Statthalter liefs mir zugleich den Wunsch aussprechen, ein ürtheil über
diese neuerdings erst von seinem Bibliothekar geordneten Cataloge zu fällen.
Ich hatte kaum die Kasten geöffnet, als ein braver Offizier der kaukasischen
Armee mich eilends zu sprechen begehrte.
Es war der Rittmeister Corradini. Das Georgenkreuz auf seiner Brust,
das Annenkreuz am Säbel sagten mir deutlich genug, dafs ich die Ehre
hatte einen der Tapferen zu sehen, die Tscherkessenkugeln und Tscher-
kessenmessern furchtlos entgegengehen.
„Ah, Monsieur, sagte er mir im geläufigsten Französisch, vous allez
me perdre sans le savoir p eut-être ! ayez pitié de moi!-vous avez les catalogues
de notre prince?“
Mir wurde bei den hastig und athemlos gesprochenen Worten selber
angst und bange. Ich bejahte die Frage.
„Sie wissen vielleicht noch nicht, fuhr er fort, dafs ich der Bibliothekar
des Fürsten bin. Wenn Sie ihn kennen würden! er ist wie ein Kind so gütig,
so zärtlich, aber auch streng, und zornig wie der Löwe. Ich habe die
Bibliothek ordnen und die Form und Anordnung der Cataloge gradezu erst
erdenken müssen, um dem Fürsten das Finden und Holen eines Buches ohne
Zeitverlust noch Mifsverständnifs zu gestatten. Welche Arbeit für mich!
Lieber vor einer Batterie stehen, als vor solchen pappenen Soldaten.“
„Sie wissen, der Fürst leidet zeitweise so furchtbar an Rheumatismus,
fuhr er fort, dafs er nicht im Stande ist, ein Glied zu rühren, geschweige
sich von seinem Sessel zu erheben. Er will ein Buch haben. Nehmen
wir an Lamartine’s Poesien. Er klingelt den Kosaken. Der bringt ihm
die Farbentafel. Jeder Wissenschaft habe ich eine besondere Farbe zu-
getheilt.“
„So findet man die Theologie im „schwarzen Kasten“ fiel ich ein.
„Ganz recht, im schwarzen, die Medicin im rothen u. s. w. Der Poesie
habe ich die rosenrothe Farbe gegeben. Der rosenrothe Kasten wird geholt,
unter L findet sich Lamartine und die Nummer des Buches. Der
Kosak geht zum rosenrothen Spinde, sucht Nummer so und so heraus und
das gewünschte Buch wird dem Fürsten gebracht.“
Lachend stimmte ich dem Systeme des guten Rittmeisters bei und
verstand nun die farbigen Zettel.
„Ja draufsen in Europa ist die Sache leichter, aber denken Sie nur
daran, dafs hier im Kaukasus Lesen und Schreiben beim gemeinen Mann
etwas seltenes ist. Der Kosak kann nur Zahlzeichen erkennen, die Farben
weifs er ja zu unterscheiden, somit ist das Suchen eines Buches ohne
die geringste Schwierigkeit verknüpft, und, was die Hauptsache ist, der
Fürst verliert nicht die Geduld.“ I
Ich konnte nur von neuem das System des Rittmeisters loben.
„Also Sie werden meine Cataloge beim Fürsten nicht tadeln?“
„Im Gegentheil, erwiederte ich, in der verdienten Weise bestens loben.“
„Oh, Sie machen mich unendlich glücklich! rechnen Sie auf jede Art
von Dienstleistung meinerseits.“
Hätte ich die nach guten und schlechten Einbänden, sowie nach der
Höhe der Bücher, wohlverstanden nicht nach ihrem Inhalt, geordnete kaiserliche
Bibliothek einer der ersten Hauptstädte Rufslands ein Jahr früher
gesehen, anstatt ebensoviel Zeit später, so hätte ich die Kühnheit gehabt,
bei S. D. dem Fürsten Statthalter den gehorsamsten Antrag zu stellen, den
tapfern Rittmeister Corradini auf einige Zeit als Muster-Oberbibliothekar
nach .................. und die gelehrten Herren der gemeinten Bibliothek nach
den Schlachtfeldern des Kaukasus zu senden.
Die Bibliothek würde gewonnen, der Kaukasus freilich verloren haben.
Wir befanden uns nächsten Tages im Pallast des Fürsten.
Der Rittmeister Corradini war mit mir in Gespräehe über neuere Literatur
in Europa versunken, holte einige Prachtwerke der fürstlichen
Bibliothek aus ihren Fächern hervor und zeigte mir Porträts und Gruppen
feindlicher Tscherkessen, die in Aquarell-Manier von ihm selber mit künstlerischer
Vollendung während verschiedener Campagnen ausgeführt waren.
Man sieht, Mr. Corradini ist ein Talent seltener Art. E r ist von Geburt
kein Russe. Seine Eltern waren Florentiner.
Plötzlich trat der Fürst in Begleitung einiger Adjutanten in den Saal.
Das Gespräch ward bald auf die Bibliothek und die Cataloge gelenkt.
Ich spendete dem Systeme der Anordnung und der Ausführung das
höchste Lob.
„ J’en suis content, schlofs der Fürst seine Bemerkungen, voyez tout
qa est de mon invention.“
Dem Rittmeister Corradini leuchteten die Augen. — Ich glaube ihn
verstanden zu haben.