X. Kapitel.
F ü r s t Ba r i a t i n s k y . — De r r u s s i s c h e Sol d a t.
In einem wohl geheizten Zimmer des Hotel du Caucase safsen vor
dem langen Tische eine Reihe fröhlicher Gäste, so bunt, wie sie nur immer
das Leben in der Fremde und unter Fremden zusammenzuwehen im Stande
ist: Russen, Armenier, Georgier, Franzosen, Deutsche.
Auf der glatten Fläche der Hufsbaumplatte des Tisches blinkte der
rothe Kachetiner in hellen Krystallgefäfsen, welche von Zeit zu Zeit russische
Diener in schwarzem Frack und weifser Binde stillschweigend füllten.
Der weifse Dampf der russischen Papier-Cigarette, armenisches Fabrikat,
hatte das Zimmer in einen undurchdringlichen Nebel gehüllt, aus
dem nur selten beim flackernden Kaminfeuer eine der Gestalten in deutlicheren
Zügen zu erkennen war.
Die Mehrzahl der Gäste trug die russische grüne Uniform mit Silberstickerei.
Silberbeschlagene Tscherkessen-Säbel und die Landespelzmützen
an und auf den Stühlen lehnend und liegend mahnten mehr als der Kachetiner
an die Nähe des Kaukasus.,
„Allen Respect vor unserem Fürsten Bariatinsky!, setzte ein Offizier
das bereits begonnene Gespräch fort,' sich an einen der deutschen Gäste
wendend und wie zur Bestätigung seiner Aussage einen Seitenblick auf
seine Kameraden werfend ich sage Ihnen, so ein Mann, wie der ist,
giebts wenige auf dieser Erde, und die sollen erst noch gesucht werden.
Wissen Sie, was er war, als er vom Kaiser nach dem Kaukasus geschickt
wmrde ? Hundert Mann Linien-Kosaken kommandirte er als Lieutenant und
ist jetzt der allmächtige Statthalter S. M. des Kaisers im Kaukasus , - ist
Feldmarschall und verwaltet das Land als Vicekönig, hat einen unumschränkten
Credit in St. Petersburg und kann Orden vertheilen, an wen er will,
d. h. wen er einer Auszeichnung werth hält. Und der mufs sich schon
durch ganz besondere Tapferkeit hervorgethan haben.“
„ Ja wohl!, entgegnete dem Sprecher ein Nachbar linker Hand, dessen
Brust das Georgenkreuz und dessen Gesicht tiefe Narben schmückten, das
wissen seine Adjutanten am besten. Die schickt er alljährlich abtheilungsweise
in die Expedition und kehren sie nicht mit Wunden und Narben
zurück, da ist er bitterböse. Freilich ist er auch traurig, kostet es einem
seiner Leute bei einer Affaire das Leben, und fallen gar viele, da ist er
wüthend wie eine Löwin, der man die Jungen gemordet hat.“
„Der Fürst ist ein ganzer Mann, fuhr der erste Sprecher fort. Tapfer,
muthig, edel durch und durch, gütig wie ein Kind, liebenswürdig, dafs man
sich in ihn vernarren könnte, hat er in drei Jahren die Herzen von Feind
und Freund überwunden. Noch vor zehn Jahren konnte man sich nicht
von Tiflis nach Gori begeben, ohne sich vorzusehen und eines Angriffes
gewärtig zu sein; heute ist der Kaukasus so sicher zu bereisen, wie irgend
ein civilisirtes Land der Erde, und fallen auch hin und wieder Schüsse auf
dem rechten Flügel an der Linie, so passen die Kosaken auf und lassen
die Bergbewohner nicht aus den Augen. Seit Schamil, der berüchtigte
Tscherkessenfürst, in unsere Hände gerathen is t, — und der Fürst hatte
geschworen, seiner habhaft zu werden, — haben die Bergvölker auf dem
linken Flügel alle weiteren Angriffe aufgegeben und sich unterworfen. Auch
der Nachfolger Schamils, Mehemed Emin, hat bereits die Waffen gestreckt
und wird übermorgen, reich beschenkt vom Fürsten, nach St. Petersburg
abgehen, um die Ehre zu haben S. M. dem Kaiser vorgestellt zu werden.“
„ „Was bezeichnen Sie mit dem l in k e n Flügel der Kriegsoperationen?“
“ fragte ein Deutscher, dem die Terminologie im Kaukasus unbekannt
war.
„Wenn man aus den Fenstern des Winter - Palais in Petersburg nach
dem Kaukasus schaut“, antwortete der Gefragte, ein blutjunger Offizier, der
am folgenden Morgen mit Depeschen von Tiflis nach der Kaiserstadt als
Courier abgehen sollte, „freilich eine ziemlich weite Entfernung, so liegt
der östliche Theil des Kaukasus, also die .Berglandschaft nach dem kaspi-
schen Meere zu, wo Schamil seine Felsennester hatte, linker Hand; der
westliche: rechter Hand, und nach dieser Bestimmung werden die beiden
Flanken als linke und rechte unterschieden.“
„Freilich! fuhr der erste Erzähler fort, der linke Flügel ist jetzt ruhig;
in zwei Monaten geht aber der blutige Wäffentanz auf dem rechten los, und
das ist keine Kleinigkeit. Da wird es Blut und Menschen kosten. Wir führen
hier zu Lande nicht nur Krieg mit den Menschen, sondern müssen noch
vielmehr mit der Natur kämpfen. Die Schwierigkeit des Terrains ist unbeschreiblich.
Niemand hat das Land bis jetzt gesehen. Die Berge er-
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