
späteren Besuch der Kirche auch wirklich zu Gesicht, fand
aber zu meinem Bedauern, dass nicht ' ein einzigOes derselben
complett war; meistens waren es die Endblätter, welche
fehlten, indem die daran befindlichen unbeschriebenen Stellen,
vermuthlich um Zauberformeln oder Aehnliches darauf
zu schreiben, weggeschnitten worden und dadurch die Blätter
selbst loss geworden und abhanden gekommen waren.
Da übrigens der Hauptinhalt dieser Manuscripte bei der
grossen Chronik, welche Lik Atkum für mich compiliren
lie.ss, gehörig benutzt wurde, so machte ich keinen Versuc,h
mir diese defecten Original-Biographieen käuflich zu verschaffen.
Aber eins der beiden erwähnten Evangelien der
kaiserlichen Privatcapelle hätte ich sehr gerne als ein Denkmal
abyssinischer Kalligraphie und Malerei gekauft; ich
konnte jedoch diesen Wunsch nicht befriedigen, da kein
rechtmässiger Besitzer vorhanden war, der mir dieses ge-
wissermassen Fideicomissgut verkaufen durfte, so dass,
wenn ich dasselbe auch von dem jetzigen Kaiser gegen eine
bestimmte Summe erhalten hätte, sein Nachfolger, oder irgend
einer der sogenannten Grossbeamten des Reichs, mir
ohne weiteres das Erkaufte hätte wieder abnehmen können,
ohne wahrscheinlicherWeise mir das ausgezahlte Geld'
wiederzuerstatten. Bemerkenswerth ist es, dass eine der
Gondarer Standespersonen mir den Rath gab, den Priester,
welcher in der kaiserlichen Capelle ministrirte, zu bestechen
und mir durch ihn das gewünschte Manuscript stehlen
zu lassen.
Von meinem Jäger Erckel waren mir bereits einige Sendungen
Naturalien zugeschickt worden, und ich hatte schon
den Entschluss gefasst, ihn nächstens in seinem Aufenthalte
am Nordufer des Zana-Sees zu besuchen, um unter ändern
die daselbst gelegenen Ruinen des Klosters und Schlosses
von Gorgora zu besichtigen, als derselbe am Abend des
26. Novembers unerwartet mit Sack und Pack nach Gon-
dar zurückkam. Der damalige Befehlshaber der Provinz
Matsha, Djeaz Hailu Confu, war unversehens mit angeblich
zweitausend Reitern *) in diederOeleda Tackelit untergeordnete
Provinz Dogusa eingefallen, hatte, da der
grösste Theil ihrer Truppen unter Anführung ihres Sohnes
Confu sich bei Ras Ali in der Provinz Begemder befand,
mit Leichtigkeit die wenigen ihm entgegengestellten Truppen
geschlagen, und rückte nun, das ganze flache Land
ausplündernd, gegen Gondar vor. Dieser unerwartete Raubzug
war nichts als eine Wiedervergeltung für einen ähnlichen
Streifzug, den Confu’s Truppen unlängst nach Matsha
gemacht hatten. Solche Scenen kommen wegen des beständigen
Bürgerkriegs jetzt gar häufig in den verschiedenen
Provinzen Abyssiniens vor. Auch wir hatten uns kaum von
der Furcht wegen des drohenden Besuchs jener Truppen
Matsha’s erholt, als schon wieder der Anmarsch einer ändern
Kriegsschaar ganz Gondar in Schrecken setzte. Djeaz
Ubi war, wie ich bereits früher berichtete, nach seines Vaters,
des Djeaz Hailu Mariam’s Tode, mit seinem Stiefbruder
Mersu wegen der Nachfolge in Streit geräthen. Der
Letztere hatte nachgeben müssen, und war, nachdem der
Djeaz Sabagadis zu Adowa, bei welchem er zuerst Hülfe
gesucht hatte, im Kampfe mit übi und Ras Maria geschlagen
worden und umgekommen war, nach Gudjam zum Djeaz
Gobes Matantu geflohen. Da dieser aber damals selbst einen
Krieg mit Ras Ali von Begemder beabsichtigte und
ihm desshalb keine directe Unterstützung gewähren konnte,
so hatte Mersu für sich allein hundert Reiter und etwa vier*)
Vermuthlich waren es kaum fünfhundert Reiter.
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