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1Ü0 V. Entwicklang der Pilanzenwelt in den ausserhalb der Hochgebirge etc.
Wahlenb., S. reticulata L. , Dryas octopetala L. Erneuten Untersuchungen
S t e e n s i r u p ' s und N a l h o r s t ' s in Seeland gelang es nun auch, dieselbe
Flora in den der Populus tremula unterlagernden Schichten zu entdecken.
Das reiche, von Professor S t e e n s t r u p gesammelte Material enthält nicht
blos die oben genannten Arten in grosser Menge, sondern auch noch Reste
anderer arktischer Weiden und noch anderer Glacialpflanzen, deren Namen
ich jedoch hier nicht mittheilen \Yill, um nicht den Publicationen der Entdecker
selbst vorzugreifen. Nathorst dehnte aber auch seine Untersuchungen
auf die am nördlichen Fuss der Alpen gelegenen Moore aus und
ist namentlich hervorzuheben, dass es ihm gelang, bei Schwarzenbach in
der ebenen Schweiz, zwischen Zürich und Bodensee, ebenfalls in Schichten,
die den glacialen unmittelbar auflagerten. Betula nanah.^ Salixretusa
L., S. reticulata L. ^ Polygonum viviparum L. Loiseleuria procumhens
Desv. nachzuweisen. Nachdem jetzt die Aufmerksamkeit auf diese Funde
hingelenkt ist, ist zu hoffen, dass auch in Deutschland die'üntersuchungen
von Mooren Reste von Glacialpflanzen aufweisen werden.
Von geringerer Bedeutung ist der Nachweis von Betula nana L. auf
einem Torfe Mecklenburgs bei Oertzenhof zwischen Neu-Brandenburg und
Strassburg in der Ukermark. Während diese Pflanze auf dem Isergebirge,
den Seefeldern und der hohen Mense im Glatzer Gebirge, im böhmischen
Erzgebirge und dem Fichtelgebirge, am Brocken noch angetroffen wird, ist
sie aus der norddeutschen Ebene seit der Glacialzeit grösstentheils verschwunden
und findet sich nur noch in Ostpreussen. Ferner wurde auch
in England Betula nana bei Bovey Tracey in Devonshire fossil gefunden.
Dass die praeglaciale und die postglaciale Flora zum grossen Theil aus denselben
Pflanzenformen zusammengesetzt gewesen sein müssen, ist an und
für sich.schon anzunehmen. Auch hierfür sind, wenn auch vorläufig noch
nicht sehr umfangreiche thatsächliche Belege vorhanden. In Cromer in
Norfolk fand Nathorst unmittelbar u n t e r dem glacialen Boulder-Clay
Blätter von Sa//a:^ polaris^ ferner das arktisch-alpine Hypnum-turgescens
Jensen; zwischen dem Boulder-Clay und den ))Forest beds« wurden Blätter
verschiedener Weiden gefunden, deren Bestimmung Salix hastata L,,
S. nigricans Fries, S. phylicifolia L. weniger zweifellos ist als die der
leicht erkennbaren Zwerg weiden.
Zwischen der Zeit, in welcher im nördlichen Europa ähnlich wie in
Grönland wohl nur an einzelnen begünstigten Stellen, die Schnee und Eis
nicht haften Hessen^ während des kurzen Sommers arktische Pflanzen vegetirten,
imd zwischen der Zeit, in welcher die ersten Zitterpappeln und
dann die ersten Kiefern sich auf den von langjährigem Eis entblössten
Strecken festsetzten, liegt selbstverständlich ein längerer Zeitraum. Schon
früher habe ich auseinandergesetzt, dass die Wanderungen, welche vor,
während und nach der grössten Ausdehnung der Gletscher in den europäi-
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iC. Lokale Erhaltung der Glacialpflanzen. 161
sehen Hochgebirgen zwischen diesen und den Gebirgen Sibiriens stattfanden,
durch ein Gebiet erfolgen massten^ welches erst den Character der
sibirischen Tundren und später den der heutigen altaischen Steppen haben
musste, in denen noch jetzt eine grosse Zahl unserer Hochgebirgspflanzen
existiren. Wir haben alle Pflanzen, welche während dieser langen Periode
ihre Wandeiaingen vollzogen haben, als Glacialpflanzen bezeichnet. Vielleicht
hätte man eine feinere Unterscheidung in echte Glacialpflanzen und
in Steppenpflanzen gewünscht, wobei dann mehr den verschiedenen
Existenzbedingungen dieser Pflanzen Rechnung getragen worden wäre;
aber diese feinere Unterscheidung ist nur dann anwendbar, wenn man die
in verschiedenen Zeiträumen erfolgte Einwanderung in ein engeres Gebiet
behandelt; sie führt aber zu Unzuträglichkeiten, wenn man die Wanderungen
im Auge hat, welche während einer ganzen Epoche in dem grossen
extratropischen Gebiet der nördlichen Hemisphäre stattgefunden haben.
Unsere theoretischen Betrachtungen haben dazu geführt, dass während der
Glacialperiode zu derselben Zeit in verschiedenen Theilen des grossen
extratropischen Gebietes verschiedene klimatische Verhältnisse existiren
mussten; während im Norden Tundrenpflanzen wanderten, wanderten
im Süden Steppenpflanzen, weiter südlich und w^estlich Waldpflanzen,
später drangen diese Pflanzen wieder nach Norden vor. Die Steppe, im
Allgemeinen characterisirt durch den Mangel waldbildender Baumvegetation
und wiesenbildender Grasvegetation^ kann im Uebrigen, wie bekannt,
grosse Verschiedenheiten aufweisen. W^elcher Art die einstmals zwischen
Altai und den Karpathen sowie den östlichen Alpen gelegenen Steppen gewesen
sein müssen^ können wir nach den Pflanzen beurtheilen, welche zwischen
diesen Gebirgssystemen gewandert sind; wie weit aber derSteppencharacter
sich nach Westen erstreckt haben mag, ist daraus nicht ersichtlich,
Einige Aufklärung erhalten wir zwar nicht durch pflanzliche RestCj
aber durch thierische, die von Nehr ing^) bei Westeregeln und Thiede in
Braunschweig gefunden wurden. Mit Recht haben diese Funde die Aufmerksamkeit
der Geologen in hohem Grade auf sich gezogen. Bei Thiede
werden in einer Tiefe von —35 Fuss unter der Oberfläche Schichten
angetroff'en, welche namentlich durch das zahlreiche Vorkommen von Lemmingsresten
characterisirt sind, nicht blos von dem jetzt in Norwegen verbreiteten
Myodes lemmis, sondern auch von dem im europäischen Russland
-1) N e h r i n g : Fossile Lemminge und Arvicolen aus dem Diluviallehm von Thiede
bei Wolfenbüttel, in Giebel's Zeitschrift für die gesammten Naturw., Berlin -187 5. — Beiträge
zur Kenntniss der Diluvialfauna 4 876. — Die quaternären Faunen von Thiede und
Westeregeln nebst Spuren des vorgeschichtlichen Menschen, im Archiv für Anthropologie,
Bd. X. XI. Braunschweig -1878. —Di e quaternären Ablagerungen der Gypsbrüche von
Thiede und V\^esteregeln, eine Entgegnung in den Verh. d. k. k. geol. Reichsanstalt 1878
n. iä. p. 26-1, 272. /
Engler, EntwicWungsgescli. d. Pflanzenw. I.
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