
Anerbieten schon früher den Entschluss gefasst, die Gelegenheit
meiner Reise zu benutzen, um kostenfrei diesen
Ort zu besuchen: wogegen ich mir von einer solchen Begleitung,
in Betreff der Erforschung mancher Dinge, sehr
viel versprach. Allein der unentschieden gebliebene Kriegszug
von Ras Ali gegen den Befehlshaber von Lasta, Ali
Faris, vereitelte leider diesen Plan; die Grenzdistricte
zwischen Begemder und Lasta waren fortwährend der
Schauplatz blutiger Fehden, und durch den Marsch von
Ras Ali nach Gudjam hatten sich im östlichen Begemder
zahlreiche Räuberbanden gebildet, welche schonungslos
alles plünderten; selbst die ärmsten Pilger wurden auf
dem Wege nach Lalibela nicht allein ihrer, an Werth
kaum einen Thaler betragenden Kleider beraubt, sondern
konnten auch öfters aus Mangel an Nahrungsmitteln sogar
das Ziel ihrer Reise nicht erreichen. Getana Mariam
machte mich , nachdem er selbst die Reise aufgegeben
hatte, mit einem im Rufe grösser Heiligkeit stehenden
abyssinischen Priester bekannt, der schon längst eine Pilgerfahrt
nach Jerusalem beabsichtigte, vorher aber Lalibela
besuchen wollte. Ich bot demselben an, ihn später
kostenfrei von Gondar bis Cairo mitzunehmen, wenn er
dagegen mich mit meinen astronomischen Instrumenten
ungefährdet nach Lasta und wieder zurück bringen wollte.
Anfangs ging derselbe auf diesen Vorschlag ein; als er aber
zur Ausführung kommen sollte, erklärte er sich ausser
Stande, sein Versprechen zu halten, indem er wohl für sich
allein als bettelnder Pilger nach Lalibela zu gelangen
hoffen könne, bei einer gemeinschaftlichen Reise mit mir
aber unser Beider Verderben zu befürchten wäre. So
musste ich also jene Excursión ganz aufgebeu, und mich
auf einen Besuch der Stadt K ira tz a und der Brücke
D e ld e i beschränken, den ich mit der Reise nach Lalibela
zu verbinden beabsichtigt hatte.
Kiratza ist eine für Abyssinien ziemlich ansehnliche
Stadt, und liegt unmittelbar am Ostufer des Zana- oder
Dembea-Sees, einige Stunden nördlich von dem Abflusse
des Nil’s aus demselben. Sie ist jetzt einer Art von Priesterherrschaft
unterworfen, welche ihren Bezirk zu einem
unverletzlichen Sanctuarium zu erheben wusste, und dadurch
einen, den Wohlstand der Stadt üngemein fördernden
Handelsverkehr in denselben zog. Es ist daher sehr
auffallend, dass kein einziger europäischer Reisende der
neueren Zeit dieser Stadt erwähnt. In einer der Kirchen
von Kiratza ist eine sehr ausführliche abyssinische Chronik
deponirt, nach deren Besitz mir sehr gelüstete. Sie ward
von einem mächtigen Befehlshaber der Provinz Begemder,
dem Djeaz Hailu, verfasst, welcher 1809 in einem Alter
von sieben und fünfzig Jahren starb, und dessen einflussreiche
Stellung, sowie sein persönliches Verhältniss zu allen
politisch bedeutenden Abyssiniern der neueren Zeit, ihn
besonders geeignet machte, wichtige und authentische Materialien
zur Geschichte seines Vaterlandes zu liefern *).
Nach seinem Tode war dieser historische Codex in den
Besitz seiner einzigen Tochter, M e rtit H a ilu , übergegangen,
welche selbst zwar jetzt in einem Kloster von Begemder
(Debra Mariam) sich aufhielt, jene Chronik aber
in einer Kirche von Kiratza deponirt hatte. Lik Atkum
sprach mir viel von diesem Manuscript, obgleich er selbst
*) Aus der als Anhang zu meiner Reise gegebenen Stammtafel der
Itegeh Mantöuab wird man ersehen, dass dieser Djeaz Hailu ihr Neffe
war. Er war selbst (pag. 431 b. meiner Abschrift), nach der Angabe
der Chronik, im drei und zwanzigsten Regierungsjahre des Kaisers Jasu
Berlian Saged am 16. Hedar 7245 (23. November 1752) geboren.