
§. 5.
Neuer Aufenthalt in Gondar und Bemerkungen über
die Bewohner dieser Stadt.
In Gondar waren während meines drei und zwanzigtägigen
Aufenthalts in der Kulla und in den ersten Tagen
nach meiner Rückkunft merkwürdige Veränderungen eingetreten.
Bald nach meiner Abreise war Ras Ali’s Mutter,
der Beschreibung nach eine höchst intriguante und habsüchtige
Frau, nach Gondar gekommen, um Geschenke von
allen denjenigen zu erpressen, die von ihrem Sohne irgend
eine Begünstigung zu erlangen hofften. Auch meine Leute
mussten ihr in meinem Namen ein Scherflein darbringen,
das in gedrucktem Mousselin und etwas schön geschliffener
Glaswaare bestand. Ras Ali selbst kam nicht nach Gondar,
sondern zog zum Djeaz Confu nach Fangia-, in ein Dorf
vier Stunden südwestlich von Deraske, um sich daselbst
einige Tage lang durch Ausschweifungen für die Kriegs-
strapatzen des gegen Lasta nicht geglückten Unternehmens
zu entschädigen. Hierauf marschirten beide Häuptlinge gemeinschaftlich
nach Gudjam, der Statthalterschaft des Djeaz
Gobes Matentu, den sie demüthigen wollten. Aus Anlass
dieses Kriegszuges trieb sich eine grosse Zahl ihrer Soldaten
mehrere Tage lang in Gondar herum, plünderten
beinahe jede Nacht, unter dem Vorwande sich Lebensmittel
zu verschaffen, einige Häuser aus und nahmen eines Tags
sogar alle Vorräthe weg, die man zum Verkauf auf den
grossen Samstags-Wochenmarkt nach Gondar gebracht hatte.
Gesetzlosigkeit und Verwirrung herrschten in der Stadt;
mehrere Mordthaten fielen vor; die Metzger hörten auf zu
schlachten; es ward kein Heu mehr für die Maulthiere zu
Markt gebracht, und doch konnte man das Vieh nicht auf
die Weide schicken, weil es hier die raubgierigen Soldaten
sicher weggenommen hätten; alle Einwohner flüchteten ihre
Habseligkeiten in die Kirchen. Meine Wohnung war vielleicht
das einzige Haus-in der Stadt, welches gar nichts
durch Plünderung einbüsste. Eines Abends machten zwar
die Soldaten Miene, auch uns zu berauben, indem sie, unter
dem Vorwande Medicamente nöthig zu haben, in grösser
Zahl in unsern Hof einzudringen versuchten; allein da
meine Leute sich ihnen mit zehn schussfertigen Gewehren
entgegenstellten, so gaben sie ihr Vorhaben sogleich wieder
auf, und zogen, feig wie alle Diebe, wenn ihr Leben
in Gefahr kommt, unverrichteter Sache ab. Am 12. Januar
liess Ras Ali dem Stadtcommandanten befehlen, den in der
Wohnung des Etscheghe fortwährend weilenden DJ eaz
Mersu aus Gondar zu vertreiben, nachdem ihm der Rest
der in Woggera gemachten Beute abgenommen worden
wäre. Als der Etscheghe sich weigerte, seinen Schützling
gewaltsam aus seinem Quartier zu vertreiben, machten die
Soldaten sich diess sogleich zu Nutze, und plünderten das
unter dem speciellen Schutz dieses angesehenen Geistlichen
stehende Stadttheil, welches man seither jederzeit
als eine Art von unverletzlichem Asyl betrachtet hatte,
wodurch mehrere angeseheneEinwohner von Gondar grossen
Verlust erlitten. Man machte zuletzt dem Unfug dadurch
ein Ende, dass man Mersu wirklich auslieferte. Dieser ward
zum Ras Ali gebracht, was aber nachher mit ihm geschehen
ist, habe ich nicht erfahren. Dass nie etwas von dem
in Woggera gemachten Raube, den die Soldaten im Quartier
des Etscheghe vorfanden, an seine rechtmässigen Ei-
genthümer zurückkam, versteht sich von selbst.
Auch der Kaiser Saglu Denghel sollte in diesen Tagen