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8 8 IV. Entwicklung der Hochgebirgsfloren vor, während u. nach der Glacialperiode.
ziemlich häufig verbreitete falsche Vorstellung. Die Wärmesumme, welche
einzelne Arten nothwendig bedürfen, um zur Samenreife zu gelangen, ist
zwar eine bestimmte, ein gewisses Plus ist aber vielen nicht schädlich,
wie auch bei andern ein gewisses Minus zwar nicht zur Samenreife
f ü h r t . aber doch die vegetative Entwicklung nicht hindert. Beobachten
wir die alpinen Pilanzen in der Kultur, auf den Alpenpartien unserer
botanischen Gärten. In Deutschland gedeihen die Alpenpflanzen vortrefTlich
in der Ebene und selbst hochalpine Arten wie Papaver alpiminiL,,
Leonlopodhim- alpimim Gass. , Ranunculus Seguieri Vill., Gregoria Vitaliana
Duby, Azalea procumbens L.,' Primula ininimal.., Salix reticulatah. etc. etc.
gehen bei einigermassen verständiger Behandlung nicht zu Grunde. Nicht
wenige säen sich von selbst aus und vermehren sich reichlich, wie z. B.
im botanischen Garten zu KielPapavei' alpimimL,^ Kernera saxatilis Rchh. ^
Saxifraga nmtata L. In den meisten Fällen genügt zur Erhaltung der Gulturen
die Fernhaltung der Unkräuter. Auf den Kiesbänken der Isar bei
München gedeihen die Alpenpflanzen, deren Samen mit dem Wasser dahin
aelaneten, ebenfalls vortrefl^lich. weil eben diese Kiesbänke v ^ ^ ielenI uins-e r e r
verbreiteten Pflanzen weniger zusagen und die Entwicklung der alpmen
Pflanzen durch diese nicht gestört wird. Würde also das Klima sich bei
uns nur wieder insoweit ändern, dass ein grosser Theil der Wald- und
Wiesenpflanzen nicht reife Samen hervorbringen könnte oder in anderer
Weise in seiner Existenz bedroht würde, dann würden wieder mehr Alpenpflanzen
auch in der Ebene sich ansiedeln können. Auf Torfmooren und
Haiden sind die Verhältnisse eben derart^ dass sehr viele unserer gewöhnlichen
Pflanzen, die den Alpenpflanzen als Unkräuter gegenübertreten,
nicht existiren können, und daher haben sich dort mehr Alpenpflanzen oder
Glacialpflanzen erhalten; auf den Alpen aber werden selbst in den alpinen
Regionen die alpinen Arten um die Sennhütten herum und auf den Weiden
durch die allzureichliche Ablagerung thierischer Excremente gefährdet, die
den Boden für üppig wuchernde Gräser und einige auch in der Ebene vorkommende
saftige Kräuter in vorzügUcher Weise vorbereiten. Auch sind
mit Ausnahme weniger Arten, die wir als hochalpine bezeichnen, in den
Hochgebirgen selbst sehr viele Arten nicht an eine bestimmte Region gebunden.
Wenn wir auch viele Arten gewöhnlich in bestimmten Höhen
fmden, so kommen sie doch auch jetzt noch ausnahmsweise in niederen
Regionen vor; so sind z. B. Papaver alpimim L. und Leontopodiuin alpimim
Gass, in reichlicher Menge im Koscielisko-Thal in der Tatra in einer Höhe
von2900 WienerFuss anzutrefi'en. Nach denAngaben Par latore' s i) citire
ich folgende Vorkommnisse von subalpinen Pflanzen auf niedern Höhen in
Italien: Saponaria ocymoides L. und Polygala Chamaebuxtis L. auf dem nur
1) Ph. Pariatore: Études sur la géographie botanique de l'Italie p. 31.
11. Allgemeinere Betrachtungen über die Hochgebirgsfloren. 89
573 m hohen Monte Pisano, Helianthemum italicum Pers., Lamium longiflorum
Ten. und Biscutella laevigataL. auf dem Monte Calvi bei Campiglia,
dieselbe Pflanze auf dem Monte Argentario. Ebenso merkwürdig ist das
Vorkommen dieser im ganzen Gelände der Alpen verbreiteten Pflanze auf
Sandhügeln bei Kottwitz, unweit Breslau.
Alles dies scheint mir darauf hinzudeuten, dass auch zwei durch eine
Ebene oder niedere Gebirgszüge getrennte Hochgebirgssysteme ihre alpinen
Pflanzen austauschen konnten, ohne dass gerade Gletscher von beiden
so weit herunterreichten, dass sie selbst oder ihre Moränen in der Ebene
zusammentrafen.
Wie stand es nun mit der Flora der höheren Gebirgsregionen vor dem
Eintritt der Vergletscherung? Am Ende der Tertiärzeit waren jedenfalls
die meisten der jetzt uns bekannteUj aus sedimentärem Gestein bestehenden
Hochgebirge vorhanden; ihre Gipfel waren vielleicht höher, ihreThäler
theilweise weniger tief eingeschnitten; aber ihre Ausdehnung war im
wesentlichen dieselbe. In der Tertiärzeit müssen die Gebirge Südeuropas
und Mittelasiens eine ähnliche Gliederung in nicht zu scharf von einander
geschiedene Regionen gezeigt haben, wie gegenwärtig der Himalaya auf
seiner Südseite oder die Gebirge Japans, in denen sich die Vegetation seit
der Tertiärzeit nur wenig geändert haben kann. Wenn 2 von einander
entfernte Gebirgssysteme wie etwa die Alpen und der Kaukasus sich über
das umliegende Land bedeutend erheben, so wird in einem jeden ein Theil
derPflanzeUj welche vorher in dem flachen oder nur wenig gehobenen Lande
existirten, im Stande sein^ an dem Gebirge hinaufzusteigen, ein anderer
Theil muss aber in der untern Region verbleiben; wenn nun an dem Fuss
der beiden Gebirgssysteme die Flora eine gleichartige war, so werden auch
im Ganzen dieselben Pflanzen an beiden Gebirgssystemen hinaufsteigen.
Durch die Hebung des Landes ist aber auch mehr Fläche geschaffen, das
ursprüngliche Gleichgewicht, welches unter den Pflanzen des nicht gehobenen
Terrains bestand, wird in ähnlicher Weise gestört, als wenn ein
Land durch Austi^ocknen einer grossen Meeresbucht vergrössert wird.
Während vor der Hebung von den entstehenden Varietäten nur wenige
zur Entwicklung gelangten und die absterbenden Exemplare durch solche
ersetzt w^aren, welche in gleicherweise den örtlichen Verhältnissen angepasst
waren, war jetzt in dem gehobenen Lande auch noch Platz für
andere Varietäten. Bei der Mannigfaltigkeit der Existenzbedingungen, die
nun in dem gehobenen Gebirge schon durch die Verschiedenheit der Exposition
und die verschiedene Feuchtigkeit gegeben waren, konnten von
den in Gesellschaft der Stammarten entstandenen Varietäten mehr als früher
zur Entwicklung gelangen. So mussten also an den Grenzen, welche
den einzelnen Arten in ihrer Verbreitung nach oben gezogen waren, neue^
später zu Arten werdende Varietäten entstehen, die befähigt waren, in
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