ser — nahm eine ganz geraume Zeit hinweg. Wir alle hatten ja viel nach-
zuhelen.
Nun gings hinaus auf den Strafsensöller, und Häuser und Leute
mufsten vor unsern Augen die erste, gewöhnlich eindrucksvollste Revue
passiren.
Für einen grofsen Weltverkehr hat Tiflis eine ungemein günstige Lage.
Neben der eingeborenen, in Sprache und Stammverwandtschaft vielfach
verzweigten Bevölkerung, den Resten der alten Völkerwanderungen, treffen
hier die Söhne des äufsersten Nordens mit den sonnengebräunten Klein-
und Grofsasiaten zusammen und bilden ein belehrendes, unterhaltendes
ethnographisches Mosaik.
Die Hauptmasse der Bevölkerung gehört den Georgiern oder Grusinern
an, den Bewohnern der gröfsten Provinz Transkaukasiens, deren Herz Tiflis
bildet; obgleich die alte Hauptstadt eigentlich Gori ist. Die schönen edlen
Körperformen der Männer und Weiber werden vor allem durch die kleidsame
altherkömmliche Tscherkessentracht gehoben, welche- den ersteren
einen kriegerischen Ausdruck, den Frauen den Reiz holder Anmutli und
Sittsamkeit verleiht. Von alten Zeiten her- dem Christenthum ergeben,
haben die Georgier in den Kämpfen gegen die mohamedanisehe Nachbarschaft,
besonders gegen die berüchtigten Lesghier, schwere Kämpfe bestanden
und einen hohen kriegerischen Sinn neben einem gewissen Stolz
ihrer freilich nur noch in schwer zugänglichen Büchern aufgezeichneten
geschichtlichen Erinnerungen bewahrt. Der Georgier, eine wahre homerische
Figur, ist brav und edel, rosig und witzig, hat nie Geld, — das
besitzt sein schlauer und gewandter Nachbar, der Armenier, — dagegen
um so gröfseren Durst. Den Männern wie den Frauen mufs grofse Schönheit
mit Recht nachgerühmt werden. Die dunklen Augenbrauen, welche
sich über dem schwarzen glänzenden Augenpaar in zarten Bogen wölben,
drücken den fein geschnittenen, regelmäfsigen Zügen den Stempel herrlichster
Vollendung auf. Wir glauben, die in Georgien lebenden Europäer
sind neidisch, wenn sie den Frauen die Künste der weifsen und rothen
Schminke Zutrauen, eher mag es sein, dafs sie weniger wirthschaftlich als
unsere europäische Frauenwelt sind. Der Adel ist weitverzweigt und gebietet
über etwa 14,000 Leibeigene, die zur Zeit noch der Wohlthat der
bekannten kaiserlichen Ukase in Betreff der Aufhebung der Leibeigenschaft
harren. Als die Russen, im ersten Decennium dieses Jahrhunderts, das
Land in Besitz nahmen, wurde neben manchen Freiheiten, wie der Lossprechung
von der Recrutirung und dem Nichtzahlen von Steuern, den
Eingeborenen nach bestimmten Rangstufen der erbliche Adel bestätigt und
verbrieft. Seit der Zeit wimmelt es von Knäs oder Prinzen in Tiflis und
Transkaukasien, die oft kaum das liebe Brot haben und durch Leistung
der niedrigsten Dienste ihr Dasein fristen müssen. Einen würdigen Gegensatz
dazu bilden die Nachkommen d e r . alten einheimischen Königsfamilien,
deren Söhne meist im Dienste des russischen Heeres sich durch
Tapferkeit und Noblesse auszeichnen, wie die Töchter durch Schönheit,
Anmuth und selbst durch Bildung und Geist eine Zierde der vornehmsten
russischen Salons sind.
Die Armenier, theils in ihrem langärmligen National-Kostüm, iheils in
europäischer Civiltracht oder in russischer Uniform, steuern einen sehr bedeutenden
Beitrag zur Bevölkerung von Tiflis bei. Neben ihren Geschäften
als Kaufleute bekleidet eine nicht unbeträchtliche Anzahl Aemter und Würden
im Militair- und Civildienste der russischen Regierung, zum grofsen
Aerger der mohamedanischen Bevölkerung Transkaukasiens, welche auf die
ehemals unter ihrer Herrschaft stehenden Giaurs mit scheelen Augen blicken.
Der Armenier ist dabei ungemein ehrgeizig. Ein reicher armenischer Kaufmann
opferte z. B. immense Summen, lediglich um die Erlaubnifs zu erhalten,
russische — Generalshosen zu- tragen.
Die Tataren, äufserlich schon an ihrer spitz zulaufenden Pelzmütze
kenntlich, leisten niedere Dienste und werden in Tiflis als untergeordnete
Klasse der Bevölkerung angesehen. Die Zahl dieser Parias kommt zum
mindesten der armenischen Bevölkerung gleich.
Türkische Gesichter und türkische Trachten sind nicht selten in der
Stadt, dagegen um so häufiger die von Stolz aufgeblähten Perser, die alljährlich
etwa 10,000 an der Zahl von Persien aus nach Tiflis wandern, um als
Kaufleute und geschickte kunstreiche Arbeiter, besonders als Maurer, Geld zu
gewinnen. Ein persischer General-Consul, gegenwärtig Mirza-Abdul-Rahim-
Khan, ist in Tiflis eingesetzt, um die Interessen der Unterthanen des
Schahynschahs zu wahren. Der Hochmuthsteufel, welcher die Perser im
eigenen Reiche den Europäern gegenüber bisweilen gewaltig plagt, verführt
sie selbst in Tiflis zu den unbesonnensten Handlungen. Die russische Macht
drückt ihn jedoch kräftigst. Die 100 Perser, welche im Durchschnitt alljährlich
verschwinden, d. h. nach Sibirien wandern, können ein Lied da