sonne so eben die ersten zarten Blattknospen hervorgelockt hatte. Mitten
in dem Bergkessel lag der Ort Usüntala, die siebente Poststation von Tiflis
aus, in einer beinahe poetisch schönen Landschaft. Wir begegneten auf
unserer Strafse einer langen Karawane, aus. 170 beladenen Kameelen bestehend,
deren hohl und dumpf klingende Halsglocken dem lautlos und
langsam dahinschleichenden Zuge etwas düsteres gaben. Neu war bei dieser
Gelegenheit für uns der Anblick junger, noch nicht reisefähiger Kameele,
welche auf dem Rücken der Mutterthiere festgeschnürt hingen und mit gespitzten
Ohren und grofsen Augen dummneugierig in die Welt hineinschauten.
Das Thal der Äkstafa, bekannt im Kaukasus wegen seiner Heilquellen,
hat einen vollständig alpinischen Charakter. Anfangs ist der Weg von
stachlichem Rosendorn eingefafst, der uns bis zu den buntfarbigen Porphyrmassen
geleitet, durch welche mühsam genug die grofse Strafse hindurchgesprengt
ist. Nachdem wir eine mit Inschriften in russischen, georgischen
und persischen Zügen geschmückte Quelle linker Hand liegen gelassen hatten,
zogen wir in Istibulach ein. Wie überall, so auch hier grofse Parade vor
dem fremden Gesandten. Das Truppencorps von Istibulach bestand aus acht
Kosaken und einem Offizier, in einer Reihe aufmarschirt. Als die Wagen
die Fronte passirt haften und nun still hielten, trat der Offizier an den
Wagenschlag heran, um seine militärische Meldung zu machen, deren schnell
gesprochener Inhalt den Horizont meiner russischen Spraehkenntnisse
überstieg.
Istibulach, auch Karavanserai geheifsen, ist ein Nomadendorf, die Häuser
zum Theil wie Schwalbennester an den Steilabhängen der- felsigen Berge
angeklebt, welche von allen Seiten mit schneeigen Koppen und schwarzem
Unterholze auf die Strafse herüberhängen. Eine reichlich sprudelnde Quelle
schwätzt wie eine Waldnajade den Menschenkindern da unten im Thal die
neuesten Geschichten vom dunklen Forst vor, während wir unbekümmert
um das friedliche. Gemurmel der lieben Nachbarin mit den Eingeborenen
um alte Münzen ehemaliger georgischer Könige feilschen, und erst nach
glücklicher Acquisition der numismatischen Schätze Ruhe und Zeit zum
Frühstück gewinnen.
Wer du auch seist, Wanderer, wenn du deinen Fufs auf diese Strafse
setzest, um nach Persien zu pilgern, nimm freundlichen Rath an. Bereite
dich vor, bald Abschied vom frischen Bergesgrün, von der lustigen Wiese,
mit einem Worte von dem vegetativen Leben der europäischen Landschaft
zu nehmen. Du stehst an der. eigentlichen Grenze Europas und Asiens,
fülle also deine Erinnerungen zum letzten Male, mit den heiteren Bildern
lieblicher Scenen droben am Berge und unten im Thale an, gleich ist es
für lange, lange Zeit mit der landschaftlichen Romantik aus. Der Berg
Bambak bildet geographisch gedacht die Scheidewand zwischen Georgien
und Armenien, zwischen Europa und Asien, zwischen frischem Leben und
tödtender Dürre, zwischen Civilisation und Barbarenthum.
Die neunte Poststation nannte man Tschurussdn. Von da bis Dilidschan,
auf einer Ausdehnung von zwanzig Werst, windet sich die Strafse durch
prachtvolle Thalgründe hindurch. Läfst die Bergwand rechter oder linker
Hand nur einigermafsen den Blick frei, so leuchten aus dem Aether die
weifsen Spitzen der Bergkämme in wunderbarem Glanze in das Thal hinein.
Die Baumwelt an den Abhängen des Weges, der immer mehr und
mehr ansteigt, von auffallender Schönheit und Gröfse, geleitete uns schliefs-
lich gegen 4 Uhr Nachmittags nach einer schneebedeckten Hochfläche, von
wo aus die behenden Rosse bergabwärts in rasender Schnelle mit uns nach
Dilidschan zueilten.
Das Posthaus liegt recht malerisch in einem Thale mit vollständigem
Alpencharakter. .Gegen Abend machte ich einen Ausflug, um mir Land und
Leute, so gut Zeit und Licht ausreichen wollte, genauer in Augenschein
zu nehmen. Das Dorf Dilidschan steckt halb in der Erde, ebenso die
Kirche, welche auf einer Höhe die ganze Gegend beherrscht. Eben kam
ein langer Zug von Weibern aus der Kirchthür und stieg bergabwärts dem
Dorfe zu. Weifse Schleiertücher verhüllten den Kopf, das Gesicht und den
ganzen Oberkörper; rothe und buntfarbige Röcke guckten unter denselben
hervor. So sahen keine Tataren aus. Ich hörte auf meine Erkundigungen
hin, dafs dies Dorf in der That das erste ist, welches von Armeniern bewohnt
wird. Und das bewiesr auch der Anstrich von Wohlstand, der aus
einzelnen sauber aus Stein oder Holz gebauten, mit Söllern und Baikonen
versehenen Häusern hervorleuchtet. Der Armenier, so verschmitzt und
schlau er is t, so fleifsig ist er als Kolonist und Ackerbauer, so sparsam
und sorgfältig in seinem ganzen innern und äufsern Hauswesen.
Der Kirchhof des Ortes liegt auf einem entgegengesetzten Hügel des
Gotteshauses. Man gelangt zu ihm bei einer Quelle vorübergehend. Aus
einem Felsen hervor spendet sie ihr klares Wasser, der mit mehrsprachigen
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