
gend oder den Erwachsenen vermittelst des Evangeliums
moralische Grundsätze zu verbreiten. Ueberhaupt beschränkt
sich in ganz Abyssinien die. Ausübung der christlichen Religion
nur auf Fasten-Uebungen und die ceremonielle
Feier der Feste. Nur in einigen wenigen Ortschaften sah
ich die Frauen jeden Morgen mit halblauter Stimme ein
Gebet herplappern, sowie zuweilen auch der Hausvater,
ehe die Familie die gemeinschaftliche Mahlzeit beginnt,
mit lauter Stimme eine Gebetsformel spricht. Diejenigen
Knaben, welche für den geistlichen Stand, d. h. entweder
zu wirklichen Priestern oder zu Verwaltern der Kirchengüter
(Alagas) bestimmt sind, erlernen in bezahltem Unterricht
das Lesen; aber nur wenige bringen es darin zu
einiger Fertigkeit. Da die biblischen Schriften, welche zum
Unterrichte angewendet werden, in der der Mehrzahl der
Bewohner ganz unverständlichen Geez-Sprache abgefasst
sind, so beschränkt sich bei vielen von ihnen das vorgebliche
Lesen bloss auf ein mechanisches Auswendiglernen.
Schreiben können nur sehr wenige Abyssinier.
Der männliche Theil der christlichen Bevölkerung verlebt
im Allgemeinen die meiste Zeit des Lebens in vollkommener
Unthätigkeit. Der Kriegsdienst bringt diess von
selbst mit sich, und desshalb ist er auch das beliebteste
Gewerbe. Beinahe jeder Abyssinier, der nicht Soldat ist,
beschäftigt sich mit Ackerbau, jedoch wird von ihm nur
so viel Land bestellt, als zur Erhaltung seiner Familie
nöthig ist, angeblich desshalb, weil die Soldaten, oder auch
die Ortsvorstände, doch den Mehrbetrag wegnehmen würden.
Die Knaben besorgen das Vieh auf der Weide und
zu Hause, sammeln das Brennholz ein, und waschen gelegentlich
die Kleidungsstücke der Familie, eine Beschäftigung,
welche eben so wenig als das Melken des Viehes
jemals von einer Frau vorgenommen wird. Die Frauen
holen das Wasser aus den gewöhnlich von den Wohnungen
ziemlich entfernt gelegenen Quellen, reiben Mehl, bereiten
die Speisen und verspinnen, wenn sie fleissig sind,
etwas Baumwolle, oder flechten aus •dürrem Gras und Rohr
Schüsseln und Körbe; am liebsten vertändeln sie ihre Zeit
mit Besuchen, und dann sitzen sie zuweilen halbe Tage
lang beisammen, um sich gegenseitig die Haare verschiedenartig
zu flechten und mit Fett einzuschmieren. Die Kleidung
der Abyssinierinnen besteht aus einem grossen baumwollenen
Hemde, dessen Aermel am Oberarm sehr völlig
sind, sich aber nach unten zu allmälicb so sehr verschniä-
lern, dass sie an den Handknöcheln selbst knapp anliegen;
darüber tragen sie ein den Oberkörper einhüllendes grosses
weisses Umhängtuch . mit farbiger Randborde, das dem
der Männer ganz gleich ist. Die Hemden der Reichen
sind längs des Randes am Hals, auf der Brust und am Ende
der Aermel mit Seidenstickereien verziert *), auch haben
sie silberne Ketten am Hals und an den Füssen. Die ganz
vornehmen Frauen tragen, wenn sie ausreiten, dicht anliegende
gestickte Beinkleider und sehr plumpe Schuhe, mit
einer vom aufwärts gebogenen Spitze, den Pantoffeln
ähnlich, in welchen die Priester umherzugehen pflegen.'
Der gesellige Verkehr der Männer und Frauen zeichnet
sich durch eine beinahe unumschränkte Freiheit aus.
Es fröhnt ein Jeder, so lange er Reiz dafür hat, der zügellosesten
Sinnlichkeit, und das lüderliche Leben der sogenannten
vornehmen Classe übertrifft alle Vorstellung**).
*) Siehe Tafel 4. Fig. 2.
**) Meine Erfahrungen stimmen in dieser Beziehung ganz mit der
Schilderung überein, die Pearce, Vol. 1. pag. 324, von den Abyssiniern
gegeben hat.