„Die Brücke, fuhr die Stimme fort, ist ja seit heute früh vom Strome
weggerissen worden. Schlagt eine andere Richtung e in !“
Zum Glück standen die Pferde wie angewurzelt. Es war stockfinster.
Vor uns rauschte in der Tiefe der Flufs, wir hörten es deutlich; die Brücke
war weggerissen. Der Jemtschik hatte einen kürzeren Weg fahren wollen.
Ohne die warnende Engelsstimme wären wir alle unrettbar verloren gewesen.
Um 10 Uhr Abends, — die Kälte nahm natürlich nicht a b , sondern
in erschreckender Weise zu, — kamen wir auf ein windiges'Plateau,
wo der traurige Ort Suram liegt. Die Telegas wendeten rechts um und
führten uns gradezu in den Hof der Stanzie hinein. Eiligst suchten wir
die Zimmer auf, um uns eiuigermafsen zu erwärmen. Wir folgten dem
Lichtschein, der uns durch einen grofsen Thürspalt zum Eintritt gar freundlich
einzuladen schien und öffneten ohne anzuklopfen die Thür der Poststube.
Ein Talglicht brannte auf einem Tische, der mit Papieren und einem
dampfenden Samowar besetzt war. Der Anblick der feurig blitzenden Thee-
maschiue war verführerisch genug. Vor dem Tische safs ein russischer
Polkownik oder Kosaken-Oberst. Seine Kosaken standen kerzengrade die
Wände entlang und schienen die Befehle ihres Anführers in Empfang
zu nehmen.
Der Herr Polkownik war, wie es alle russischen Offiziere sind, ein
Muster von Liebenswürdigkeit. Er wollte sofort das Zimmer den vorgestellten
Gästen abtreten; unser Minister lehnte das freundliche Anerbieten
aber ausdrücklich ab, als er hörte, dafs ein anderes zweites Zimmer-vorhanden
sei, in dem augenblicklich einige Kosaken logirten.
Die guten Leutchen machten gern Platz, heizten den Kamin mit dürrem
Reisig, reinigten das Zimmer- mit einem grofsen Besen und bald waren
wir häuslich eingerichtet. Zwei Kosaken brachten den Samowar, den der
Oberst die Güte hatte uns abzutreten, und spielten mit vielem Geschick
die Rolle höchst dienstbarer Geister.
Noch ein Weilchen und wir lagen sämmtlieh ausgestreckt auf der langen
Holzschlafbank oder auf dem Boden und schnarchten nach Herzenslust
bis zum frühen Morgen.
Kaum sah der trübe Wintermorgen mit seinem blassen Leichengesicht
durch die kleinen Fenster in die Stube hinein, so war die ganze Mission
bereits auf den Beinen, und tummelte sich so wacker, als ob man die
Richtige Zeit der Abfahrt mit dem Eisenbahnzuge zu versäumen hätte.
Es wurde in aller Eile Abschied vom trefflichen Obersten genommen und
da safsen wir wieder auf unsern zwei Telegas,-, von zwei, lanzenkundigeu
Kosaken begleitet, die uns der- Polkownik honoris causa, vielleicht auch
der Sicherheit halber nebst seinen besten Wünschen mit auf den Weg gab.
Der Schnee fing an in.dichten Flocken zu fallen, der scharfe Wind
auf der Höhe von Suram trieb einen feinen, alles durchdringenden Staub
in die Augen, die Kälte nahm wieder überhand. Eine Telega hatte dazu
das Unglück, mit sammt dem Gepäck und den darauf sitzenden Reisenden
in einen Sumpf mit dünner Eisdeeke zu stürzen. Gott sei Dank! hatte
niemand Schaden genommen-, einige Verrenkungen abgerechnet, und alles
genau besehen, brächen wir schliefslich in ein homerisches Lachen aus.
Nur schien die Sache bedenklich zu werden, als Nachts darauf derselbe
Unfall von Neuem eintrat. Der russische Jemtschik tröstete jedesmal
mit dem ächt russischen Nit&cheuio ¿es ist nichts!“ — Wie mufs erst das
„etwas“ aussehen, wenn dies in der landesüblichen Auffassung ein leeres
„Nichts“ war?!
Die Landschaft auf den Hochfläche sah recht traurig aus; hier und da
e in'Dorf, das halb in der Erde lag; und dazu als Staffage wandernde
Schweine-Pärchen. Damit war es aus. Später- hatten wir Gelegenheit,
diese menschlichen Wrohnungen auf das genaueste zu prüfen. Wir fanden
ein grofses .viereckiges Loch, mit Brettern ausgelegt, tief in der Erde liegend;
das Dach, nach dem Eingänge etwas aufsteigend, war beinahe gleichen
Niveaus mit dem Erdboden. Ein Loch in der Mitte desselben beleuchtete
das Innere der Wohnung und führte zugleich den Rauch des
Feuers nach Aufsen hin. Von weitem machen diese Hütten den Eindruck
vieler Erdhügel.
Ein gehöriges Schneetreiben entwickelte-sich, als wir von der tief
liegenden Hochfläche zu den höher gelegenen Plateaus hinaufstürmten. Die
Nacht brach endlich herein und nachdem wir mit unseren Telegas durch
einen Flufs gefahren waren, dessen Wasser, in verschiedene Arme ge-
theilt, bis an das Gepäck unter uns hinaufging, lag gegen neun Uhr Abends
die Stadt Gori vor uns. Wir befanden uns im Herzen des alten Georgiens.
Wir hielten vor dem Posthause still, in der Nähe dunkler Felsmassen,
die sich gekrönt von den Ueberbleibseln bemooster Mauerringe aus Olinrs
Zeit, in die Nacht hinein repkten und.dehnten, und suchten zwischen einem
Wirrwar von Equipagen, Tarantas und Telegas den Smatrit.el auf.
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