Ich lasse es bei diesen Beispielen sein Bewenden haben, welche vollständig
hinveichen, um einen Begriff von der sonderbaren Erweiterungssucht
der iSen/örsprache zu geben. Ich weifs kaum einen ähnlichen Fall aufzuführen,
welcher in ändern mir bekannten Sprachen und Dialekten als ein
Analogon dieser mechanischen Methode der Wortbreitziehung dastünde.
Der Wirth unseres Hauses, welcher die Umgegend seines Dorfes sehr
genau kannte, war der Meinung, dafs der zerfallene Ort auf der trümmerreichen
Anhöhe bei Köschkeh in früheren Zeiten von „Gebrha“ oder Feueranbetern
bewohnt gewesen sei. „Er ward, Gott weifs am besten wann, so
fügte er hinzu, von den Afghanen zerstört. Auch mein Grofsvater wufste
nichts mehr von seiner,,Geschichte zu erzählen.“ Der würdige Graubart
ging mit uns gegen Abend in-s Freie, wo sich die Väter des Dorfes sofort
versammelten, um uns mit Fragen über unsere Heimath zu bestürmen. Sie
brachen in Klagen über ihre gegenwärtige traurige Lage und über die zunehmende
Armuth aus, die sich besonders in den letzten vier Jahren der
Regierung Nasreddin’s, bemerkbar gemacht habe (also ungefähr seit dem
Sturz des Premier-Ministers). „Sahab/ , schlofs Einer die Klagen, kaum
ist unser Dorf, das au s -21 Khanewdr besteht, im Stande, die jährliche
Steuer von vierzig Toman an die.Regierung zu zahlen, und gern würden
wir auswandern, wenn wir nicht den Boden so lieb hätten, in dessen
Schoofse unsere Väter den Todesschlaf ruhen.“ Also hier-wie überall die
alte Leier von der Verarmung Persiens.
Die Dörfer, welche in der Umgebung von Köschkeh liegen und sich
auf eine Ausdehnung von sieben bis acht Fersabh erstrecken, heifsen nach
der Angabe der Alten: Werdeh, Ilermiin, Peghomher, Izbenek, Azaciegeh,
Wier, Hoschgeru. Burubend, Bendomber., Aqeddeh, Adschün, Rasogha,
Tschellesbun, Aezbezün, Beireh, Miselghun, L a r und Duzeg.
In der Nacht vom 5. zum 6. September verliefsen wir Punkt zwölf Uhr
Köschkeh und seine schlafenden Graubärte, um vier Fersach weiter bis zum
nächsten Menzil Tschemarurn zu ^ziehen. Von Teheran bis dahin sind es
zweiundzwanzig Fersach, ebenso viel Meilen zählt man von Tschematum
bis Hamadan, so dafs also der ganze Weg von Teheran bis Hamädan vierundvierzig
Fersach oder dreiunddreifsig gute deutsche Meilen beträgt.
Gleich hinter Köschkeh schlug die Karawane die -Strafse über das Bergland
e in und zog in kühler Mondscheinnacht bald auf breiten Hochflächen,
bald durch enge. Thäler einher, in denen sich in der Nähe ausgetrockneter
Bäche und Flußbetten eine Fülle von Abad und Kharab, von bewohnten
Dörfern und verlassenen Dorfruinen Befand. Die Baumvegetation nahm
merklich zu und es hatte den Anschein, als näherten wir uns den Regionen
reichen Pflanzenwuchses. Eine gute Wegstunde vor Tschemarurn geht der
Weg auf- und abwärts in einem malerischen Berglande. Links von der
Strafse lag eine romantisch aussehende Dorfruine, eine ehemalige Kal'a
oder Festung, ln einem fruchtbaren Thalgrunde, umgeben von frischgrünen
Gärten und bebauten Feldern. Ein breiter Bach giebt schliefslich die Richtung
nach dem Menzile an, indem die Strafse an seinem Ufer in grader
Linie auf Tschemarurn losgeht. Der Anblick von der Ferne aus nach dem
Doi'fe und nach seiner Umgebung hin darf sich mit Recht unvergleichlicher
Schönheit rühmen. Von dem röthlich schimmernden Höhenzuge des Sai-
dagh, im Hintergründe; hob sich in sanfter graubrauner Färbung, und in
einen dünnen, zarten Nebelschleier gehüllt, das Bild des malerischen Dorfes
in deutlichen Umrissen ab, ansteigend zu Thürmen und Mauern, welche
ein festungsähnliches Werk in der Mitte weit überragte. Duftige Wiesen,
frische Hecken und Baumgruppen zögen einen grünen Kranz um die: Wohnungen
der Menschen und bildeten einen lieblichen, wohlthuenden Gegensatz
zu den leblosen Farben des leuchtenden Berges und der fahlen Erdwände
des Dorfes. Ueber das Alles war ein Meer von Licht ausgegossen,
dessen Glanz einen Färbenduft und eine Mannigfaltigkeit der Beleuchtung
von unendlicher Wirkung hervorzauberte. Wir waren hingerissen von so
viel Schönheit und schienen zu Vergessen, dafs sich in Persien die herrlichsten
Fernsichten in der-Nähe zu Wüstenbildern umwandeln, dafs in der
Natur-wie im Menschenleben nur-der leere', hohle Schein-den Mangel inhaltsvoller
Wirklichkeit verdeckt, dafs' man hofft, um jedesmal bitteren Enttäuschungen
weichen zu müssen.
Als uns- das Panorama von Tschemarurn in vielversprechender Pracht
entgegenläcbelte,: brachen wir Alle in Freudenausdrücke aus und verfehlten
nicht, unser Entzücken durch leise Erwartungen eines angenehmen Aufenthaltes
zu würZen. Je mehr wir uns d e r-KaVa-Veste näherten, je 'm e h r
verwischte sich das überaus herrliche Bild zu einer Decoration mit schmierigen
Farberikjeksen und rohen. Pinselstriehen.
Tschemarurn ist durch eine „untere“ und „obere“ Veste geschützt, die
untere, wie es scheint, gegen die aufseren Feinde angelegt, die „obere“
früher einmal eine Art Warte zum Auslugen des Khan’s von Tschemarurn.