
selbe besteht in zehn Species-Thalern von jeder Maulthier-
oder Esels-Ladung, und in halb so viel von der Last eines
Trägers, wobei der Bestand und Werth der Waare durchaus
nicht in Berücksichtigung- kommt. Die Erhebung- dieses
Zolls wird von dem Ras, d. h. dem Manne, der sich g-erade
zum Reichsverweser aufgeworfen hat, für eine Aversional-
summe verpachtet. Die Pachtsumme betrug zur Zeit meiner
Anwesenheit in Gondar zweihundert Unzen Gold zu
je sechszehn Thalern. Jene Zoll-Abgabe wäre unverhält-
nissmässig hoch gestellt, "wenn sie -nicht bei wenigstens der
Hälfte der eingebrachten Güter durch Einschwärzung umgangen
würde. Ausser diesem Zoll wird auf dem regelmässigen
Wochenmarkte von jedem Verkäufer eine nach
der Waare verschiedene kleine Abgabe erhoben, die nach
bestimmten Artikeln, theils eine Revenue für die gewisse
Aemter bekleidenden Personen, theils ein auf Schenkungen
früherer Kaiser beruhendes erbliches Eigenthum einzelner
Familien ist. So wird z. B. dem AValie, oder dem durch den
jedesmaligen Ras bestellten Director der Sicherheitspolizei,
von jedem verkauften Mnulthiere ein Thaler entrichtet.
Lik Atkum hatte eine kleine Gebühr von der auf den Markt
gebrachten Butter zu erheben,’ u. deÖ-!, m.
Die Rechtspflege und die Erhaltung der öffentlichen
Ordnung, so weit solche in einem durch lange Bürgerkriege o ö b ganz zei-rütteten Staate möglich ist, liegt der Form nach
dem Kaiser selbst ob. Derselbe hält zum Behuf der Erst^-
ren wöchentlich mehrere Male eine jedem Bürger zugängliche
öffentliche Audienz in seinem Palaste. Hier lässt er,
umgeben von den in Gondar anwesenden Likaonten, sich
von den streitenden Parteien die Klagen und Verthei-
digungen vortragen, verhört die dazu vorgeladenen Zeugen,
und gibt dann, nach gepflogener Berathung mit den
Likaonten, einen richterlichen Spruch, zu dessen Ausführung
es aber fast ganz an executiver Kraft fehlt, und der
daher mehr als ein Gutachten anzusehen ist. Zwar soll der
Walie die Aussprüche und Befehle des Kaisers durch seine
Soldaten vollführefi lassen; aber diess findet nur bei kleinen
Diebereien und bei Polizeivergehen geringer Art statt,
und jeder Bewohner von einigem Ansehen weiss durch eine
kleine Bestechung die Wirksamkeit der Justiz zu hintertreiben.
Ist kein Kaiser vorhanden, oder haben die streitenden
Parteien kein Zutrauen in seine Rechtsansichten,
so wählen sie sich selbst einen der Likaontep zum Schiedsrichter;
und so traf ich häufig zahlreiche Versammlungen
in dem Hause meines Freundes Lik Atkum an, die ihn
zum Schlichten- ihrer Streitigkeiten in Anspruch nahmen.
Uebrigens existirt in Abyssinien ein geschriebener Gesetz-
Codex, der zuweilen bei verwickelten Rechtsfällen als entscheidend
zu Rathe gezogen wird; aber die verschiedenen
Abschriften dieses Buchs weichen durch willkührliehe Interpolationen
so sehr von einander ab, dass oft aus verschiedenen
Stellen desselben die entgegengesetztesten
Entscheidungen hergeleitet werden können. Dieses Gesetzbuch
hat den Titel P h e ta N e g u st, d. h. die Richtschnur
der Regenten. Es ist angeblich unter Constantin dem
Grossen durch die auf dem Concil von Nicäa versammelten
Kirchenväter zusammengetragen worden. Lik Atkum war
ganz besonders darauf bedacht, mir ein möglichst correctes
Exemplar desselben zu verschaffen, welches sich jetzt unter
den von mir der Frankfurter Stadtbibliothek übergebenen
abyssinischen Manuscripten befindet.
Dieses abyssinische Gesetzbuch besteht aus zwei Hauptabtheilungen,
von wrelchen die eine das canonische, die
andere das Civil-Recht behandelt; beide zusammen haben