Eingang, an der Kirchenmaner, befindet sich eine Marmortafel mit einer
armenischen und englischen Inschrift. Beide sagen aus, dafs an dieser
Stelle der ehemalige englische General-Consul in Täbriz, M a c d o n a ld ,
begraben sei.
Die drei ändern Seiten der Kirche haben je einen fünfseitigen Anbau,
der in gleichen Abständen von den Ecken der Kirchen wände dreiviertel
jeder Seite einnimmt. Ein Hanptthurm überragt das Schiff der Kirche,
vier Nebenthürme erheben sich an den Ecken. Im Innern der Kirche
stützen vier Pfeiler in Kreuzform die reich bemalte Kuppel. Die ganze
innere Fläche der Wände, Kuppeln und Halbkuppeln des Heiligthumes ist
mit Blumenmalereien in bunten grellen Farben und mit einem Ueberflufs
von Flittergold so reich geschmückt, dafs das Auge unruhig hin und her
irrt. Die wohlthuende Wirkung harmonischer Gestaltungen fehlt ganz und
gar; nach dem gewaltigen und doch beruhigenden Eindruck, welchen der
Anblick christlicher Baudenkmäler des Abendlandes auf den empfänglichen
Beschauer erzeugt, würde man vergeblich in der armenischen Kirche von
Etschmiadzin suchen. Wie die Kirche als geistiger Inhalt, so ist auch ihre
plastische Gestaltung bestrebt, keiner grofsen, allgemeinen, leitenden Idee
zum Ausdruck zu dienen, sondern sieh in tausend kleinliche, äufserliche
Einzelheiten ohne Form, ohne Plan zu verlieren. Nur eine rohe, kindliche
Menge kann an den bunten Gestalten einen Gefallen finden, die dem Ge-
dächtnifs entschwinden, sobald man die Kirche im Rücken hat. Zu dieser
überladenen Ornamentation die Fülle von heiligen Bildern, welche wie in
einem BildennuseunL die glatten Wände von oben bis unten bedeeken! Wer
Curiosa sucht, wird in diesen Oelbildern, meistens ältere und jüngere Co-
pien italienischer Meister, manchen Beitrag seiner Studien entdecken. Den
frommen Gefühlen der Begeisterung-, der Erhebung zu Gott, der Versenkung
in sich selber kann ein solcher bunter Bilderkram keine Stütze sein,
sondern mufs abziehen und ablenken von den reinen Gefühlen stiller, beschaulicher
Andacht.
Die Kirche von Etschmiadzin ist dem Schutzpatron Gregorius von Na-
zianz geweiht (wie die beiden anderen Klöster den heiligen Frauen Gaiane
und Rhipsime) , der im vierten Jahrhundert den von den Römern in die
Herrschaft seiner Väter wieder eingesetzten König Tiridates III. zum Chri-
stenthume bekehrte. Dem Andenken dieses apostolischen Schutzpatrons,
welcher den Beinamen des „Erleuchters“ führt, ist ein Tabernakel gewidmet,
das sich ziemlich mn der Mitte der Kirche befindet. Es bezeichnet die
Stelle, wo Christus niedergestiegen und dem heiligen Manne erschienen
sein soll. Daher wohl der Name von Etschmiadzin, welcher so viel heifst
als e r i s t h e r a b g e s t i e g e n . Nicht weit davon wird ein Stein aus dem
Fufsboden gehoben, der wie ein Deckel ein Wasserloch von geringer Tiefe
schliefst. Dem neugierigen Besucher wird dann klar gemacht, dafs die
ganze Kirche auf Wasser stehe. Dies sei der Grund, weshalb sie im Laufe
der Zeiten allen Erdbeben Trotz geboten habe.
'Nach diesen Merkwürdigkeiten öffnete man eine kleine stark verschlossene
Thür neben der Apsis im Hintergründe der Kirche und packte
den ganzen hohenpriesterlichen Ornat des Katholikos aus: die bunten,
goldgestickten Mefsgewänder, die Gürtel, die Tiara u. s. w., alles meist
älteren Ursprungs. Seide, Gold, ächte Perlen, Rubinen, Smaragden und
Diamanten bilden durchweg das Material, aus welchem die kostbaren Bekleidungsgegenstände
(zum Theil Geschenke von Rom her) sehr kunstvoll
gefertigt waren.
Den feierlichsten Augenblick unserer Anwesenheit in der Kirche von
Etschmiadzin veranlafste der auf Befehl des Katholikos geöffnete und enthüllte
Reliquienschatz, der, wie ich hörte, nur einmal im Jahre den zahlreichen
Pilgern nach Etschmiadsin während des feierlichen Gottesdienstes
gezeigt und auf das Andächtigste geküfst wird.
Die anwesenden Möpche, etwa ein halbes Dutzend der Zahl nach, bekleideten
sich in die kirchlichen Festgewänder und näherten sich voller
Hochachtung und unter dem Gesänge von Mefsknaben dem heiligen Orte,
welcher die Reliquien in sich schlofs.
Der Schlüssel zur Thür ging von Hand zu Hand und wurde auf das
Zärtlichste geküfst. Eine dunkle Kammer barg, in kostbaren Tüchern wohl
verhüllt, die heiligen Schätze der armenischen Kirche, die mit Weihiauehs-
duft geräuchert und der Reihe nach unter stetem Singen auf zwei reine
Tische gelegt wurden.
Anwesendes armenisches Volk fiel auf die Knieen nieder, bekreuzigte
sich und schlug den Erdboden mit der .Stirn.
Mit grofser Vorsicht wurden die einzelnen Reliquien von ihren Umhüllungen
befreit und nur mit Hülfe kostbarer Tücher berührt und uns
zum Küssen dargeboten.
Es waren dies in chronologischer Reihe: