Doch der Mensch soll nie zu früh frohlocken!
Das betreifende Gebäude war kein Posthaus, auch kein Sitz der .Regierung,
sondern wie sich’s hernach herausstellte, das städtische Casino.
An der Treppe, die ein paar Stufen aufwärts führte, empfing den H.
Minister der Polizei-Meister des Orts, ein Pole, in grofser Uniform.
Zwei schöne imeretische Fürstenkinder standen dicht hei der Thür.
In ihrem kleidsamen Nationalkostüm sahen die freundlich grüfsenden
Kaukasier noch einmal so schön aus.
Der Polizeimeister führte uns in einen grofsen geheizten Saal mit
Nebenzimmern. Auf dem Fufsboden lagen rothe, Tüchdecken, im Saale
hing ein Kronenleuchter, an den Wänden Tapeten, dazu noch ein gluthausstrahlender
Kamin , mit einem Worte Luxus über Luxus!
Zunächst erwärmten wir die erklammten und erfrorenen Glieder eini-
germafsen, nahmen ein vorbereitetes Frühstück von Caviar, Hering, Sardinen,
Zwiebeln nebst anderen Leckerbissen in Angriff, liefsen gleich
daiauf das Diner von vier Gängen verschwunden fjr der Polizeimeister mit
seinem unverstandenen Russisch hatte die Güte uns fortdauernd Gesellschaft
zu leisten — und tranken dazu den von Bodenstedt verherrlichten
rothen Kachetiner.
Die leibliche Stärkung verlieh nun unsrer ganzen Umgebung den poetischsten
Reiz. Welch’ eine prosaische Natur ist doch der Mensch! Ich
mufs gestehen, dafs mir selten ein Anblick so viel Entzücken eingeflöfst
h a t, wie die Aussicht vom Fenster des Casino aus nach dem gegenüberliegenden
Berge. Auf dem steilsten Punkte desselben erheben sich die
ansehnlichen Ruinen eines ehemaligen Schlosses. Der Postmeister mag’s
mit vielem ändern yerantworten, ob die Ruinen dem imeretischen König
Salomon ihren Ursprung zu verdanken haben oder nicht. Da er nicht von
der sagenhaften Königin Tamara gesprochen, . welche im ganzen Kaukasus
als privilegirte Schlofsahnfrau allen Ruinen vorsteht, so mag seine Aussage
vielleicht ihre Begründung haben. —
Nachdem die Rechnung bezahlt — 20 schwere Silberrubel! — erwarteten
wir die Equipagen und dehnten unsere zerschlagenen Glieder im
Geiste bereits recht behaglich auf den gepolsterten Wagen-Kissen aus.
Yor den Fenstern liefs sich das Geklingel ankommender Troiken hören.
Theilnahmlos schauten wir zum Fenster hinaus, bis plötzlich zwei winzig
kleine Holzkasten mit Rädern, die wohlbekannten Telegas, still hielten*
Sollten däs etwa gar die erwarteten Equipagen sein? Niemand wagte diese
Frage in lauten Worten zu äufsern, obgleich sie nahe genug lag. Der Polizeimeister
näherte sich freundlich lächelnd, sprach viele russische Worte,
die uns der Dragoman verdollmetschte: der Herr bedaure, nur zwei Telegas
haben auftreiben zu können, statt der nöthigen drei, doch würde alles
gut gehen, wenn wir uns von vornherein gehörig zurechtsetzten. Das klang
niederdonnernd!
In stiller Verzweiflung wurde das Gepäck aufgeladen und die preufsische
Mission nahm in zwei Sectionen auf dem Höhepunkt des Kistenberges
Platz. Der Sitz war furchtbar; nur die Strickenden, an welchen wir uns
krampfhaft mit unseren blutig geschundenen Händen festhielten, schützten
uns vor dem Herabstürzen.
Durch Berg und Thal folgten wir dem Laufe der Kwirila. Die Landschaft
mufs im Frühling von wunderbarer Schönheit sein. Im Winter, bei
einer Kälte, dafs die Thränen aus den Augen fliefsen, hört die landschaftliche
Bewunderung auf. Als die Nacht bereits hereingebroehen war, passir-
ten wir die hohe Wasserscheide des schneebedeckten Dwaleli-Gebirges, auf
welchem sich eine neuangelegte, noch nicht ganz vollendete Bergstrafse in
Schlangenlinien im Zickzack dahinzieht. Tief unter uns gähnten mächtige
Abgründe; an der Bergwand gegenüber ragten schwarze Tannen von der
weifsen Schneedecke wie Grabhölzer hervor, rauschende Giefsbäche stürzten
von allen Seiten die Felswände das Thal hinab, mit kreischendem Geschrei
umflatterten uns aufgescheuchte Eulen — mit einem Worte, es war
eine Nacht, der als Schlufsbild der graulich-romantischen Umgebung nur
nöch die wilde Jagd fehlte.
Wir waren pfeilschnell, ohne Rücksicht auf Abschüssigkeit, Enge oder
Unebenheit der Strafse, bergabwärts in Finsternifs und Nacht hineingefahren.
Der russische Jemtsckik, der vielleicht bei der grofsen Kälte zu
viel über den Durst getrunken hatte, unterhielt sich auf das lebhafteste mit
seinen Rossen, die er bald mit: Väterchen, Mütterchen, Täubchen und ändern
liebkosenden Namen zum eiligen Laufe anspornte — da, ich weifs
es noch heute wie in jenem schrecklichen Augenblicke, tönte von unten
her eine Stimme nach oben:
»Um Gotteswillen, ihr verfehlt den richtigen Weg!“
Unser Dragoman übersetzte die russisch oder türkisch gesprochenen
Worte.