
ehemaligen Grosse und Würde der Nation mit dem jetzigen
gesetzlosen und erbärmlichen Zustande derselben veranlasst
und in den Stand gesetzt werde, die wahren Ursachen
beider zu erkennen, würde wohl das Herz der Besseren
geweckt und gestählt werden, und es würde dann nach
und nach eine immer grössere Zahl die nöthige Energie
erhalten, um mit alleiniger Berücksichtigung des gemeinsamen
Wohls des Vaterlandes, und mit Beiseitesetzung
aller Privatzwistigkeiten, sich über die Wahl eines tüchtigen
Herrschers zu verständigen, und denselben bei der
Bemühung, eine neue Ordnung herzustellen, aufrichtig
und kräftig zu unterstützen. Lik Atkum fasste diese Idee
lebhaft auf, und versprach zur Unterstützung derselben,
mir nicht allein zur Erkaufung möglichst vieler Chroniken
des Landes behülflich zu seyn, sondern auch aus solchen,
die ich nicht käuflich erhalten könnte, unter seiner unmittelbaren
Leitung, durch einen Schreiber eine recht ausführliche
Landesgeschichte bis auf die neueste Zeitperiode
compiliren zu lassen. Einstweilen nöthigte er mich, einen
ziemlich dicken Octavband, historischen Inhalts, als Geschenk
von ihm anzunehmen. Dieses Buch war von ihm
in seiner Jugend geschrieben und enthielt einen Auszug
aus der allgemeinen Weltgeschichte und Geographie des
Georgius Oeled Amid, eine Specialgeschichte von Abys-
sinien bis zum Tode des Kaisers Teqela Haimanot (1778) *),
und ein Verzeichniss sämmtlicher Etscheghes oder geistlichen
Oberhäupter der Mönche der Congregation des
Klosters Debra Libanos. Als ich ihm ausserdem den drin*)
Es ist dieses der Codex, den ich in meiner abyssinischen Ma-
nuscripten-Sammlung mit dem Titel: „Kleine Chronik des Lik Atkum”,
bezeichnet habe.
genden Wunsch, in den Besitz sämmtlicher Schriften des
alten Testaments in abyssinischer Sprache zu kommen,
aussprach, und diess durch die Bemerkung motivirte, dass
ich dadurch unsere Gelehrten in den Stand setzen wolle,
das Abyssinische gründlich zu studiren und somit dann
auch die Bearbeitung der von uns besprochenen Geschichte
zu unternehmen: erklärte er sich verpflichtet, zur Erfüllung
dieses Wunsches nach Kräften beizutragen.O Bei dieser Gelegenheit sprach er mir auch seine Freude über den
Gebrauch aus, welchen die Engländer mit den in ihren
Besitz gekommenen Bibelmanuscripten gemacht, indem
sie die Psalmen Davids und den grösseren Theil des neuen
Testaments sowohl durch den Druck vervielfältiget, als
auch durch liberale Verschenkung verbreitet hätten. Lik
Atkum hielt Wort, und ich kam hauptsächlich durch seine
Unterstützung nach und nach in den Besitz der vielen
prachtvollen abyssinischen Codices, über welche ich weiter
unten reden werde. Er machte sich ferner auch ein besonderes
Vergnügen daraus, mich die vorzüglichsten Werke
der abyssinischen Litteratur, welche in den verschiedenen
Kirchen von Gondar zerstreut sind, kennen zu lehren, da
er selbst zu jener Zeit nur wenige Bücher besass, und
durch die häufigen Kriegsunruhen viel eingebüsst hatte.
Von den ihm übrig gebliebenen Schriften führe ich namentlich
ein sehr schönes Exemplar der abyssinischen
Uebersetzung der oben erwähnten allgemeinen Weltgeschichte
und Geographie des Georgius Oeled Amid (im
Arabischen El Mascinus genannt) an, welches er so gefällig
war, mir käuflich zu überlassen, sowie die Abschrift
einer Chronik von Axum in einem dicken Octavband,
welche er aber unter keiner Bedingung veräussern wollte,
weil sich mehrere Formular-Zeichnungen darin befanden,