
Kaisers Salomon (15. Juli 1797) hatte er den Thron zu
Gondar fünfthalb Monate inne gehabt, war dann durch
Teqela Georgis verdrängt worden und lebte seitdem bis
zu seinem Tode als Geistlicher im Kloster Lalibela. Der
herkömmlichen Sitte gemäss, machte ich mit Lik Atkum
dem Kaiser Saglu einen Condolenzbesuch, und überreichte
ihm dabei zugleich einen sehr schönen geschliffenen Becher
von Krystallglas, da ich bei jenem Diner bemerkt hatte,
dass der Kaiser, gleich den ändern Personen, aus einer
ganz gewöhnlichen Flasche (B erille) seinen Hydromel
getrunken hatte. Wir trafen ihn in der kleinen Capelle,
welche sich auf der Plattform des alten, von Fasildas erbauten
Palastes befindet, und wohin er sich zurückgezogen
hatte, um für das Seelenheil des verstorbenen Kaisers
Jonas zu beten. Mein Geschenk gefiel ihm ausnehmend,
und er äusserte mehrmals sein Bedauern, dass er
dermalen ausser Stand sey, mir Beweise seiner Dankbarkeit
zu geben. Auf der im Hintergründe der Capelle stehenden
hölzernen Bundeslade lag ein dicker Pack beschriebenen
Pergaments. Es waren die Evangelien des
Matthäus und Markus, prachtvoll in zwei Zoll grossen
abyssinischen Lettern geschrieben und am Anfang jedes
Capitels mit einer grossen, auf den Inhalt derselben be^
züglichen Malerei versehen. Dieses in kalligraphischer
Hinsicht herrliche Manuscript, das auch durch die Schönheit
und Grösse der Pergamentbogen sich auszeichnete,
war zum Gebrauch der regierenden Kaiser bestimmt, und
wurde vor etwa zweihundert Jahren unter Fasildas Regierung
gefertigt. Es enthielt anfangs alle vier Evangelien in
gleicher Weise geschrieben; allein zwei derselben waren
gestohlen worden, und auch von den beiden ändern noch
vorhandenen war grossentheils der sammtene Einband weggerissen,
so dass die nun losen Blätter ebenfalls leicht entwendet
werden können. Während man mir dieses prachtvolle
Manuscript zeigte, hielten zwei Diener ein grosses
Tuch vor das Angesicht des Kaisers, damit derselbe das
Evangelium nicht zu Gesicht bekomme; denn in Abyssi-
nien muss nach einem alten Herkommen jeder aufstehen,
wenn die heilige Schrift sichtbar vor ihm geöffnet wird. Ich
bemerke bei dieser Gelegenheit im Vorbeigehen, dass, als ich
einst bei Lik Atkum zum Besuch war und gerade ein vom
Kaiser an ihn abgesendeter Diener ankam, mein Freund sogleich
aufstand und während der ganzen Zeit, als jener ihm
die Mittheilung seines Herrn übermachte, mit entblössten
Schultern und Brust ehrerbietig stehen blieb: eine auffallende,
den blossen im Namen des Kaisfers gesprochenen
Worten erwiesene Ehrfurcht, die freilich jetzt nur noch eine
leere Ceremönie ist, aber das grosse Ansehen beweist, in
welchem Abyssiniens Kaiser ehemals bei ihren Unterthanen
standen.
Das vorgelegte Pracht-Manuscript gab mir Veranlassung,
an die anwesenden Priester upd Grossbeamten des Reichs,
welches letztere jetzt freilich ein leerer Titel früherer Macht
ist, die Frage zu richten, wo sich die alten Chroniken befänden,
in welchen früfierhin tagtäglich die Regierungsbegebenheiten
aufgezeichnet wurden. Man antwortete mir,
dass der grössteTheil derselben seit geraumer Zeit, in Folge
der fortwährenden Kriegsunruhen, gestohlen und zu Grunde
gegangen sey, und jetzt nur noch die Original-Chroniken
der Regierungen der vier Kaiser Jasu Adejam Saged, seines
Sohnes und Enkels Teqela Haimanot und Tiwafalos und
des Baqafa Masih Saged vorhanden wären, welche in der
dem Schlosse benachbarten Kirche Abba Teqela Haimanot
aufbewahrt würden. Ich bekam diese Manuscripte bei einem
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