
Gewalt und Ansehen ist, ein Geschenk von Belang zu geben,
weil sonst die Grossen des Reichs, welche gegenwärtig
die Macht in Händen hatten, in Folge davon weit
bedeutendere Gaben von mir nicht allein erwarten, sondern
sogar fordern würden, die ich dann eben wegen der
Bedeutung ihrer Personen, befriedigen müsste. Der Kaiser
that noch einige Fragen über den Eindruck, welchen das
Land auf mich gemacht habe, über die Hauptverschiedenheiten
desselben von meinem Yaterlande, und über ähnliche
allgemeine Dinge; dann bat ich um die Erlaubniss
mich zurückzuziehen, welche mir mit dem Bemerken er-
theilt wurde, dass mein Besuch stets willkommen seyn
werde. Beim Weggehen verrichteten abermals alle Abys-
sinier die oben beschriebene Ceremonie der tiefsten Verbeugung.
Das ganze Verfahren bei der Audienz hatte etwas
Würdiges gehabt und erinnerte unwillkührlich an frühere
Grösse.
Etscheghe Gebra Selassé, der oberste Priester der geistlichen
Congregation der Mönche des Klosters Debra Líbanos,
damals aber, und wie es scheint bei Abwesenheit
des von Cairo herzusendenden Patriarchen immer das Oberhaupt
der ganzen abyssinischen Geistlichkeit, war die
zweite angesehene Person, welcher ich in Gondar einen
Besuch machte. Ich fand ihn im Hintergründe eines kleinen,
beinahe ganz dunkeln Zimmers sitzend, welches bloss
durch eine in ein bedecktes Vorzimmer führende Thüre
erleuchtet ward. Ich musste mich, gleich der mich begleitenden
Gesellschaft, beim Eintritt in das Gebäude der Landessitte
unterwerfen, Schuhe und Waffen an den Thorhüter
des Hierarchen abzugeben. Der Etscheghe sass in
einem Alkoven und war ganz in ein weisses Tuch eingehüllt;,
um den Kopf hatte er einen weissen Shwal als
Turban gewickelt, und in der einen Hand hielt er ein silbernes
Crucifix, in der ändern einen Rosenkranz. So weit
ich sein Gesicht betrachten konnte, schien er mir ein ältlicher
schwächlicher Mann von abschreckend hektischen
Gesichtszügen zu seyn. Er trug einen kurzen weissen Knebelbart.
Ich wurde angewiesen, mich auf die Erde zu
setzen, obgleich an der einen Zimmerwand ein vacantes
Ruhebett sich befand; alle andere Anwesenden blieben
stehen, wobei sie nach Landesbrauch am grösseren Theil
des Oberkörpers zum Zeichen ihrer Ehrerbietung entblösst
waren. Nach den üblichen Bewillkommungen und Compli-
menten sagte ich dem Etscheghe, dass ich mich glücklich
schätze, gerade zu einer Zeit nach Gondar gekommen zu
seyn, wo ich ihm mit meinen ärztlichen Kenntnissen einigen
Dienst leisten zu können hoffen dürfe, da er, wie ich
vernommen habe, seit längerer Zeit unwohl sey. Als Erwiederung
äusserte er, dass ihn meine Ankunft in Gondar
und persönliche Bekanntschaft in jeder Beziehung freue;
wegen der ihm angebotenen Dienste würde er bei einer
ändern Gelegenheit sich mit mir besprechen. Nun wurden
alsbald die überflüssigen Anwesenden auf mein Verlangen
aufgefordert abzutreten, und ich überreichte dann meine
Geschenke, wofür zum Dank über mich und Getana Ma-
riam ein besonderer Segen gesprochen und uns das silberne
Crucifix zum Küssen dargereicht ward. Beim Weggehen
erklärte mir der Etscheghe nochmals, dass er stets
mein Freund' seyn würde, und es sich angelegen seyn
lasse, mich bei allen vorkommenden Gelegenheiten zu
beschützen.
Oeleda Tackelit, die dritte angesehene Person, welcher
ich ein Geschenk überreichte, wohnte damals auf einige
Zeit in dem ein und eine halbe Stunde West-Südwest
7