
Klima’s den Küstenstrich bei Massaua, das enge Thal des
Takazzö und die eines abkühlenden Luftzugs meist entbehrenden
Niederungen des Nordwestens ausschliesst, so
muss das Land ein klimatisch in hohem Grade begünstigtes
genannt werden. Die täglichen Abwechslungen in der
Lufttemperatur sind von wenig Belang; starke Stürme sind
eine grosse Seltenheit; die Feuchtigkeit der Regenzeit hat
gar keinen nachtheiligen Einfluss auf die Gesundheit, und
während dieser Zeit ist sogar am Vormittag fast stets der
Himmel heiter, und nur zwischen zwei bis sechs Uhr bricht
ein starkes Gewitter aus, welchem gewöhnlich eine bewölkte
Nacht folgt. Die Witterung der Sommerszeit, d. h.
der Monate November bis Juni ist, im westlichen Abyssinien
die angenehmste, die man sich denken kann, da in der
Regel alle acht Tage ein leichter Regenschauer fällt, und
die Wärme der sonst heiteren Luft wegen der relativen
Höhe des Landes nichts weniger als drückend ist. Die allgemeinen
Folgeschlüsse, welche in Betreff der Temperatur
und der herrschenden Winde aus meinem regelmässig geführten
meteorologischen Journal gezogen werden konnten,
finden sich in der am Schlüsse dieses Bandes abgedruckten
Abhandlung des Herrn Dr. Mädler, welcher so gefällig
war, meine sämmtlichen Beobachtungen zu berechnen.
Das östliche Abyssinien ist ausser der Regenzeit ein
sehr wasserarmes Land; denn die vorherrschende Sandsteinformation
ist nicht fähig, die Feuchtigkeit lange zurückzuhalten,
und die meisten Ströme haben zu tief eingewühlte
Betten, um an ihren Ufern ein künstliches Bewässerungs-
System zu gestatten. Au den wenigen Stellen, wo Wiesenwuchs
sich findet,.wie in der Thalniederung von Luggo, den
Ebenen von Shir£ und dem Plateau von Woggera, ist, das
Land unbewohnt. Der Grund dieser befremdenden Erscheinung
ist mir nicht klar, wofern er nicht etwa bloss in den
Bürgerkriegen zu suchen ist, durch welche Abyssinien seit
vielen Jahren verheert wird. Die durch diese häufig herbeigeführte
Hungersnoth und der barbarische Gebrauch
der Verstümmelung eines jeden männlichen Individuums,
das dem Sieger in die Hände fällt, haben, trotz der Gesundheit
des Klima’s, die Einwohnerzahl in den von mir
bereisten Districten ungemein vermindert. Ich glaube nicht,
dass das Land vom zwölften bis sechszehnten Grad der
Breite und vom sieben und dreissigsten bis vierzigsten Grad
der Länge, welches einen Flächenraum von 7500 geographischen
Quadrat-Stunden einnimmt, mehr als 500,000 Einwohner
zählt. Der Rest von Abyssinien, der im Westen die
Provinzen Quara, Matsha und Agow und im Süden Gud-
jam, Damot, Amhara und Begemder begreift, und einen
Raum von 5000 geographischen Quadrat-Stunden umfasst,
enthält jetzt schwerlich mehr als eine Million Einwohner,
so dass also die Gesammtzahl der Bewohner Abyssiniens,
(mit Ausnahme von Schoa) auf fünfzehnmalhunderttausend
Menschen anzuschlagen ist.
Die Mehrzahl der Bevölkerung ist ein schöngeformter
Menschenschlag von der kaukasischen Race, dessen Gesichtsbildung
mit derjenigen identisch ist, welche unter den
Beduinen Arabiens vorherrscht. Das Charakteristische seines
Aeussern besteht hauptsächlich in einem ovalen Gesicht,
einer fein zugeschärften Nase, einem w'ohl proportionirten
Mund mit regelmässigen, nicht im Geringsten aufgeworfenen
Lippen, lebhaften Augen, schön gestellten Zähnen, etwas
gelocktem oder auch glattem Haupthaar und einer mittleren
Körpergrösse. Der grössere Theil der Bewohner der
Hochgebirge von Simen und der Gefilde um den Zana-
See, sowie die Felasha oder Juden, die heidnischen Gamant
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