Blick auf die zahlreichen Bewohner der engen Läden und Buden giebt sofort
Zeugnifs, dafs wir mit einem Fufse in Europa, mit dem ändern in
Asien stehen. Tiflis ist die politische Scheide der beiden grofsen Ländermassen.
Die europäischen Kaufleute, zu denen sich der stolze Armenier
lieber gesellt, als zum asiatischen Kleinki'ämer, der von der Hand in den
Mund arbeitet und lebt, vertreten den Grofshandel mit europäischen Pro-
ducten und Industriewaaren, die Asiaten den kleinen fleifsigen Arbeiter.
Diese sitzen in ihren malerischen Trachten in dem engen Loche ihrer Buden
und pochen und hämmern und handthieren, dafs es eine Lust ist mit anzusehen.
Die Waffenschmiede ,-verarbeiten alte Läufe und Klingen, die
werthvollsten aus dem Daghestan, zu Schufswaffen, Säbeln und Dolchen von
acht tscherkessischer Form, die Schneider nähen eifrig an den geschmackvollen
Anzügen des Kaukasus, hin und wieder das Auge von der Arbeit
erhebend, um den Vorübergehenden zum Kaufen zu ermuntern. Die Pelzhändler
haben eine wahre Menagerie von zottigen Pelzen auszühängen; die
tscherkessisehe Burka und der schwarze oder weifse Papach bildet den
Hauptartikel ihrer Waare. So ist ein jeder in seiner Weise beschäftigt:
Sattler, Schmied, Schreiner und wie sie alle nach Zünften vertheilt sind.
Hier und da, wie zwischen zwei Bretter eingeklemmt, hockt ein armer
Schuster und näht und hämmert die tscherkessischen Schuhe zurecht oder
flickt einen unbrauchbar gewordenen Kosakenstiefel. In dem Bazare fiel
uns die Menge und Auswahl des Wildprettes auf, von dem Hirsche und
der Gazelle an bis zum Fasanen und zur Taube hin, die letztere sicher
keine Speise für altrussische Magen, da sich die Gläubigen hüten das Symbol
der Unschuld und Reinheit aus devoter Rücksicht gegen den Heiligen
Geist zu verzehren.
Wir kauften einige Kleinigkeiten von den Waffenschmieden und Silberarbeitem,
die eine besondere Fertigkeit in Filigran oder durchbrochener
Dratharbeit auszeichnet. Die grusinischen Frauengürtel sind so geschmackvoll,
dafs die vornehmste europäische Salondame nicht anstehen würde
damit den schlanken Leib zu umgürten. Ein tscherkessisches breites Dolchmesser
mit doppelter Rinne, der Mittelstreifen damascirt, trug den moha-
medanischen Namen des Meisters A li und die Jahreszahl 25 (1225) und
kostete 10 Silberrubel.
Beim Zusammenrechnen des Kaufpreises bedienen sich die europäischen
und asiatischen Kaufleute des durch ganz Rufsland verbreiteten RechenTiflis.
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brettes (ScAoif« genannt), dessen wesentliche Einrichtung in Folgendem besteht.
Im Innern eines viereckigen Holzrahmens befinden sich nebeneinander
fortlaufend eine Reihe von Drähten, die je:zehn Holz- oder Knochenkugeln
enthalten, welche wie Perlen auf Fäden, so auf jeden Drath gezogen
sind, dafs sie leicht hin und her bewegt werden können. Jede Kugel des ersten
Dräthes stellt einen Einer, jede des zweiten einen Zehner, jede des
dritten einen Hunderter dar u. s. w. Soll nun z. B. 6 + 7 + 5 addirt werden,
(denn nur für die Addition und Sübtraction ist das Rechenbrett ein mechanisches
Hülfsmittel, ähnlich wie die Finger und Fingerknöchel für sogenannte
alte Weiberrechnung) , so zählt der Kaufmann zuerst 6 Kugeln ab,
bleiben 4 übrig (da ja jeder Drath 10 Kugeln enthält); er soll aber 7 zufügen.
E r legt die 4 zu den 6, schiebt von der zweiten Reihe der Zehner
eine Kugel = 10 nach rechts oder links ab, so dafs sie allein steht und
von den Einem 3 Kugeln ab (4 + 3 = 7). Resultat: 6 -f- 7 = ein Zehner
und drei Einer = 13. An die drei Einer schiebt er neue 5 Kugeln an, hat
also im Ganzen 8 Einer. Gesammtresultat seiner Rechnung 6 + 7 + 5 =
1 Zehner 8 Einer = 18. Theoretisch sieht die Sache langweilig aus, in
der Praxis geht die Mechanik so schnell wie unsere Rechnungsweise von
Statten, so dafs selbst in den Abtheilungen der russischen Ministerien derartige
Rechenbretter nicht fehlen. Auch die Chinesen bedienen sich eines
solchen Hülfsmittels beim Rechnen, wie in dem zweiten Bande der „Reise
der Oesterreichischen Fregatte Novara um die Erde“ S. 124 ff. erzählt wird.
Als wir auf unserer Expedition durch die Stadt die Kura zu überschreiten
im Begriff waren, fesselte das Bild des Flusses unter uns, wir standen
auf der Brücke, unsere ganze Aufmerksamkeit. In sehr beträchtlicher
Tiefe tobte und rauschte die Kura in ihrem Felsenbette, eilenden Laufes
fortstürzend von Felsblock zu Felsblock. Kein Schiff kann sich der Wü-
thenden anvertrauen, und nur Flöfse, aus langen Baumstämmen zusammengezimmert,
lassen sich auf dem Strome abwärts treiben. Auf einer trockenen
Erdzunge im Flusse lagerten Hunderte wiederkäuemder, langhaariger Ka-
meele, gröfser und stärker als die ägyptischen, während die Esel hier zu
Lande kleiner und schwächer als die ägyptischen sind. Die Kameele dienen
im ganzen Kaukasus als Lastthiere; in Tiflis sah ich ihren Rücken mit
mächtigen Oel- und Weinschläuchen beladen.
Auf einer Anhöhe liegt das Haus des Directors der Sternwarte, H. Mor
i t z , von deutscher Abkunft. Die Aussicht von hier aus über die Stadt
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