Tages (25. Mai)
ward uns zu einer vertrauteren Unterredung mit Ubi bestimmt.
Ich fand diesen Häuptling in einer Lehmhütte auf
einem Ruhebette vor dem Feuer sitzend und ihm gegenüber
auf einem ändern Sitze meinen alten Bekannten
Schellika Getana Jasu, Gouverneur von Entschetqab. Ubi
ist ein Mann von damals ungefähr zwei und dreissig Jahren,
von hagerer Statur und mittlerer Grösse; in der Form
seines Kopfes und seiner körperlichen Haltung spricht sich
ein gewisser Adel aus, und seine schönen lebhaften Augen
verrathen Geist und Gewandtheit; seine Gesichtsfarbe ist
gelbbraun und seine Stimme schwach. Er hatte den Kopf
unbedeckt und trug die schöngelockten Haare kurz abgeschnitten.
Seine ganze Kleidung bestand in einem weissen
baumwollenen Umhängtuch mit spannebreiter farbiger
Randborde von Seide, und nach der Landessitte trug er
an der rechten Seite ein krummes Säbelmesser. Seine Rede
ist frei von Affectation, und seine Antwort stets prompt
und bündig. Man rühmt seine Tapferkeit, Grossmuth und
Freigebigkeit. Er wird auch als gerechtigkeitsliebend gepriesen,
und wirklich gibt die Art, wie er den Frieden in
Tigré herzustellen und zu befestigen suchte, eine offene
und loyale Handlungsweise zu erkennen, wie sie die jetzigen
Abyssinier leider nicht verdienen. Ich übergab ihm
vor allem mein in einem grossen Scharlachmantel vom
allerfeinsten Tuch bestehendes Geschenk, welches ich
eigentlich für Ras Ali bestimmt hatte, und zeigte ihm dann
meine Absicht an, so schnell als möglich nach Adowa zu
reisen, um der meinem Gepäck allzu sehr schadenden nahen
Regenzeit zuvorzukommen. Indem ich zugleich für den
mir während meines Aufenthalts in Simen gewordenen
Schutz verbindlichst dankte, bat ich um die geneigten
Anordnungen zur Fortsetzung meiner Reise, namentlich
aber um Schutz gegen willkührliche Forderungen der Zolleinnehmer
und den dadurch veranlasst werdenden Aufenthalt.
Ubi lächelte ein wenig über das grosse Vertrauen,
welches ich in eine von ihm gegebene Verfügung zu setzen
schien, und bemerkte ganz richtig, dass bei kritischen politischen
Verhältnissen das Meiste von dem Auffassen des
rechten Moments abhänge und es daher am besten sey,
jeden nach seiner eigenen Ansicht handeln zu lassen. Er
liess hierauf einen Abgeordneten des Zollpächters von
Adowa, Pascha Sena, vor sich bescheiden, und befahl ihm,
mich nach Adarga zu begleiten und jede Zollforderung an
mich in seinem Namen zu verbieten. Von dort sollte ein
anderer Diener jenes Pascha Sena mich bis nach Adowa
begleiten, um seinem Herrn zu bedeuten, dass wir unter
Ubi’s Schutz stünden, und dieser uns jenem nachdrücklich
empfehle und gewissermassen anvertraue. Ausserdem beorderte
Ubi noch einen seiner eigenen Officiere, uns bis an
die Ufer d es Takazze, das heisst so weit als seine unmittelbare
Verwaltung sich erstreckt, zu begleiten und jede
gegen uns versuchte Unbill schnell zu beseitigen. Zuletzt bot
er mir noch einiges Rindvieh zum Geschenke an; ich lehnte
dasselbe aber ab, da mir der Transport dieser Thiere allzu
lästig gewesen wäre.