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318 VI. Allgemeiner Ueberblick über die Verbreitung der Pflanzen,
fossilen Zustande sich stützenden Beweise nur dann Geltung, wenn zahlreiche,
an Fossilien reiche Fundstätten einer Formation untersucht worden
sind, wie in der Steinkohlenformation ; für die Kreideformation liegen uns
aber noch zu wenig Aufschlüsse vor, als dass wir da etwas Sicheres behaupten
könnten, und selbst die reichen Funde aus der Tertiärformation
sind nicht ausreichend, um zu beweisen, dass die jetzt existirenden
Pilanzenfamilien im älteren Tertiär schon alle vorhanden waren ; denn die
nur auf Blätter sich gründenden Identificirungen fossiler Gattungen mit jetzt
lebenden Gattungen haben in den meisten Fällen, ich sage nicht in allen,
keine beweisende Kraft. Wiewohl ich nun ganz gern zugebe, dass die aus
der geographischen Verbreitung gezogenen Schlüsse keineswegs immer die
allein denkbaren sind, so lasst sich doch in vielen Fällen durch allseitige
Erwägungen und namentlich unter Berücksichtigung der Altersverhältnisse
der Länder, sowie der sicher gestellten phytopaläontologischen Thatsachen,
die Zahl der vorhandenen Möglichkeiten so weit einschränken, dass man
zuletzt zu Schlüssen gelangt, welche von wirklichen Beweisen nicht mehr
weit entfernt sind. Bei meinen Ausführungen in den früheren Capiteln
habe ich mehrfach Gelegenheit gehabt, darauf hinzuweisen, dass die Vermuthungen
über die Ileimath der Typen meist sehr unsicherer Natur
sind und dass nur im Verein mit genauer Verfolgung der morphologischen
Verhältnisse die pflanzengeographischen Untersuchungen einigermaassen
annehmbare Schlüsse zu Tage fördern können. Hingegen sind die
aus der geographischen Verbreitung für die Wanderung der Pflanzen und
die Verschiebung ihr er Areiile gezogenen Schlussfolgei'ungen meistens in
befriedigender Weise zu begründen und auch für die Geschichte der von
den Pflanzen bewohnten Territorien von Bedeutung; ich habe daher auch
in diesem Buche vorzugsweise die Verfolgung dieser Verschiebungen seit der
Zeit, in welcher jedenfalls die meisten unserer jetzt lebenden Typen vorhanden
waren, zu meiner Aufgabe gemacht.
Es ist unerlässlich, hierbei noch eine Frage kurz zu berühren, nehmlich
die nach der E i n h e i t der E n t s t e h u n g s c e n t r e n . Kann das, was man
gew^öhnlich Art, Gattung, Familie nennt, nur an einer Stelle oder auch an
zwei Stellen der Erde, und dann selbstverständlich auch an mehreren, entstehen?
Man findet nicht selten diese Frage damit abgethan, dass alle Forschung
nach der Entwicklung aufhöre, wenn man das letztere annehme.
Dieser Grund ist ebenso stichhaltig, wie der eines Reisenden, der einen besUmmten
Ort erreichen will, hierbei einen angenehmen, aber falschen Weg
einschlägt und, von andern auf seinen Irrthum aufmerksam gemacht, diesen
W^eg nicht verlassen will, weil er dadurch der Annehmlichkeiten desselben
verlustig gehe. Dass gewisse äussere Verhältnisse an verschiedenen Orten
eine Pflanze in gleicher Weise umgestalten können, wissen wir. Es haben
zwar keineswegs die äusseren Verhältnisse, unter denen gewöhnlich eine be-
U . Ueber einige allgemeine pflanzengeographische Fragen. 319
stimmte Varietät b existirt, sofort die Umwandlung einer andern Varietät a
derselben Art in die Varietät b zur Folge; aber diese Umwandlung k a n n bei
den Descendenten und zwar an verschiedenen Stellen eintreten. Aus wilder
Daiicus Carota erhält man ein- und zweijährige Formen, und aus der zweijährigen
kann man auf gutem Boden in wenigen Jahren die Gartenmöhre
züchten. Proliferirende Rosen, polycarpischer Mohn entwickeln sich mehrfach
an verschiedenen Localitäten, Pelorien und Farbenvarietäten entstehen
ebenfalls bei derselben Art an weit von einander entfernten Orten. Nun
ist aber bei einigen solcher Bildungen eine starke Neigung zur Vererbung
beobachtet worden, so von Prof. H. H o f fma n n in Glessen, dem wir eine
Menge Beobachtungen über diese Dinge verdanken, bei der Pelorien tragenden
Digitalis purpurea, ferner bei den dimorphen Formen von Bidens pilosa.
Es ist ferner allgemein bekannt, dass gewisse Varietäten schon seit ein
Paar Jahrtausenden erblich sind, wie die Varietäten der Mandeln, and
ebenso, dass manche Varietäten, wie die von Corylus Avellana, mindestens
schon seit der Zeit der schweizer Pfahlbauten existiren, das heisst also,
Varietäten können ebenso constant werden wie Arten, und es existirt eben
kein Unterschied zwischen Art und Varietät. Ferner erinnere ich an die
Thatsache, dass immer da, wo eine Gattung eine grössere Anzahl von
mehr oder weniger scharf geschiedenen Arten besitzt, auch die meisten
Varietäten auftreten. Wir sehen dies z. B. bei den Hieracien in den Alpen,
bei den Saxifragen in den Pyrenäen, bei vielen Gattungen der Labiaten in
Spanien, Griechenland, Kleinasien und Persien, bei den Pelargonien, Ericen
u. a. am Cap, bei den Acacien in Australien, bei den Calamagrostis in
Skandinavien, bei den Salices im arktischen Gebiet, bei den Rhododendren
im Himalaya u. s. f.; das bedeutet nichts Anderes als: da, wo für irgend
einen Typus besonders günstige Verhältnisse sind, da bilden sich auch und
erhalten sich auch neue Formen, welche noch nicht so scharf von den
älteren Formen geschieden sind und daher von uns eben noch als Varietäten
und nicht als Arten angesehen werden. Unter denselben Verhältnissen
befinden sich die Gulturpflanzen. Es wird für sie künstlich ein Areal freigehalten
, der Mensch sucht dasselbe nach seinen Kenntnissen von den
Existenzbedingungen der zu cultivirenden Art zu präpariren, die Folge
davon ist, dass auch hier das üppige Gedeihen der Pflanze Varietätenbildung
zur Folge hat.
Nehmen wir nun an, eine Art A habe in der Natur im Laufe der Zeit ein
grösseres Verbreitungsareal gewonnen, so ist es nach Obigem möglich, dass
dieselbe an zwei von einander entfernten Stellen m und 11, vvelche annähernd
gleiche Bedingungen gewähren, dieselbe Varietät a erzeugt.
Practisch haben wir solche Fälle ganz besonders bei Hochgebirgspflanzen,
wo sehr oft das Areal der höheren Regionen Raum bietet für die Varietäten',
welche sich aus einer Art entwickeln, die das grössere Areal der nächst
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