nächst nach einem Nachtquartier in Hartiskali — so hiefs der elende Ort —
umthun. In dem Gasthause oder der Schenke, vor welcher wir hielten,
war angeblich kein Loch zu haben. Nach langem Warten und Hin- und
Herreden drangen wir in ein verriegeltes Gemach, dessen Fufsboden die
mütterliche Erde darstellte und begrüfsten — nota bene fünf Personen —
zwei Holzpritschen als hoffentlich letzte Lagerstätte, vor Tiflis. Die beiden
Holzpritschen bildeten das einzige Mobiliar in dem durchräucherten
Zimmer.
Ein bärtiger Georgier, der seinen grofsen Pelz-Papach tief über die
Augen geschoben hatte, protestirte feierlichst gegen den Act der Besitznahme
von unserer Seite. „ Das ist ja die Wohnung meines Knäs, was
wird das werden, wenn mein Knäs kommt!?“ rief der Leibeigene klagend
aus und schien zuletzt Miene zu machen, für seinen Herrn auf das That-
sächlichste einzustehen.
Vor dem Anblick blitzenden Silbers, das von unserer Hand in die
seinige wanderte, schwanden dem guten Georgier alle Bedenken vor dem
Knäs. E r iiberliefs uns auf das Bereitwilligste das prinzliche Gemach,
half sogar noch Thee und Eier kochen und liefs es geschehen, dafs wir in
dem fürstlichen Raume Leine zogen und unsere durchnäfsten Kleider und
Wäsche zum Trocknen daran aufhingen. Die ausstrahlende Wärme des
wohl unterhaltenen Kaminfeuers entlockte den vollgesogenen Stoffen reichliche
Dampfwolken und uns selber lullte sie bald genug in den sanftesten
Schlummer ein.
Sechs Pferde zogen am nächsten Morgen unseren Tarantas, dem zwei
mit unserem Reisegepäck beladene Telegas langsam durch Schneelachen und
Kothsümpfe folgten, immer in der Nähe, oft dicht am Rande der tosenden
Kura die Strafse innehaltend.
Mit Ungeduld lasen wir die rothen Ziffern von den weifsangestrichenen
Steinen ab , welche am Wege in gleichen Abständen von einander aufgestellt
sind und dem Reisenden die Entfernung von Tiflis nach russischen
Werst angeben.
Von einem hohen Punkte der Bergstrafse, etwa noch 7 Werst von
Tiflis entfernt, sahen wir endlich die ersehnte Stadt in mattem Dunste
schimmern. In der Nähe der alten Königsstadt der Georgier, die den
schweren Namen Mtzchet führt und auf der linken Seite der Kura höchst
malerisch gelegen is t, biegt man rechts ab und nun breitet sich das Thal
der Kura aus, eingeschlossen von ganz bedeutenden Berggruppen. Ganz
im Hintergründe, in der Ecke eines von hohen Schneeketten gebildeten
Kessels, lag Tiflis.
IX. Kapitel.
T i f l i s . ;
Tiflis hat von jeher einen besonderen Reiz für mich gehabt. Die
poetisch-lebendige Schilderung der Stadt und ihrer Bewohner unseres ausgezeichneten
Freundes B o d e n s t e d t hatte schon früher meine Phantasie
auf das lebhafteste angeregt und in mir stille Wünsche hervorgerufen, die,
wie es so oft im Leben geht, eben nur Folge Und Ausdruck einer besonderen
Befriedigung sind. Der lustige Perser Mirza Schaffy mit seinem Humor und
seihen schlagfertigen Antworten, die schönen Grusinerinnen mit der fliegenden
Tschadra, der rothe Kachetiner und die grofsen silbernen Trinkhörner
der Georgier, die luftigen Häuser von Tiflis mit ihren grünen Dächern
und Bälkonen an der brausenden Kura, dies und vieles andere schwebte
mir aus Bodenstedt vor und kaum konnte ich glauben, dafs meine Träume
in wenigen Minuten zur puren Wirklichkeit werden sollten. Was Wunder,
wenn ich in der poetischsten Stimmung von der Welt in Tiflis einfuhr.
Und nun, welchen Enttäuschungen sollte ich für den Augenblick entgegengehen
!
Auf der gewundenen Bergstrafse stiegen wir durch Schnee und Koth
eine letzte Höhe hinanf. Da lag Tiflis ganz nahe vor uns. Die weifsschäumende
Kura wandte sich in der Tiefe durch hohe Felsenufer zwischen
einem dunkelen Häusermeer hindurch, dessen hellgrüne Dächer von den
dunklen Farbentönen der Gebirgsumgebung mit der alten Davidsburg freundlich
abstachen. Hier auf dem einen Ufer lag die Neustadt, dort die Altstadt,
beide zu den nahegelegenen Höhen terrassenförmig aufsteigend.
Hatten wir das steinerne Kreuz mit der russischen Goldinschrift passirt,,
welche an die glückliche Erhaltung Kaisers Nikolaus I. e rin n e rt/ der an
dem Standorte des Denkmals im Jahre 1837 aus dem Wagen geschleudert