dem Schah und der Regierung Trotz, und zwar mit Erfolg, zu bieten im
Stande sind. Als Träger und Lehrer der Religion ihres hochheiligen Imams
A li haben sie eine allgemeine Achtung und Verehrung, und ihre Beredtsamkeit
in den Moscheen weifs die Menge für eine gewünschte oder beabsichtigte
Stimmung leicht zu fesseln. Die Religion ersetzt hier, wie in allen moha-
medanischen Ländern, das, was wir in Europa Ehre, Vaterland, Patriotismus,
Liebe zum Könige, Freiheitsgefühl u. s. w. nennen. Selbst der Kriegerstand
würde nicht die Waffen ergreifen, um in den Krieg zu ziehen,
wenn nicht die Mollahs denselben als nothwendig für den Glauben, als
einen Religionskrieg in ihren Predigten verkündigt hätten. Es ist bekannt,
um auf ein Beispiel der neuesten Geschichte hinzuweisen, dafs der Krieg
zwischen Persien und England in der M u r r a y ’sehen Affaire von der persischen
Seite nur als Religionskrieg aufgefafst wurde, obwohl die Mollahs
Mühe hatten, der spottenden Menge den Beweis zu führen, dafs es sich
den reichen Ingelis gegenüber um Verletzung des Islam handele.
Die Mollahs betrachten den Schah und seine Dynastie, grade so wie
die Herrscher der früheren Königshäuser als u n g e s e tzm ä f s ig regierend.
Der Schah ist ihnen nicht de jure, sondern nur de facto Herrscher, da er
weder ein Nachkomme der allein als legitim anerkannten Dynastie der
Sassanidenkönige is t, noch zur Familie des Imam Ali gehört. Was der
Schah besitzt, ist in der Meinung der Mollah ein widerrechtlich angeeigneter
Raub. Eine als heilig geachtete Person wird deshalb nie ein Geschenk
vom Schah annehmen, da an dem Geschenke der Fluch der Ungerechtigkeit
klebt; ja der Schah selber ist gezwungen, für gewisse Räumlichkeiten
seiner Wohnung, wie z. B. für den T h e il,in welchem e r betet,
an die Moscheen eine Miethe zu zahlen, um in- dieser Weise der Beschuldigung
ungerechter Benutzung aus dem Wege zu gehen. Man wird leicht
erkennen, dafs die Stellung des Schah keine so unumschränkte Gewalt mit
sich verbindet, als es sein Titel als absoluter Despot vermuthen läfst. Es
steht ihm eine unsichtbare Macht unter dem Namen der Religion gegenüber,
deren Bedeutung durchaus nicht verkannt wird noch verkannt werden
darf.
Wie Graf G o b in e a u es so richtig bemerkt hat, steht der Schah,
freilich ein illegitimer Fürst von aufsen her, über dem Staate in der Eigenschaft
eines Beschützers. Er verwaltet denselben nicht, sondern es ist
das die Sorge des ersten iranischen Vezirs, des Sadr-azam, Seitdem
Nasr-ed-din denselben beseitigt hat, vor wenigen Jahren, und die Regierung
selber in die Hände genommen, hat die Mifsstimmung der Mollah gegen ihn
einen hohen Grad erreicht. Nicht der Minister, sondern er, der Schah, ist
nunmehr für alles Unglück, das über Iran hereinbricht, persönlich verantwortlich,
er ist der Gegenstand -des Hasses und der Unzufriedenheit, nicht,
wie früher, sein Vezir. Man hätte im vergangenen Winter. 18(i0—01, während
der Hungersnoth, die offen und frei geführten Reden des erbitterten
Volkes in den Bazaren über den Schah hören müssen, um zu verstehen,
in welcher Weise seine Stellung, und zwar durch leeré, rein äufserliche
Nachahmungen europäischer Institutionen in seiner Umgebung, zu seinem
Nachtheile verloren und an Ansehen und Heiligkeit eingebüfst hat. — An
der Spitze der Geistlichkeit stehen in Teheran, wie in allen übrigen Hauptstädten
des Landes, ein Imam-Dsehuma und ein Mudschtehid.
Der zweite Stand, die grofse, weit verzweigte Beamtenwelt umfassend,
wird am besten durch den Namen der Mirza bezeichnet. Kenntnisse, welche
über die gewöhnliche Schulbildung hinausgehen, ohne indefs tief begründet
zu sein, eine gute Art sich zu benehmen und sich einzuführen., ein passender
Witz, ein Pferd, Diener, welche den silbernen Kaliun tragen,
und fabelhafte Geschichten von dem Einflufs des Herrn zu erzählen wissen,
prunkhafte Kleider und Luxusartikel am Leibe (wenn auch geborgt), vor
allen aber eine starke, kräftige Protection einer hochstehenden Person am
Hofe,“ — das ungefähr müssen die Eigenschaften eines Mirza, eines
Gebildeten sein, der auf eine Stellung in der Beamtenwelt lauert, die ihm
nie fehlschlägen wird, wenn, er mit gehörigem Witz, mit den unvermeidlichen
Intriguen, vielleicht ünterstützt durch Pischkesch, zu Werke geht.
Die Hauptarbeit eines persischen Beamten besteht in der Handlung, welche
man mit den Worten muäakhil-kerden oder noch allgemeiner: khurden
„essen“, d. h. v e r d i e n e n (aber wie?) bezeichnet.
Die Kaufleute (tadschir, furusch) bilden einen dritten, sehr bedeutenden
Stand der persischen Bevölkerung. Wir wissen nicht, ob es begründet
ist, dafs dieser Stand vor allen übrigen sich bis zu einem gewissen Grade
durch seine Rechtlichkeit auszeichnet. Jedenfalls ist es Thatsache, dafs. man
ihnen grofse Vorschüsse bewilligt und bedeutende Summen zum Mitarbeiten
vorstreckt. Wenngleich sie nicht immer den Termin pünktlicher Zahlung inne
halten, so kommt es dennoch nie vor, dafs ein Gläubiger seinem Schuldner
Haus und Hof, Hab und Gut nimmt, um sich schadlos zu halten. Das