Wir nahmen rührenden Abschied vom Obersten, der uns einen guri-
schen Edlen, seine Ordonnanz, bis Kutais als Führer und Dolmetscher
mitgab. Die Glocke läutete zur Abfahrt, die preufsische Flagge wurde
aufgezogen und unter dreimaligem Hurrah! vom, Ufer her setzte sich das
Schilf in Bewegung. Die Bäder der Maschine wühlten die schmutzig
gelben Weilen des angeschwollenen Rion in wilder Bewegung auf.- Schwimmende
Massen einer weifsen schaumartigen Substanz und losgerissene Baumstämme
trieben in reifsender Schnelle, bald wie ein Pfeil vorwärts schiefsend,
bald in Wirbeldrehungen auf der Oberfläche des Wassers dem Meere zu.
Das landschaftliche Leben an den beiden Ufern des Flusses bietet
merkwürdige und auffallende Aehnlichkeiten mit den schönen Naturbildern
in dem leider noch zu wenig besuchten heimischen Spreewalde dar. Die
Ufer sind anfangs niedrig, das Wasser reicht bis zu ihnen heran, dünnes
Laubholz bildet die Einfassung des Stromes. Hier und da zeigt sich
in der Lichtung, tiefliegend, ein ärmliches Blockhaus, von geflochtenen
Hürden umzäunt.
Politisch beginnt auf dem rechten Ufer die Landschaft Mingrelien, auf
dem linken Gurien. Der Weg am Wasser auf der letzteren ist sumpfig,
quergelegte Baumstämme müssen als Chaussee und Brücke zugleich aushelfen.
Der Himmel hatte sich inzwischen zum heitersten Blau aufgeklärt, eine
wärmende Sonne lachte am reinen Himmelsgezelt.
In grofsen Bogen, oft von der Breite des Rheines bei Köln oder des
Niles bei Kairo, zog sich der Phasis aufwärts hin. Die Waldung wurde
immer dichter, immer stärker. An den entlaubten Bäumen läuft den Stamm
auf- und abwärts dunkelgrüner, üppig wuchernder Epheu. In Gestalt
dünner grüner Schleier senken sich von den Zweigen die feinen ausgetrockneten
Fäden verschiedenartigster Schlingpflanzen in unendlicher Abwechselung
zum Boden hernieder, oft bis zum Wasser des Rion forthüpfend,
dessen Fluth die leichte, bewegliche Last hin und her treibt.
In Armesdicke kriecht in Schlangenlinien die vielgepriesene kolchische
Weinrebe auf dem Boden fort, windet sieh vom Stamm zu den Zweigen
und Aesten des nachbarlichen Baumes hinauf, um von da aus die luftige
Reise durch einen grofsen Theil des nächsten Waldrevieres anzutreten.
In diesem unvergleichlich anmuthigen urwaldliehen Saale, dessen Decke
das wundersamste Netz verschlungener Arabesken lebendiger Pflanzenformen,
dessen .Säulen die epheuumrankte nordische und südländische Baumwelt
bildet, breiten die bunten Kinder des Frühlings den reizendsten Blumenteppich
aus. Wie schade, dafs drinnen in Gottes schönstem und natürlichstem
Tempel, mit dem nur die U'rwaldungen Amerika’s, an den Stromufern
des Mississippi und Ohio, verglichen werden können, das Fieber
mit tödtlichem Gift das Menschengeschlecht verfolgt.
Grofse Sümpfe und Moräste hauchen bei der brennenden Sonnenhitze
Miasmen aus, die weit und breit die kolchische Landschaft durch Wechselfieber
verpesten. Die russischen Offiziere und Soldaten, welche in diesen
Theilen des Kaukasus stationiren, haben davon zu erzählen, da sie
furchtbar unter dem Einflufs des fieberreichen Klimas-leiden. Chinin, das
bekannte Gegengift gegen Fieber, wird hier in kaum beschreiblichen Quantitäten
von Jung und Alt verschlungen. Die Wohlthat dieses Medicamentes
erkennt der am besten, welcher einige Zeit in Asien zugebracht hat.
Gegen 4 Uhr Nachmittags nahm die Landschaft plötzlich einen anderen
Charakter an. Hinter den Wäldern am Ufer erhoben sich baumreiche Hügel,
immer steiler und steiler, zu einer grofsen Kette ansteigend, deren
zerklüfteter Kamm in schwindelnder Höhe des Himmels Wolken berührt.
Die Massen gefallenen Schnees auf dem Gipfel jagten uns eisigkalten Wind
ins Gesicht.
Das Gehölz wird immer lichter und lichter. Wohlangelegte Dörfer
zeigen sich hier und da am Ufer. Pferde- und Schweineheerden, seltener
Rindvieh und Büffel weiden auf den grasreichen Uferwiesen. Die Mündungen
einzelner Nebenflüsse des Rion stellen sich als breite Wasserstreifen
dar. Auf der rechten Seite entwickeln sich ausgedehnte Ebenen, an deren
Uferrande in langer Reihe nebeneinander sitzend, eine Schaar von Pelikanen
den Fischfang betreibt. Ist das Glück dem gefiederten Fischer
hold gewesen, so reckt er den weiten Schnabel in die Höhe, und gierig
schluckend läfst er den gefangenen Fisch den Weg aller Speise gehen.
Ein Schufs! und mit schwerem langsamen Flügelschlage erhebt sich das
ganze Volk, um auf dem jenseitigen Ufer ein neues Plätzchen für den
Fischfang aufzusuchen.
Die Sonne des heutigen Tages hatte uns die überraschendsten und
herrlichsten Naturgemälde beleuchtet; wir durften ihr wohl einen herzlich
gemeinten Abschiedsgrufs zurufen, als sie im fernen Westen zu Rüste
ging, noch zu guter letzt uns die Freude bereitend, die schneeigen Gipfel