In der That stürmte die See an dem festgesetzten Tage der Abreise
gewaltig; der Wind blies so stark zum wilden Tanze der aufgeregten Wellen,
dafs die stattliche „Calcutta“, einer der besten Lloyd-Dampfer, es
vorzog, vorläufig im sicheren Hafen zu bleiben und die Reise nach Konstantinopel
um einen Tag zu verschieben. Erst am Sonntag, dem 12.,
liefs der Sturm einigermafsen nach, die Wellen beruhigten sich; eiligst
wurde das Geschäft des Einschiffcns. der Mitreisenden und des Gepäckes
vollzogen.
Der Kapitän des Lloydschiffes hatte die Artigkeit, die Mitglieder der
K. Gesandtschaft in einem besonderen Boote vom Lande abholen zu lassen.
Kräftig schlugen die Matrosen die Ruder in das wogende Meer und bald
befanden wir uns am Bord und auf dem Deck des Schiffes; das den Verfasser
bereits vor sieben Jahren zum erstenmale nach Afrikas sandiger
Nordost-Küste getragen hatte.
Jeder von uns benutzte den Augenblick der Ruhe vor der Abfahrt,
um Europa und dem, was ihm dort am Herzen lag, ein letztes Lebewohl
zu sagen. Nicht ohne Wehmuth gedenken wir des Baron v. Minutoli,
unseres Chefs, der wohl kaum ahnte, dafs die Freude der Rückkehr, die
Wonne des Wiedersehens ihm, dem Vielgeprüften, nach Gottes unerforsch-
lichem Willen nicht gestattet werden sollte.
Dann ging’s hinaus aus dem Hafen in die hohe See. Die Nachwirkungen
des Sturmes der vorigen Tage waren immer noch stark genug,
besonders in der Nähe von Cap Cornera, das den Schreiber dieses von
jeher zum schleunigen Rückzug nach der Kabine verdammt hat. Am
Dienstag, den 14. des Monats, warf das Schiff beim prachtvollsten Frühlingswetter
in dem Hafen von Korfu Anker, in der Nähe von drei englischen
Linienschiffen, die, wie man uns mittheilte, bereits seit dem Monat
November vergangenen Jahres hier stationirten. Wir benutzten die paar
Stunden Z eit, welche das Schiffsvolk zur Bergung neuer Kohlenvorräthe
gebrauchte, .einen Ausflug nach der malerischen Insel zu machen, bei
welchem uns der dortige preufsische Konsul, H. F e l s aus Lindau, zu
begleiten und belehrende Erklärungen zu geben so gütig war.
Die schönste Aussicht über Meer und Land bietet, so scheint mir,
die Terrasse des grofsen Platzes in der Nähe der alten venetianischen
Feste dar. Das Andenken an die glorreichen Zeiten der venetianischen
Republik ruft das hier errichtete Standbild des Grafen Schulenburg wach,
Von Triest nach Konstantinopel. 3
welcher im Jahre 1716 die Festung gegen die Angriffe der Türken auf das
heldenmüthigste vertheidigt hatte. Eine englische Wachtparade auf der
Terrasse, deren nationale Eigenthümlichkeit ungemein belustigt, erinnerte
lebhaft an den Wechsel politischer Zustände.
Wie trostreich dagegen im beweglichen Strome der Geschichte der
Anblick der herrlichen unvergänglichen Natur! Vor uns das buchtige
hügelreiche Eiland in vollstem Frühligsschmuck; nahe und ferne, thalwärts
und bergauf in sanften Wellenlinien steigend, dunkele” Oliven-Waldungen,
1 an deren Fufs im hellsten Smaragdgrün Feld und Wiese im freundlichen
Strahle der Sonne weit in die Ferne dem Schiffer in seinem Kahne ent-
o-egenlächelt. Gegenüber am fernen Rande des himmelblauen Meeres recken
sich die albanischen Gebirge mit schneebedeckten Gipfeln hinan in den
lichtblauen, durchsichtigen Aether wie in sehnsuchtsvollem Verlangen,
während die munter scherzende Welle ihren Fufs umtanzt, als wolle sie
die gigantischen Massen zu sich in’s weite Meer hinablocken.
Die Erinnerung an die alte Zeit verleiht der zauberisch schönen Landschaft
den höchsten poetischen Reiz. König Alkinoos, Nausikaa, die sehiffs-
kundigen Phäaken, der strandende und gastlich empfangene Odysseus sind
klangreiche Erinnerungen an das alte Scheria, das die Gelehrten in dem
heutigen Korfu wiedererkennen wollen. Und wenn es auch nicht so wäre,
so hat jedenfalls auch auf diesem Eiland einst der griechische Genius die
helle Fackel des .geistigen, das Menschenthum veredelnden Lichtes ge-
I schwungen. Die Insel, später Korcyra. geheifsen, verlor nach den Wech-
i selschicksalen des peloponnesischen Krieges ihre errungene Blüthe, und die
Epigonen der alten Phäaken hatten letzlich nur noch den wenig beneidens-
| werthen Ruf gemeiner Betrüger. Ob die heutigen Korfuoten, deren Phy-
| sionomie, Sitten und Landestracht eine grofse Verwandtschaft mit dem
j Amautischen zu haben scheint, diesen Ruf bewähren, diese Frage will
j ich des guten Leumunds halber nicht gern berühren.
In die engen Strafsen der Stadt hinabsteigend, welche klein und
I schmutzig von dem höchsten Punkte des Platzes bis zum Hafen amphi-
I theatralisch angelegt is t, liefsen wir die Gelegenheit nicht unbenutzt vor-
I übergehen, auf unserer Wanderung in die Kirche des heiligen Spiridion
I einzutreten, in welcher grade an dem Tage unserer Ankunft, dem 2. Februar
I griechischen Kalenders, der gläubigen Menge die vertrocknete Mumie des
■ Heiligen, in einem silbernen Sarge liegend, öffentlich gezeigt wurde. Wie