Au dem linken Ufer der Kura, auf der entgegengesetzten Seite der
Stadt, liegen die Vorstädte von Tiflis. Vor allen nennungswerth ist die zu
beiden Seiten der Strafse lang sich ausdehnende würtembergische Kolonie
Manenfeld. Es macht einen ganz eigenthümlichen Eindruck, mitten unter
Georgiern und Küssen in Tiflis auf Landsleute aus Schwaben zu treffen,
die süddeutsches Haus- und Hofwesen und heimische Sitte wie mit einem
Zauberschlage nach dem fernen Kaukasus versetzt haben. JDie Gehöfte sind
meist in deutschem Stile angelegt, mitunter hat sich ein Hausvater ein
schmuckes Landhaus hergerichtet, das er meistentheils an Offiziere der
kaukasischen Armee vermiethet. An der Thür der sauberen und reinlichen
Wohnungen, die uns so behaglich anheimelten, ist ein Holzbrettchen angenagelt,
worauf weifs auf schwarz der Name und Stand des einwohnenden
Hausvaters verzeichnet steht. Die Peters und Christophs unter den Vornamen
sind so häufig anzutreffen, als die Schulzes und Müllers unter den
Zunamen. Die Tracht der deutschen Ansiedler, welche von religiösen
Scrupeln geplagt, vor einigen Jahrzehnten zuerst nach Jerusalem pilgern
wollten, dann nach Odessa verschlagen wurden, ohne sich da wohl zu fühlen,
und zuletzt bei Tiflis und an einigen anderen Orten des Kaukasus eine
Kuhestätte fanden, ist so altfränkisch, als man sie nur immer im-Würtem-
bergischen zu bewundern vermag, und dafs sie dabei in der Mode nicht
vorgeschritten ist, kann aus eigener Anschauung redlich versichert werden.
Marienfeld soll 120 Familienväter zählen, die ohne Ausnahme Lutheraner
sind. Ihre Festtage sind seltsamerweise nach dem russischen Kalender geregelt,
der bekanntlich von dem unsrigen um zwölf Tage ab weicht. Die
Kirche ist in deutschem Stile aufgeführt. Der regelmäfsige Besuch derselben
gehört zu den Pflichten eines jeden Hausvaters der Kolonie. Ver-
absäumung desselben würde die Ausstofsung des Betreffenden zur Folge
haben. Marienfeld und die übrigen deutschen Kolonien des Kaukasus, die
sich durchweg eines vorzüglichen Wohlstandes erfreuen, dessen Grundlage
neben dem Ackerbau die Zubereitung von Wein und Bier bildet, haben
ihre eigene, in sich abgeschlossene Verwaltung, die in keiner Weise von
der russischen Regierung beschränkt wird. An der Spitze steht der Schulze
und ein Rath, aus den ältesten und würdigsten Hausvätern zusammengesetzt.
Gegen das Ende der mit einer Baumallee bepflanzten langen und breiten
Strafse der Kolonie liegt linker Hand, der Kura zu, die Schützenkaserne
der Garnison von Tiflis. Ein grofser Platz befindet sich vor dem hübsch
gebauten Hause. Hier ist die militärische Turnanstalt, welche zu gleicher
Zeit als Vorschule dient. Jedes Regiment der kaukasischen Armee schickt
hundert jüngere Soldaten hierher, welche neben dem Turnen lesen, schreiben
und' rechnen lernen und sonst unterrichtet werden.
Die Strafse mündet zuletzt in den Tifliser Vauxhal,1 den sogenannten
Mudschtehid, in welchem sich an den Sommerabenden, gewöhnlich bei
Cöncert, die schöne Welt von Tiflis zu vereinigen pflegt. Der recht hübsch
angelegte Garten liegt dicht an dem hohen Ufer der Kura, welche sich an
dieser Stelle durch ein sehr" enges Felsenbett mit lautem Tosen hindurchdrängt.
Der Name Mudschtehid ist persischen Ursprunges. Die Perser
bezeichnen damit den höchsten Grad der Gelehrsamkeit, einen Mann, der
es so weit gebracht hat, die zweiundsiebenzig persischen Wissenschaften
von Grund aus zu kennen und dessen höchster Ruhm die vollendete (re ligiöse)
Gesetzkenntnifs is t.' Ein solcher Ausbund von Gelehrsamkeit war
Hadschi Mir Fetha von Täbriz, der im Jahre 1828, als die kaukasischen
Regimenter nach Täbriz marschirten, mit den Russen gemeinsame Sache
machte und, da.seines Bleibens in Persien nicht länger möglich war, nach
Tiflis übersiedelte. Er erhielt neben einer Pension den Platz des heutigen
Gartens zum Geschenk, und wohnte und lebte hier dem Studium seiner
zweiundsiebenzig Wissenschaften. Nach seinem Tode trat sein Sohn die
Erbschaft an. Da er inzwischen von Sehnsucht nach dem persischen Vaterlande
geplagt w a rd , verkaufte er den Garten der russischen Regierung,
die den ehemaligen Gelehrtensitz nunmehr dem öffentlichen Vergnügen
weihte. Der Name des Mudschtehid ist aber seitdem geblieben.
Tiflis hat einen grofsen Ruf seiner Schwefelbäder wegen. Auch nach
dieser Seite hin schien uns eine Belehrung wünschenswerth. Die Bäder
befinden sich dicht am Fufse des Dagh oder Berges, auf der rechten Seite
der Kura. Als das beste wurde uns das Bad Melikoff bezeichnet. Man
bezahlt für die Stunde 60 Kopeken an den Besitzer und 20 Kopeken Trinkgeld
an die Diener. Das Badehaus ist einstöckig. Die geöffnete Thür liefs
eine ganze Bevölkerung russischer Soldaten und grusinischer Arbeiter er-
kennon, die dicht nebeneinander hockend ihrer Toilette die gebührende
Rechnung trugen. Ein kleines Zimmer wurde uns als nächster Aufenthalt
angewiesen. Das Badezimmer besteht aus einem dunklen, nach Schwefel